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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

trägt das Gepräge der Habsburgischen Physiognomie, doch zeigt es mehr Kraft und Geist, als man sonst durchschnittlich bei den Köpfen jener ausgestorbenen Dynastie beobachtet. Im nächsten Zimmer birgt ein Schrank ein kleines Schmuckkästlein Philippina’s, eine köstliche Arbeit der Renaissancezeit; ein schlechtes Gemälde zeigt sie mit dem Gatten und den Kindern, nette Aeffchen, die in steifer spanischer Tracht zu den Füßen Beider spielen. Die berühmte Scene, wie sie durch eine List den kaiserlichen Schwiegervater zwingt ihr gegen sich selbst Recht zu sprechen und als Vater zu halten, was er als Kaiser geurtheilt, gab dem Tirolerkünstler J. Malknecht Stoff zu einem hübschen Bilde. Auch die Melodie, welche sie am liebsten zu singen pflegte, wurde mir in der Bibliothek auf Noten gesetzt vorgewiesen.

Der Freund, der meine Theilnahme für die schöne Philippina bemerkt hatte, geleitete mich vom Museum zur Hofkirche. Dort führte er mich über die Treppe in die silberne Kapelle, wo Ferdinand und Philippina begraben liegen. Vorn an der südlichen Wand vertieft sich eine hohe Nische geschmückt mit allerlei Basreliefs, gegen den Altar gewendet kniet ein geharnischter Ritter mit gefalteten Händen – es ist die Rüstung Ferdinand’s, der ein gewaltiger Mann gewesen sein muß; das Volk erzählt von ihm, er habe ein frischgeschmiedetes Hufeisen mit der Hand zerbrochen. Etwas weiter gegen den Eingang zurück wölbt sich eine zweite kleinere Nische. Ihr Rand ist eingefaßt von einem Streifen weißen Marmors mit Engelsköpfen; darunter ruht auf einem Sarkophag, den zwei Basreliefs schmücken, das Marmorbild Philippina’s gemeißelt von dem kunstreichen Meister Collin aus Mecheln. Der Ernst des Lebens hat diese Gestalt berührt, die Züge des schönen Antlitzes sind matronenhaft, die Verklärung des Todes umspielt sie, nachdem ihnen der Schmerz seine Weihe aufgedrückt. Unter dem Steinsarg liegt Philippina begraben. Sie starb 1578 an einer Krankheit, welche sie unerwartet befiel. Das Gerücht, als ob sie von Adel und Jesuiten, welche die Bürgertochter des halblutherischen Augsburg bitter haßten, im Bade ermordet worden sei, verdichtete sich allerdings zu einer Volkssage, es liegt aber kein Anhaltspunkt vor, der es bestätigen könnte. Die Geschichte der edlen Frau ist zu bekannt, als daß wir sie hier ausführlich zu berichten brauchten, nur einige Zahlen mögen dem Leser zur Orientirung dienen. Ihr Geburtsjahr läßt sich nicht nachweisen; sie mochte 1547, wo Ferdinand mit seinem Vater den Reichstag zu Augsburg besuchte, etwa achtzehn Jahre alt sein. Er sah sie auf dem Söller ihres Hauses, ein Blick entschied. Die heimliche Vermählung erfolgte am 24. April 1550 zu Innsbruck. Erst acht Jahre später versöhnte sie den schwer gekränkten Vater Ferdinand’s, welchem sie zwei Enkel zuführen konnte, zu Prag; 1564 wurde die Ehe öffentlich anerkannt und Philippina zur Markgräfin von Burgau ernannt. Fürsten gilt ja der Mensch, und sei er noch so groß und edel, in der Regel erst dann, wenn sie ihm einen Orden oder Adelstitel angehängt. Die Ehe war zufrieden und glücklich. Darf man Philippina ein Muster weiblicher Tugenden nennen, so zeichnete sich auch Ferdinand durch viele Eigenschaften vor Manchem der Purpurgebornen aus. Unter ihm wurde Innsbruck der Mittelpunkt einer großartigen Kunstthätigkeit; der prächtige Harnisch Franz des Ersten von Frankreich ward urkundlich hier verfertigt, er brachte mit großem Geldaufwande die berühmte Amraser Sammlung zusammen. Nur ein Flecken verunstaltete seinen Charakter: er war im höchsten Grade intolerant gegen Andersgläubige und befehdete mit den gewaltsamsten Waffen den Protestantismus, wie es auch jetzt eine fanatische Partei in Tirol gern thun möchte, wäre nicht die Zeit eine andere.

Diese und ähnliche Gespräche mit einem Freunde störte der Schall der Klosterglocke, welche die Mönche an den Tisch und auch mich an die Table d’hôte in das Gasthaus rief. Die Gesellschaft war sehr gemischt und daher herrschte aus Furcht vor den Polizeispitzeln, die in Oesterreich epidemisch sind, große Zurückhaltung. Als ich das Gespräch auf die Amraser Sammlung brachte, seufzte ein Herr in einer grauen Joppe und murmelte halblaut: „Ja die Amraser Sammlung! die ist jetzt im Belvedere zu Wien, obwohl sie großentheils mit tirolischem Gelde gekauft ward. Der Kaiser Franz hat zwar die Rückgabe versprochen, man lieferte sie jedoch nicht aus, als man die tirolischen Stutzen nicht mehr brauchte. So blieb dem Landtage nichts übrig, als sich auf das Testament Ferdinand’s zu berufen und eine ohnmächtige Rechtsverwahrung einzulegen.“

Die Amraser Sammlung liegt den Tirolern sehr am Herzen, sie können den Verlust derselben nicht verschmerzen. Von der Hyperloyalität, welche man den Tirolern gern andichten möchte, habe ich überhaupt nichts bemerkt; wenn man einer servilen Phrase begegnet, so ist es hier wie auch anderswo höchstens in officiellen Blättern.

Aber nach Amras! – Bei den letzten Häusern Innsbrucks that sich vor uns die Ebene von Wiltau auf; etwa eine Stunde breit ist sie die größte, welche Tirol besitzt. Aus dem kurzen Grase hoben sich bereits die ersten Zeitlosen, das Laub der Pappeln fing an zu vergilben. Rechts von uns streckte sich mitten in den Wiesen eine lange Mauer, über welche goldene Kreuze funkelten. Es war der Militärfriedhof, wo der unglückliche Tirolerdichter Johann Senn den ewigen Schlaf schläft, ein genialer Mann zertreten und verkümmert im Vormärz Oesterreichs. Wie viele solche Geistesmorde mag das Regime von Metternich auf dem Gewissen haben?

Eine Wendung! der Kutscher kehrt sich um und deutet mit der Peitsche auf ein großes unförmliches Gebäude, welches weißgetüncht von dem Vorsprung eines grünen Hügels in das Thal schimmert.

„Das ist Amras!“

Amras? Ich muß gestehen, ich war bedeutend enttäuscht. Das Gebäude hätte eben so gut eine Kaserne oder eine Fabrik vorstellen können, nur nicht ein Fürstenschloß umrankt vom Epheu der Sage. Kein Zinnenkranz, keine altersgrauen Thurme, keine dräuenden Wälle, kein Schlagthor! In neuester Zeit war dem unschönen Bau ein kleines Thürmlein mit einer Uhr aufgesetzt worden; man hatte alles beim Alten belassen, vielleicht war es am besten so, wozu der moderne Aufputz? Mein Freund holte den Castellan; er führte uns durch die weiten Säle, in einem derselben hing das Portrait Philippina’s aus ihren älteren Tagen; sie war bereits breit und behäbig geworden, nur das herrliche Auge erzählte noch vom Reiz der Jugend. Eine Reihe Zimmer war wohnlich eingerichtet, hier pflegt der jeweilige Statthalter von Tirol seinen Sommeraufenthalt zu nehmen. Mein Freund merkte mir einiges Mißbehagen an, da öffnete er eine Thür und schob mich rasch hinaus. Fast erschrocken stand ich auf einem Söller, zu Füßen das prächtige Thal von Schwaz bis Telfs durchrauscht vom wilden Inn, gegenüber die lange Wand des Kalkgebirges gekrönt von Tausend majestätischen Felsenzinnen, welche im Sonnenlicht schimmerten, von Nebeln umflattert. Dieser Ausblick allein verdient, daß der Fremde Amras besuche, Amras, dem nur der wundervolle Zauber seiner Lage und die Erinnerung an eine Geschichte blieb, wo die Poesie sich hell und lauter in das Leben ergoß.

Schon die Römer sollen hier ein Castell errichtet haben, welches sich später in eine mittelalterliche Burg verwandelte, wo die Gaugrafen aus dem Hause Andechs walteten, bis sie 1136 von Heinrich dem Stolzen, einem Baiernherzoge, belagert, erstürmt und ausgebrannt wurde. Die Herren von Tirol bauten sie wieder auf, ihre Glanzzeit beginnt aber erst mit dem Jahre 1567, wo Ferdinand, der Gemahl der schönen Welserin, vom glücklichen Feldzug gegen Sultan Soliman zurückgekehrt war. Früher hatte hier lange Jahre der unglückliche Kurfürst Friedrich von Sachsen, der in der Schlacht von Mühlberg gefangen worden war, vertrauert, sein treuer Lucas Cranach suchte ihn durch Gemälde zu erheitern; so manches Bild ist von diesem Meister in Tirol zurückgeblieben. Erzherzog Ferdinand baute das Gefängniß in einen Sommersitz um, der wohl mit den Fürstenschlössern italienischer Fürsten wetteifern durfte. Hier versammelte er mehrere der gelehrtesten Männer seiner Zeit. Stephan Pighius, der den Prinzen Friedrich von Cleve 1574 nach Italien begleitete, schildert uns das Schloß, wie es damals aussah. „Man zeigte dem Prinzen an den Abhängen und in den Thälern Seen mit seltenen Fischen; dort Weingärten, Obstanger, Wälder, Hasengehege, Wildplätze und Thiergärten. Darauf bestieg man das Schloß und beschaute die Lage und die zierliche Einrichtung, Höfe, Hallen und Speisesäle mit Teppichen, Statuen und Bildern ausgeziert. In einem weiten Saale sah man die Ebenbilder der Grafen von Tirol von ihrem Ursprunge bis auf unsere Zeit sammt der Angabe der von einem jeden dieser Fürsten vollbrachten Thaten. Dann führte man sie in die Wohnung der fürstlichen Frauen, in die schwebenden Gärten und zu den Vogelbehältern, die mit Netzen von Draht bezogen sind.

Die Rüstkammer im obern Stocke ist sehr geräumig und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_166.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)