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durch den drohenden Anblick des Wetters hätten abschrecken lassen. Auch jetzt in einer Lage, die jedem Europäer als eine trostlose erschienen wäre, verzagten sie keinesweges, da sie wußten, daß in dieser Jahreszeit schon der nächste Tag einen Wechsel mit sich führen könne. Bald fanden sie eine gegen den erstarrenden Nordwind geschützte Vertiefung in den Felsen, wo sie, nachdem der fast ohnmächtige Werner dort niedergelegt war, ein helles, lustiges Feuer aus Fichtenholz, das sich in Hülle und Fülle auf der Insel fand, anzündeten und dann, nachdem sie ihre Decken getrocknet hatten, zusammenkrochen und, sich gegenseitig erwärmend, in einen gesunden Schlaf fielen.

Spät am Morgen erwachte der von so viel Aufregung und Strapazen hart mitgenommene Deutsche auf seinem aus duftigen Tannenzweigen hergestellten warmen Lager. Sein erster Blick fiel auf Tawanka, der in der Höhle schweigend neben ihm saß und die Flamme des Feuers mit dürrem Holze nährte, während einer der Indianer eine Schneegans in der Asche briet. Auf seine Frage, wo die Andern wären, erfuhr er, daß dieselben an dem Orte, wo das Canoe gescheitert sei, Anstalten machten, die verlorenen Gegenstände aus der Tiefe zu holen, auch habe man das Boot hoch und trocken zwischen den Felsen eingeklemmt gefunden, wo es von einer Welle hingespült sei, und es werde nicht schwer fallen, den eingestoßenen Bug mit Birkenrinde zu repariren; außerdem, setzte der Häuptling hinzu, habe sich der Nordwind gelegt, und er erwarte ganz bestimmt noch im Laufe des Tages gutes Wetter.

Bei diesen aufmunternden Worten reckte Werner seine steifen Glieder zurecht, und ein neuer Hoffnungsstrahl fuhr durch seinen Geist, der aber sofort zur hellen Flamme aufschlug, als Tawanka, welcher mit einem Winke seiner Hand dem andern Indianer sich zu entfernen bedeutet hatte, mit geheimnißvollem Lächeln fortfuhr: „Wißt Ihr, Freund, daß wir an Ort und Stelle sind und daß ich trotz des Sturmes gestern die Insel nicht verfehlt habe, auf der ich einst mit meinem Vater den Weg zur Silbermine suchte? Trotz der Dunkelheit und des Schneegestöbers fand ich die Richtung und ich irrte nur in der Entfernung, weil sich der Lauf des Canoes bei solchem Wetter nicht berechnen ließ. Noch heute Nacht wollen wir aufbrechen, wenn der Vollmond scheint, doch haltet reinen Mund gegen meine Leute. Sie dürfen Nichts von unserm Vorhaben wissen und werden Euch nicht durch unnütze Fragen lästig werden.“

„Also noch diese Nacht soll ich die Silbermine sehen?“ rief Werner aus, der kaum seine Aufregung bezähmen konnte, da er sich der Erfüllung seiner kühnsten Wünsche so nahe sah.

„Gewiß! noch diese Nacht,“ erwiderte Tawanka; „aber ruht Euch gehörig aus und stärkt Euch, denn wir haben einen beschwerlichen Marsch vor uns. Einstweilen will ich gehen und Sorge tragen, daß das Canoe gehörig ausgebessert wird.“

Der Häuptling hatte das Wetter richtig beurtheilt, denn schon nach Verlauf von einigen Stunden schien die Sonne wieder warm, und die bis vor Kurzem noch so aufgeregte Oberfläche des Sees fing an, sich zu beruhigen, während die finstere Nebelbank fern im Norden sich zertheilte und bei der zunehmenden Helle des Tages die wunderbar gezackten Gipfel des felsigen Höhenzuges sichtbar wurden, welcher das Innere der Insel durchzog. Die Indianer waren bei ihren Tauchversuchen glücklich gewesen und hatten die meisten der bei dem Schiffbruch verlorenen Gegenstände aus der Tiefe hervorgeholt, darunter auch Werners bergmännische Werkzeuge, auch hatten sie einige wilde Kaninchen mit ihren Pfeilen erlegt, die in die Blätter des wilden Sellerie gewickelt und dann in der Erde gebraten eine vortreffliche Mahlzeit abgaben. Tawanka aber, der sich während des Tages auf einige Stunden entfernt hatte, um die Umgegend zu recognosciren und vermittelst seines Ortssinns alte Erinnerungen aufzufrischen, kam befriedigt zurück und bedeutete dem ängstlich harrenden Deutschen, sich bei dem Eintritt des Mondscheines fertig zu halten, denn genau um Mitternacht müßten sie an Ort und Stelle sein, wenn sie ihren Zweck erreichen wollten.

Es war schon spät am Abend, als der Vollmond siegreich durch die dicken Dunstschichten brach, welche über dem See lagerten, und die schneebedeckten Gipfel der Felsen mit bläulichem Lichte übergoß. Nichts störte die allgemeine Ruhe, als der melancholische Ruf des Whippoorwill im nahen Tannendickicht und die einförmige Melodie der Brandung, wie sie in gewissen Zwischenräumen tactmäßig gegen das Ufer schlug.

Während seine Leute um das prasselnde Feuer lagerten und plauderten, schritt der Häuptling, von Werner gefolgt, durch den dichten Urwald, welcher den Raum zwischen dem Strande und dem zackigen Felsplateau im Innern der Insel bedeckte. An schwierigern Stellen, wo umgestürzte Bäume oder mächtige Steintrümmer den beschwerlichen Pfad noch unwegsamer machten, faßte er den Deutschen bei der Hand und leitete ihn so über die Hindernisse sicher hinüber. Endlich standen beide Männer am Rande des Holzes und sahen den schneebedeckten Höhenzug über ihren Häuptern emporragen. Tawanka besann sich einen Augenblick und richtete dann mit unfehlbarem Ortssinn seine Schritte nach einer dunkeln Bergschlucht, aus welcher sich ein angeschwollener Bach mit starkem Gefälle ergoß. Er folgte nun dem Laufe dieses Baches stromaufwärts und erstieg nach einem mühsamen Marsche von einer Stunde das kahle Plateau. Darauf wandte er sich westlich und erklomm, von dem athemlosen Deutschen gefolgt, über zerrissene Felskämme den Gipfel einer Klippe, wo er sich von Neuem orientirte. Am Fuß der letztern lag ein kleines tiefes Thal, dessen Form an einen erloschenen Krater erinnerte und an dessen Rande sich eine himmelhohe, abgestorbene Schierlingstanne erhob. Dorthin richteten beide Männer ihre Schritte und als sie am Fuße des einsam stehenden Baumes angekommen waren, warf Tawanka forschende Blicke auf den Lauf des Mondes, dessen volle Scheibe ihr mildes Licht über die wilde Scenerie warf.

„Setzt Euch nieder,“ sprach er zu dem ermüdeten Werner, der unter der Last seiner Pickaxt und des schweren Steinhammers keuchte. „Der Mond wird bald auf dem höchsten Punkte seines Bogens stehen, und dann wird es Zeit sein, zu handeln. Sehet den weitreichenden Schatten des Baumes, wie er über die schroffen Kanten des Gesteins und die düstern Felsspalten fällt; dort, wo genau um Mitternacht die Spitze des Schattens hinzeigt, muß die Oeffnung sein, die zur Silbermine führt, und die ich vor langen Jahren mit meinem Vater zusammen zuwarf und unkenntlich machte. Noch haben die Stürme die Tanne nicht umgeworfen, auch hat, wie ich sehe, keines Menschen Fuß diese Stelle wieder betreten; der Schatz wird also unversehrt sein.“

Nach einer kleinen Pause, in welcher er den Mond genau beobachtet hatte, fuhr er fort: „Nun kommt mit Eueren Eisen! Seht Ihr nicht, daß das Gestirn zu sinken anfängt? Folgt mir und schlagt da ein, wo ich hinweise.“

Damit schritt er, von dem Deutschen gefolgt, längs des schwarzen Schattens, den der riesige Baum warf, auf die Stelle zu, wo jener zwischen mächtigen, moosbewachsenen Felstrümmern endigte, und deutete, das kurze Gestrüpp zur Seite biegend, auf eine kaum bemerkbare Spalte hin, welche mit Steinen und Geröll gefüllt war. Sausend fiel die Pickaxt hernieder, und in wenigen Minuten zeigte sich nach Entfernung der Trümmer eine große, schräg hinabsteigende Oeffnung, durch die ein Mann bequem hinunterschlüpfen konnte. Tawanka ergriff eine der mitgebrachten Kienfackeln, setzte sie in Brand und glitt, nachdem er Werner aufgefordert hatte, ihm furchtlos zu folgen, gewandt und ohne zu fallen in die Tiefe. Einen Augenblick später stand auch der Deutsche auf dem Boden des kaum zehn Fuß unter der Oberfläche befindlichen Ganges, dicht neben dem Häuptling, und war nicht wenig erstaunt, sich in einem natürlichen und trockenen Stollen von Trappformation zu sehen, der sich, soweit er es bei der Flamme des Fichtenspans unterscheiden konnte, tief in den Berg hineinzog. Unbedenklich folgte er Tawanka, welcher in dem niedriger werdenden Gange gebückt vorausschritt, und wer beschreibt seine freudige Aufregung, als sich am Ende des Stollens eine weitgewölbte Höhle zeigte, deren Wandungen aus den schönsten, im hellen Fackellicht strahlenden Quarzkrystallen bestanden, zwischen denen, wie er mit seinen bergmännischen Augen sogleich erkannte, dicke Massen gediegenen Silbers in wunderbaren dendritischen Formationen hervorleuchteten! Stumm vor Erstaunen betrachtete er den unerschöpflichen Reichthum, den die jungfräuliche Natur hier aufgehäuft hatte, und umarmte dann seinen Freund Tawanka, der, still vor sich hinlächelnd und die dunkeln Augen rollend, auf die starken Adern des edeln Metalls zeigte, welche sich nach allen Richtungen hinzogen. Je weiter sie in die Höhle eindrangen, desto schöner und üppiger wucherten die in prismatischem Lichte spielenden Quarzkrystalle und zwischen ihnen die massiven, rebenartig verschlungenen Stränge des Silbers, so daß Werner unwillkürlich an die Märchen von Tausend und eine Nacht dachte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_163.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)