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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

welche Erfurt, Gotha und Weimar die Wahlbezirke bilden, da bei der Zerstreuung der Bankangehörigen über das weite deutsche Gebiet, die nicht bundesdeutschen Provinzen Preußens und die deutsche Schweiz eingerechnet, eine allgemeinere Wahlabstimmung unmöglich wird. Das Interesse Aller steht unter der sicheren Controle der unbedingtesten Oeffentlichkeit.

An der Spitze der Regierung steht ein Präsident (Vorstandsdirigent), der alljährlich von den drei Vorstehern der drei Wahlbezirks-Ausschüsse gewählt wird. Es liegt ihm die formelle Leitung der Geschäfte ob, bei Entscheidungen hat er keine Stimme. Die Beschlüsse des Vorstandes müssen in allen Fällen aus den Entscheidungen der Ausschüsse hervorgehen, als deren Stellvertreter sie fungiren. Ein Vorstandscommissär überwacht die ganze Thätigkeit der Bank und hat sämmtliche Actenstücke und Urkunden derselben gegenzuzeichnen. – Es dürfte manchem Leser nicht uninteressant sein zu erfahren, daß dieses Amt zu wiederholten Malen von Männern verwaltet worden, deren Bekanntschaft er schon als Tertianer auf der Schulbank gemacht hat, wie z. B. in den vierziger und fünfziger Jahren von dem Grammatiker und Lexikographen Rost, Oberschulrath und Director des Gymnasiums zu Gotha. – Die Bureaubeamten werden auf die Bank Verfassung und ihre Instruction vor dem herzoglichen Stadtgericht in Gotha vereidigt. – Der Bankdirector, welcher an der Spitze der Bankverwaltungsbehörde steht, seit längerer Zeit der Finanzrath Hopf, dessen ausgezeichneten Rufes als Finanzmann und Statistiker bereits Erwähnung geschehen ist, hat eine Caution von fünftausend Thalern, der Cassirer eine solche von zehntausend Thalern bei der Gothaischen Landesregierung zu deponiren.

Der Bankverwaltung steht ein Justiz- und Medicinal-Collegium zur Seite; eine Revisionscommission, welcher der ebenfalls als Statistiker bewährte Regierungsrath Heß angehört, bildet gewissermaßen die Rechenkammer. Das Rechnungswesen und das Versicherungswesen in ärztlicher Beziehung wird wiederum von zwei Specialrevisoren in allen Details geprüft und controlirt. Diese wohlgegliederte und in allen Bewegungen ineinander eingreifende Bureauverwaltung ist aber weit davon entfernt eine in Dienstformen erstarrte Bureaukratie zu sein, die sich zuletzt im Staate Selbstzweck wird. In jeder Function der Bankbeamten spricht sich der Gedanke des socialen Gemeinwesens aus, dem sie dienen, und das Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit gegen die Gesellschaft.

Um vom Departement des Auswärtigen zu sprechen, so dürfte schwerlich ein europäischer Staat ein so großes diplomatisches Corps von Geschäftsträgern und Consuln haben, wie der Gothaische Lebensversicherungsstaat in seinen sechshundert Generalagenten und Unteragenten, die ihn vom Niemen und der baltischen Küste bis an das adriatische Meer, von den Vogesen bis an die Karpathen dem Publicum und den auswärtigen Landesbehörden gegenüber vertreten.

So scharfsinnig organisirt, so von umsichtigen Händen geleitet, hat die Gothaer Lebensversicherungsbank von ihrem Entstehen bis beute ihre Aufgabe zum Heile von Tausenden glücklich gelöst, unbeirrt durch die politischen Stürme, welche in neuerer Zeit die Staaten Europas erschüttert haben; sie wird auch den Krisen gewachsen sein, denen unser Welttheil noch entgegengeht.

Auch die Concurrenz, die das glückliche Beispiel der Gothaer Lebensversicherungsbank, zu Nutz und Frommen unseres Vaterlandes geweckt hat, giebt dem Werke des deutschen Bürgers Arnoldi die Ehre!




Eine Turnfahrt nach dem Rothenthurmpasse.

Anderthalb Jahre nach meiner Berufung nach Hermannstadt, behufs der Gründung der ersten Turnanstalt in Siebenbürgen, im Sommer des Jahres war es, als ich den ersten und einzigen Turnverein nicht nur Siebenbürgens, sondern des ganzen damaligen Metternichschen Oesterreichs in’s Leben rief.

Jeder deutsche Turnverein kann nun einmal ohne Fahne, um welche sich seine Mitglieder zu schaaren vermögen, nicht bestehen, und so mußte denn der Hermannstädter Turnverein auch seine Fahne haben. Bald hatten Frauen und Mädchen der Hauptstadt des siebenbürgischen Sachsenlandes eine solche dem Vereine gestickt und an einem dafür bestimmten Turnfesttage dieselbe feierlichst überreicht. Ihr zu Ehren wurde eine Turnfahrt nach dem Rothenthurmpasse veranstaltet.

Ein heiterer Sommerabend versammelte die Hermannstädter Turner, groß und klein, wohl siebenzig an der Zahl, auf der hart an der Turnschule gelegenen schönen Promenade. Bunt genug war die Schaar, denn obschon bei Weitem überwiegend aus Sachsen bestehend, waren doch auch einige Ungarn und Walachen darunter, welche die sächsischen Schulen besuchten. Das Schauspiel einer Turnfahrt war den Sachsen neu, und so hatten sich die Verwandten und Freunde der turnenden Jugend zahlreich eingefunden, um unseren Abmarsch mit anzusehen. Von ihnen geleitet, gelangten wir bald nach fünf Uhr auf die sogenannte Kaiserstraße, welche Hermannstadt mit dem Banate einerseits und andererseits mit Kronstadt verbindet.

Da lagen sie vor uns, die majestätischen Siebenbürger Karpathen, denen wir zusteuern sollten, eine hohe Wand, durchbrochen nur an der Stelle, wo der Rothenthurmpaß längs den Fluthen des Alt (der Aluta) den Eintritt in jene Walachei gestattet, die, als ein Vorland der orientalischen Zauberwelt, schon mächtig unsere Theilnahme herausfordert. Und wie um unsere Phantasie zu unterstützen, wölbte sich an diesem Abende der tiefblaue südliche Himmel über uns, welcher zuweilen die Bewohner des Sachsenlandes daran erinnert, daß sie, unter dem gleichen Breitengrade von Mailand, eigentlich Anspruch auf ein italienisches Klima machen könnten, wenn nicht die hohe Gebirgskette gen Süden ihnen den ungehemmten Zutritt der heißen, wie den Mailändern die Schweizer Alpen gen Norden umgekehrt den Zutritt der kalten Luft abwehrten. Wir hatten bis Talmesch, dessen dortiges Pfarrhaus für den Abend unser Wanderziel bildete, über drei, von dort bis Boitza und zum Rothenthurm fast eine, endlich weitere zwei Stunden innerhalb des Passes bis zur Conumaz, dem Grenzort zwischen Siebenbürgen und der Walachei, zu wandern. Die Straße, obgleich unbeschattet von Bäumen, ist keineswegs von ermüdender Eintönigkeit. Vor sich hat man, wie schon erwähnt, das bis auf achttausend Fuß ansteigende, den größten Theil des Jahres mit Schnee bedeckte Gebirge und zur Seite weidet sich das Auge an dem Anblick der gesegneten Weizen- und Welschkornfelder, jenseit welcher zur Linken niedrige, bewaldete Hügelreihen mit der walachischen Ortschaft Baumgarten und zur Rechten das sächsische Neppendorf und der fabelhafte Weißenthurn’sche „Wald bei Hermannstadt“ auftauchen. Hinter Schellenberg, dem ersten sächsischen Dorfe, schlugen wir die nach dem Rothenthurmthorpasse führende Seitenstraße ein und hatten bald, schneller als wir geglaubt, nach noch nicht dreistündigem Marsche, den Pfarrhof von Talmesch erreicht.

Ein siebenbürgisch-sächsischer Pfarrhof bot in der guten vormärzlichen Zeit, wo dessen Pfleger oft mehr Oekonom als Pfarrer war und Scheunen und Keller von dem Zehntenträger mit allem Ueberfluth an Gottesgaben gefüllt wurden, eine dem ermüdeten Wanderer gar verlockende, behagliche Ruhestätte. Der Herr Pfarrer und die „Frau Mutter“, wie die Pfarrerin von dem Hausgesinde genannt wurde, schalteten und walteten aus demselben in patriarchalischer Geschäftigkeit, die indeß nicht nur dem Zehntertrage, sondern auch noch der eigenen selbstständigen Oekonomie galt. Ein Heer von Geflügel, mit den vornehmen „Pockerln“ (Truthühnern) obenan, weiße und schwarze Kühe, unter welchen letzteren die Büffelkühe verstanden werden, die in den nordischen zoologischen Gärten als Merkwürdigkeiten paradiren, endlich Borstenvieh von allen Größen mußten bedient und beaufsichtigt werden, dazu hatte man in den Scheunen dreschen, das Getreide mahlen zu lassen und – was eine Hauptsorge erfordert – des Weines zu warten, der in den Kellern aufgespeichert lag. Nahte man als Fremder einem solchen Pfarrhofe, so durfte man der rückhaltlosesten Gastfreundschaft versichert sein, denn in dieser Beziehung wetteiferten die sächsischen Pfarrherren mit den ungarischen Edelleuten, welche sonst wohl hoch aufjauchzten, wenn ihr mehr oder minder eintöniges Leben auf ihren Edelhöfen durch die Ankunft eines lieben Gastes unterbrochen wurde.

So waren denn auch für uns Turner die Thore des Pfarrhofes

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_156.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)