Seite:Die Gartenlaube (1865) 170.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

sind niedrig, hauptsächlich des Holztransports wegen; im Winter sind jedem einzelnen oft zwölf und mehr Paare Ochsen vorgespannt. In jedem Orte an der Bandstraße wohnen Fuhrherren, die insgesammt über zehntausend Fuhrknechte in Sold traben sollen. Nun denke man sich im Winter, wo für den Verkehr eine Bahn durch den Schnee gegraben werden muß, die dann oft zwischen haushohen Schneemauern hinführt, eine Begegnung mit solch einer Wagenreihe! Oft ist das Umwenden und Umkehren ebenso unmöglich, wie das Ausweichen. Dann ist kein anderer Ausweg, als daß die Zugthiere und Menschen einzeln seitwärts an eine der Schneemauern sich fest an-, ja fast hineindrücken, während der Schlitten der Reisenden so hoch gehalten wird, daß das wilde Heer vorüberdrängen, treiben und schlagen und stoßen und fluchen und prügeln kann. Ist die Straße selbst dazu zu eng, so bleibt nichts übrig, als in eine Schneewand eine Nische für den Zug der Reisenden auszugraben, wozu Alles Hand anlegen muß.

In einer solchen Nische staken wir mit unserm Schlitten auf dem jenseitigen Abhang des Berges, über welchen die Straße von Präwald (fast am Fuße des Nanes!) nach Adelsberg führt. Schweißtriefend von der Arbeit und todtmüde kauerten wir da, und immer wollte des Fuhrwerks kein Ende werden, als plötzlich der Zug stockte und vom Berge her der Angstschrei: „Bora! Bora!“ erscholl. Die Thiere brüllten, sie kennen die Gefahr, und mit einem Male wurde es Nacht über uns, um uns – einen langen, bangen Augenblick – eine Schneelawine hatte sich über uns hingewälzt, und nun folgte der zerriebene Flugschnee wie ein rasselnder Regen und jagte über uns hin. Dann begann ein Drängen von rückwärts an uns vorüber – etwa zwanzig Fuhrknechte waren es, die keuchend vorbeistürmten – und wir ihnen nach, Gepäck und Schlitten und Thiere im Stiche lassend, drängten wir uns zwischen den Geschirren und den Schneemauern fort – es waren nur noch wenige, aber noch viel weniger Augenblicke hätten dazu gehört, uns ein Grab der Lebendigen zu bereiten. Die Bora schleuderte uns in der Hohlgüsse der Schneemauern wie Schneebällen vorwärts, so daß wir kaum auffußten, und doch mit dem klirrenden Schnee uns die Nacken peitschend – die Sinne wollten mir vergehen, als ich plötzlich niederstürzte – und dies blos, weil die Bora plötzlich mich nicht mehr trug, sondern über unsern Häuptern weiter wüthete. Als ich die Augen wieder gebrauchen konnte, das Bewußtsein der erlebten jüngsten paar Augenblicke mir klar wurde, suchte mein erster Gedanke, der erste Strahl des Blicks nach meinen Zöglingen. Vor mir lagen allerlei Gestalten durcheinander – der arme Türke war der Erste, den ich sah, und da, neben ihm krochen meine Jungen hervor, der eine im Gesicht blutend, der andere hinkend, aber sonst gesund und gerettet Beide. Gerettet waren übrigens Alle, die nicht verweht waren. Die Bora hatte uns in Adelsberg selbst abgeworfen, und Hülfe kam nun von allen Seiten, und auch wir fanden ein Fleckchen im überfüllten Wirthshause.

Aber welcher Jammer brach nun los, als die Menschen erst wieder zu Besinnung gekommen waren! Mehr als dreißig Geschirre staken zwischen den Schneemauern, wie viel Reisende noch hinter uns sich eingewühlt haben mochten, wußte Niemand. Der halbe Ort machte sich auf den Weg, um die Rettung zu versuchen. In der Wirthsstube wurde es trotzdem nicht leerer, denn auch von der anderen Seite dieser Schreckensstraße, von Planina her kamen Flüchtige und Boten des Unglücks. Geschirre waren in den Abgrund geschleudert, Handwerksbursche von einer Schneewehe verschüttet – und der Einzige, der sich gerettet hatte, stand an der Thür und konnte vor Erregtheit und Erschöpfung nur stoßweise die Erzählung des Jammers vollenden; er hatte einen Bruder unter den Verwehten.

Indeß kamen die Leute zurück, die den vielen Fuhrgeschirren zu Hülfe geeilt waren. Alle Mühe war vergebens. Die Bora ließ keinen Menschen zu der Stätte, wo sie ihr großes Grab vollendete. Haushoch hatte sie die Grabhügel über der Straße aufgeworfen. Händeringend liefen Frauen und Kinder umher – aber Hülfe war unmöglich. Die Nacht war rabenschwarz hereingebrochen. Trotzdem keine Laterne, keine Fackel in dem Sturm zu benutzen war, eilten doch viele der Männer der anderen Seite des Unglücks zu. Der Handwerksbursch führte sie. Sie kamen jedoch noch früher zurück, als vom ersten Versuch. Die Bora spottete der aufopferndsten Anstrengung des Menschen, ja sie begann die Straßen im Orte selbst zu verwehen, so daß wir bald auch von jeder Nachricht von außen abgesperrt waren.

Es war eine fürchterliche Nacht, an Schlaf natürlich nicht zu denken, auch wenn wir Betten hätten bekommen können. Der Vorrath des Gasthauses war längst besetzt – und doch schlief Niemand, die Kälte rüttelte Alles munter. Dabei war nicht einmal ein Einheizen möglich; der Sturm ließ keine Flamme aufkommen, und unsere Mäntel und Burnusse lagen bei unserm übrigen Hab und Gut begraben. Nur unser Türke hatte Nichts verloren, die Pantoffeln unter den Armen und einen Zipfel des Turbans in der Faust war er dahingeweht worden. Aber trotz all seiner Habe fror er doch mehr als Alle. Erst weit nach Mitternacht ließ der Sturm ein wenig nach, so daß uns wenigstens eine kräftige Ofenwärme erquicken konnte, und da fiel auch manches Auge in Schlummer.

Sobald der Morgen graute, begann das Rettungswerk von Neuem. Die Straße in Adelsberg selbst war bald gangbar. Auch ich eilte mit hinaus und überließ meine Zöglinge an der Seite des Türken ihrem gesunden Schlaf. – Welch ein Anblick! Die Gegend war nicht mehr zu erkennen. Wo die Straße sich hinzog, ragte ein Schneehügel auf, unheimlich von der Morgensonne geröthet. Aber die Luft war ruhig geworden, und so gingen denn Hunderte von Händen mit Schaufeln und Karren an die Arbeit. – Ich eilte auch nach der andern Seite der Verwüstung hin, zur Straße, die nach Planina führt. Sie war weniger verweht. Es war Hoffnung, daß sie bald wieder fahrbar würde, zumal man diese Arbeit von jedem Orte am Wege aus in Angriff nimmt.

Gegen Mittag war die Ausgrabung auf der Präivalder Seite bis zu unserer Schneemauernische vorgerückt. Die Arbeit war außerordentlich schwer. Die Bora hatte ihren Flugschnee so fest zwischen die Geschirre und die Wände eingekeilt, daß man viele Thiere stehend erstickt und erfroren fand. Auch unsere Pferde lehnten wie lebend an der Schneemauer. Wir fuhren unseren Schlitten selbst zum Gasthaus, und da Nachmittags die Nachricht von Planina kam, daß der Weg frei sei, so verließen wir die Stätte des Schreckens und Jammers, dessen Bilder uns auf der Straße noch oft genug entgegenstarrten. Von den verschütteten Handwerksburschen lagen mehrere ausgegrabene an der Straße. Was der Abgrund zur Rechten verschlungen halte, bedeckte der Schnee; nur ein Pferd konnten wir erkennen, dessen Hals ein Fuhrknecht umklammert hielt. Sie hatten treu bis in den Tod zusammengehalten.

In Planina begrüßten wir die Grenze des Reichs der Bora; die ausgestandene Schreckniß blieb nicht zurück, sondern hielt noch auf der Eisenbahn, die wir in Laibach bestiegen, die Erinnerung fest an die Adelsberger Nacht gebannt.

Schon damals sprach man in Laibach gegen uns die Hoffnung aus, durch die Locomotive auch der Bora Herr zu werden. Eines der großartigsten und kühnsten Bauwerke aller Zeiten und aller Länder wurde vollendet: die Karstbahn. In der That schien ihr Sieg über den König aller europäischen Sturmwinde ein vollendeter zu sein, denn außer den Schneewehen hatte man Jahre lang keinen Unfall auf der Bahn zu beklagen. Da bringt die Ostdeutsche Post folgende Nachricht: „Schon seit Sonnabend den 11. Februar) früh herrschte auf der Strecke nächst Laibach eine derartige Bora, daß Telegraphenstangen umgeworfen, Bäume entwurzelt und riesige Schneemassen in die Bahneinschnitte geworfen wurden. Besonders auf dem Karst wüthete das Unwetter am schrecklichsten und gerade zu der Zeit, als der aus Wien gekommene Lastenzug Nr. 133 die Karstböschung passiren wollte. Trotzdem mit voller Kraft gefahren wurde, bewegte sich der Zug nur äußerst langsam vorwärts und hatte das den Zug begleitende Dienstpersonal die größte Vorsicht zu beobachten, um nicht vom Sturme von dem Bahnzuge herabgeschleudert zu werden. In dieser Situation wurde die Station Biavaca gegen sechs Uhr Abends glücklich passirt. Eine kurze Strecke jedoch vor der Station Ober-Lesece bekam der Zug von dem furchtbar wüthenden Sturm einen heftigen Stoß, dem sofort ein zweiter derartiger folgte, daß der Zug aus dem Gleise gebracht wurde, und nun hatte der Sturm vollkommenen Spielraum. Als wären es leichte Wägelchen, wurden zwei Waggons auf den Schienen plötzlich umgeworfen und hierdurch arg beschädigt, während drei andere Waggons, von dem Sturm über die Böschung geschleudert, in der Tiefe gänzlich zertrümmerten. Glücklicherweise

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_170.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)