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zu rühren, und der Gedanke an die Möglichkeit, durch schnell erworbene Reichthümer sich und die Seinen im fernen Vaterlande unabhängig zu machen, hatte so viel Lockendes für ihn, daß er kaum die Zeit abwarten konnte, die Tawanka festgesetzt hatte, um die mysteriöse Expedition zu unternehmen. Jedenfalls aber sah er ein, daß er allein nicht im Stande sei, die zu erwartenden Schätze auszubeuten, und daß er zu diesem Zwecke sich mit einem Compagnon associiren müsse, der die ihm selbst fehlenden Geldmittel vorstrecken könne, um die Mine mit Erfolg zu bearbeiten, denn er erkannte die Wahrheit des spanischen Sprüchworts zu gut, „daß man in ein Silberbergwerk eine Goldquelle leiten müsse, um es einträglich zu machen.“ Unwillkürlich fiel ihm bei diesen Reflexionen Mr. Jones ein, der ihm ja schon manchen guten Rath gegeben und das größte Interesse für ihn zur Schau getragen hatte. Diesen wollte er, falls derselbe wieder nach Ontonagon käme, trotz des eindringlichen Verbots des Indianers in das Geheimniß ziehen, um mit seiner Hülfe und Geschäftskenntniß das Unternehmen zu beginnen. Freilich warnte ihn eine innere Stimme vor dem aufdringlichen Amerikaner, dessen lauernde Physiognomie gleich bei dem ersten Anblick einen unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht hatte, indessen kannte Werner Niemanden anders, dem er sich hätte anvertrauen mögen, und Jones hatte ja durch den Umstand, daß er den Deutschen von dem gefährdeten Theile des Schiffes bei Gelegenheit jenes Sturmes fortgerissen hatte, hinlänglich bewiesen, daß er dem unerfahrenen Ausländer wohlwollte. –

Das Frühjahr war gekommen und mit ihm die ersehnte Zeit der Expedition. Werner hatte von seiner Compagnie auf einige Wochen Urlaub erhalten, und Tawanka wartete an einer kleinen Bucht nicht weit von Ontonagon mit sechs seiner Krieger auf die Ankunft seines weißen Freundes. Sie hatten ein großes, festes Canoe, ein sogenanntes Mackinawboot, construirt und mit den nöthigen Vorräthen versehen, da der Ertrag der Jagd und Fischerei an den wüsten Küsten des Oberen Sees im Voraus nicht zu berechnen ist. Unmittelbar nach der Ankunft des Deutschen, der sich mit Pickaxt und Steinhammer versehen hatte, stießen sie ab, obgleich der Anblick des Himmels und des Wassers drohend genug war, gerade, als wenn der Winter noch einmal sein Recht wahren wollte. Aber es war jetzt zu spät, um einen andern Entschluß zu fassen und die Reise aufzuschieben, und die Odschibbewas kämpften nun gegen Wellen und Wind mit demselben Muthe, mit welchem ihre Väter einst den Kriegspfad betreten hatten. Ehe die Sonne aufstieg, lagen sie schon auf ihren Rudern, und keine See war so rauh, daß sie ihr nicht getrotzt hätten, obgleich die kurzen, sich überstürzenden Wellen rings um sie kochten und ihre Gesichter mit blendendem Schaum überspritzten, den der bitter kalte Nordwind in scharfe Eistheilchen verwandelte.

Es war der fünfte Morgen nach ihrer Abreise, als sie bei den matten Strahlen des untergehenden Mondes noch vor Tagesanbruch die südliche Küste des obern Sees im Nebel versinken sahen und noch vor Abend den Ort ihrer Bestimmung zu erreichen hofften, weil hier am Westende des Sees die Ufer sich schon einander nähern. Die Luft war außerordentlich kalt, denn der Wind, welcher die Hände, die das Ruder führten, fast erstarren machte, kam direct von den Eisfeldern des Nordpols. Aber furchtlos fuhren sie weiter und setzten mit dem scharfgebauten Canoe wie auf einem Rennpferde über die zerrissenen Kämme der Wellen, so daß das Kielwasser hoch aufschäumte. Mit der zunehmenden Tageshelle nahm auch der Wind zu, bis er gegen Mittag zu einer gewaltigen Böe anwuchs, in deren Gefolge sich dicke Schneewolken entluden und die Flocken so dicht herunterfielen, daß sich die Rudernden kaum mehr erkennen konnten. Sie waren jetzt mitten auf dem See, hatten keine Landmarken mehr in Sicht und würden bei dem furchtbaren Aufruhr und Tumult der Elemente gewiß die Richtung verloren haben, wenn nicht Tawanka, der vorn wie ein zweiter Frithjof im Buge stand, aus der eisigen Kälte des Windes die Richtung desselben beurtheilend, mit ausgestreckter Rechten den einzuschlagenden Curs angegeben hätte.

Vorwärts ging es trotz Sturmwind und Wellen, und eine Meile nach der andern wurde zurückgelegt, bis der Schnee, der immer dichter fiel und ihnen alle Aussicht nahm, jede Falte ihrer Kleider ausfüllte und sich hoch am Boden des Bootes anhäufte, während der Orkan von Zeit zu Zeit mit heftigern Stößen einsetzte, welche die Wellen des Sees so in Aufruhr brachten, daß sie jeden Augenblick über dem schwachen Canoe zusammenzubrechen drohten. Schweigsam und stetig, wie bronzefarbige Automaten, ruderten die Indianer weiter, ihren Häuptling unverwandt in das Auge fassend, dessen herculische Figur wie ein riesenhafter Schatten im Vordertheil hervorragte, als ein plötzlicher Stoß sie von ihren Sitzen warf und eine gewaltige Welle, vom Bug nach dem Sterne durch das Boot stürzend, dasselbe gewissermaßen unter ihren Füßen wegriß und die ganze Bemannung nebst Werner mit unwiderstehlicher Gewalt in die kochende Brandung stürzte.

Die Katastrophe kam so plötzlich und das Wirbeln der Schneemassen, das Heulen des Windes und das Brausen der Wogen wirkten so betäubend, daß Werner im ersten Augenblick kaum seine gefährliche Lage inne wurde, allein instinctmäßig begann er zu schwimmen, ehe die nächste Welle ihn niederdrücken konnte. Rings um ihn her tauchten die Indianer wie Ottern auf, aber er konnte sie vor den dicht niederfallenden Schneeflocken nicht sehen. Auch hörte er laute Ausrufe in der Odschibbewasprache, wie sie in rascher Folge einander zuschrieen, aber das Brüllen der Brandung und die mangelhafte Kenntniß des Idioms erlaubten ihm nicht, diese Worte zu verstehen. Halb erstarrt in dem eisigen Wasser, geblendet durch den um sein Haupt wirbelnden Schnee, wußte er nicht, in welcher Richtung er schwimmen sollte, um das Ufer zu erreichen. Schon gab er die Hoffnung auf, daß sein schwacher Hülferuf gehört würde, und schon schwebten die trüben Bilder der Vergangenheit, ein kurzer Abriß seines ganzen Lebens, wie das bei Ertrinkenden der Fall zu sein pflegt, vor seinem geistigen Auge, als er auf einmal die Stimmen der Indianer deutlicher zu hören glaubte. Sie schienen einander zuzurufen, um nicht auseinander zu kommen, und diese rauhen Kehllaute hatten etwas so wunderbar Ermuthigendes für den fast den Kampf mit den Wellen aufgebenden Werner, daß er seine letzten Kräfte zusammenraffte und einen hellen, weithin tönenden Verzweiflungsschrei ausstieß. Augenblicklich wurde dieser durch eine Menge Stimmen beantwortet und wenige Minuten nachher schon viel näher durch einen zweiten einstimmigen Zuruf, der dem Deutschen wie himmlische Musik erklang. Unmittelbar darauf schwamm Tawanka bereits an seiner Seite, der ihm jede mögliche Unterstützung gewährte, bis noch ein paar seiner Leute herzukamen, mit deren Hülfe es nun nicht mehr schwer fiel, den erstarrten und abgematteten Werner auf dem Felsen, an welchem vor einer Viertelstunde das Canoe gestrandet war und wohin die falkenäugigen Indianer sich sofort zu retten gewußt hatten, in Sicherheit zu bringen.

Nichts kann die erhabene Schönheit eines hellen Frühlingstages an den Gestaden des Oberen Sees übertreffen, wenn der warme Südwind, der über den mexicanischen Golf wegstreichend tropische Gluth eingesogen, die Eisfelder von den Küsten abgelöst hat. Der See ist dann ruhig und glatt wie ein Spiegel und mit einer Menge von größern und kleinern, in allen Farben des Prisma schimmernden Eisbergen bedeckt, welche die wunderbarsten und pikantesten Formen zeigen. Die tiefste Stille herrscht über den schweigenden, leicht gekräuselten Gewässern, nur dann und wann unterbrochen von dem donnerähnlichen Krachen der Gletscher, mit welchen die höchsten Berge des Ufers gekrönt sind, von dem rauhen Geschrei des weißköpfigen Adlers, der in Spiralen gegen den blauen Aether aufsteigt, und von den heisern Rufen der Kraniche und schwarzen Schwäne, welche auf den niedrigern Klippen ihre alten Nester suchen. Diese Scenerie und diese Eindrücke einer wilden Natur sind einzig schön in ihrer Art, sodaß Niemand, der sie einmal empfunden, sie vergessen wird. Aber es existirt auch eine Kehrseite dieses schönen Gemäldes, eines Bildes, wie es der genialste Maler nicht schaffen kann. Eine kurze Spanne Zeit genügt, um den Anblick der ganzen Gegend umzugestalten. Eisige Windstöße fahren jählings von den ewigen Schneefeldern des Nordpols hinunter, dicker, undurchdringlicher Nebel mit seinem Gefolge durcheinander wirbelnder weißer Flocken steigt auf, die in purpurnen Tinten schimmernden Gletscher verbergen sich im dunkeln, drohenden Gewölk, und von dem eben noch so prachtvollen Panorama bleibt Nichts zurück, als ein beschränkter Gesichtskreis von ein paar Quadratruthen, der nur schwarze, aufgeregte Wellen und phantastische Nebelgebilde zeigt.

Dieselbe Erfahrung hatten die Odschibbewas bei ihrer gewagten Canoefahrt gemacht. Unmittelbar vor ihrem Aufbruch herrschte das schönste Frühlingswetter, gleich nach ihrer Abfahrt aber hatte der nordische Winter noch einmal seine ganze Tücke gezeigt, indessen sie wären keine Indianer gewesen, wenn sie sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_162.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)