Seite:Die Gartenlaube (1865) 191.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

kehrte der Häuptling, in dessen Gemüth schon der Verdacht zu wurzeln anfing, daß Werner sein Versprechen, die ganze Angelegenheit der Silbermine geheim zu halten, thörichter Weise verletzt habe, nach Ontonagon zu seinen Leuten zurück, unschlüssig, was er zu thun habe. Er fragte den in dem Städtchen ansässigen Canadier, zu dem er schon deshalb Zutrauen hegte, weil dessen Mutter eine Indianerin aus dem Chippewastamme gewesen war, noch einmal aus, dieser wußte ihm jedoch weiter keinen Rath zu geben, als einstweilen in Ontonagon zu bleiben und an Bord aller vom Westen kommenden Dampfer, welche hier anlegen mußten, Nachforschungen anzustellen, ob Werner oder dessen Begleiter an Bord sei, oder ob vielleicht die Passagiere Auskunft über die beiden Männer ertheilen könnten.

Schon am nächsten Tage lief ein großes Schiff, welches von Superior City am Westende des Sees kam, in den Hafen von Ontonagon ein, um wie gewöhnlich Passagiere auszusetzen und einzunehmen. Wie das immer der Fall zu sein pflegt, strömte ein Theil der Bevölkerung des Städtchens nach dem Landungsdamm, da in diesen entfernten Gegenden die Ankunft eines Dampfers immer als ein Ereigniß betrachtet wird, welches die Monotonie des alltäglichen Lebens angenehm unterbricht. Tawanka und der Canadier folgten dem Strome der Menschen und ließen von dem Ufer aus ihre Blicke über die lange Galerie des Schiffes schweifen, auf der die Passagiere in bunten Gruppen standen, um die herrliche Scenerie des Hafens zu betrachten. Da stieß Ambrose, so hieß der Canadier, den Häuptling leise an und machte ihn auf einen Mann aufmerksam, welcher, den Hut in die Augen gedrückt und das Gesicht theilweise durch einen Shawl verborgen, in der Kajütenthüre stand, gleichsam als scheue er sich, offen auf die Galerie hervorzutreten.

„Das ist der Begleiter des deutschen Bergmanns!“ sagte der Canadier und eilte dann, von dem Häuptling gefolgt, an Bord des Dampfers, wo sie hastig alle Räume durchspähten, ohne eine Spur von Werner zu entdecken. Ambrose, der mit den Gewohnheiten des civilisirten Lebens ziemlich vertraut war, ging nun zu dem Clerk des Schiffes, um dort Auskunft darüber zu erhalten, ob der Deutsche unter den Passagieren sei, oder nicht. Als der Clerk, nachdem er die lange Liste durchgesehen, erklärte, daß ein Mr. Werner sich nicht darunter befände, fragte der Canadier, ob nicht ein Mr. Jones an Bord sei. „Ei ja,“ war die Antwort, „Cabine Nr. 40, derselbe, welcher zwei schwere Kisten im Raume verladen hat. Doch da kommt er ja selbst!“ und zu dem eben in die Kajüte Eintretenden gewandt, rief der Clerk: „Mr. Jones, da ist ein Canadier und ein Indianer, die Sie zu sprechen wünschen.“

Der so Angeredete schien anfangs etwas betroffen zu sein; doch da er sah, daß er es nur mit einem Halbblut und einer Rothhaut zu thun hatte, trat er dreist vor und fragte mit barscher Stimme, was man von ihm wolle. Dieses Mal nahm aber Tawanka das Wort und, den Amerikaner von oben bis unten mit seinen Augen musternd, flüsterte er in tiefem Kehlton: „Wo ist Werner? sagt mir, habt Ihr ihn nach der Insel begleitet?“

„Gott verdamme Eueren Werner und Euere Insel!“ rief Jones aus, „ich weiß nicht, was Ihr wollt. Geht zum Henker, sonst will ich Euch zeigen, wie ein Gentleman solche rothe Canaille behandelt.“

„Meine Haut ist wohl roth, aber Euere Hand ist vielleicht röther,“ erwiderte gelassen Tawanka. „Sagt mir, wo habt Ihr den deutschen Bergmann verlassen?“

„Ich sage Euch noch einmal, ich kenne keinen deutschen Bergmann,“ antwortete Jones, „und wenn Ihr mich nicht in Ruhe laßt, so werde ich Euch durch die Matrosen vom Bord jagen lassen.“

Jetzt mischte sich auch Ambrose in den Streit und behauptete Jones in das Gesicht hinein, daß er wissen müsse, wo Werner geblieben sei, denn er selbst, Ambrose, habe sie beide an Bord gehen sehen.

Dieser heftige Auftritt hätte vielleicht noch ernste Folgen nach sich gezogen, da einige der Passagiere sich in den Streit zu mischen anfingen und, weil es Amerikaner waren, unbedingt für ihren Landsmann Partei nahmen. Die Ruhe und Würde Tawanka’s imponirten ihnen freilich, indessen, da sie nicht wußten, worum es sich handelte, wäre es vielleicht bei ihren Vorurtheilen gegen die rothe Race zu Thätlichkeiten gekommen, wenn nicht gerade im kritischen Augenblick die Glocke des Dampfers das Zeichen zur Abfahrt gegeben hätte. Der Häuptling und der Canadier hatten nun keine Zeit mehr zu verlieren, um über die Landungsbrücke zu kommen, wenn sie nicht anders als unfreiwillige Passagiere mitfahren wollten, und so blieb ihnen Nichts weiter übrig, als das Schiff schleunigst zu verlassen, ohne von Jones irgend einen Aufschluß über Werner’s Schicksal bekommen zu haben.

Tawanka, der bis dahin nur einen leichten Verdacht gegen den Yankee gehegt hatte, wurde nun ernstlich besorgt und befürchtete, daß dieser ein verrätherisches Spiel mit Werner getrieben habe, denn wenn Jones sich von dem Deutschen in irgend einer friedlichen Weise getrennt hätte, dann war kein Grund vorhanden, jede Bekanntschaft mit diesem abzuleugnen. Er besprach sich also noch einmal mit dem Canadier, trug ihm auf, alle möglichen Erkundigungen einzuziehen, und begab sich dann eiligst nach der stillen Bucht, wo ihn seine Leute mit dem Mackinawboote erwarteten. Ohne Zeit zu verlieren, machten sich die Indianer auf den Weg und landeten schon nach Verlauf von drei Tagen, weil Wind und Wetter günstig waren, an der Silberinsel, wo der Häuptling, den eine innere Stimme dazu antrieb, weitere Nachforschungen über das Schicksal seines Freundes anstellen wollte.

Zuerst suchten sie die alte Lagerstelle auf und überzeugten sich, daß dieselbe seit der letzten Anwesenheit Tawanka’s von zwei weißen Männern besucht und benutzt worden sei, was sie aus den zurückgelassenen Geräthen und Speiseresten sofort erkannten. Hierauf verfolgten die Odschibbewas verschiedene Fußspuren, welche von dem Feuerplatze in den Wald führten, mit dem sichern Instincte des Bluthundes und kamen bald zu der Gewißheit, daß beide Männer nach dem Innern der Insel zu vorgedrungen wären, daß aber nur einer zurückgekehrt sei. Dieser Umstand kam dem Häuptling besonders verdächtig vor, und nachdem er seinen Leuten die gehörigen Weisungen gegeben hatte, drang er selbst vorsichtig, stets die Spur im Auge haltend, durch das dichte Unterholz bis an den Saum des Forstes vor, welchen er auch richtig an derjenigen Stelle erreichte, wo Werner auf dem umgestürzten Baumstamme ausgeruht hatte.

Seinem scharfen Blicke entging nicht, daß hier Etwas vorgefallen sein müsse, denn er sah neben einer Menge stark markirter Fußstapfen einen breiten Eindruck auf dem Rasen, wie wenn eine schwere Last weggeschleift sei. Als er sich bückte, bemerkte er einen ausgerissenen Grasbüschel, an dem vertrocknetes Blut klebte, und zu gleicher Zeit im niedrigen Gestrüpp einen Scalp. Er schauderte einen Augenblick, denn er erkannte Werners hellen Haarwuchs, und der Gedanke kam ihn an, daß dieser von keinem weißen Manne getödtet sei, sondern von einem Indianer; wie er jedoch die abgezogene Kopfhaut genauer betrachtete, sah er auf der Stelle ein, daß eine Rothhaut unmöglich der Thäter gewesen sein konnte, da der Scalp zu ungeschickt gelöst war, auch würde kein Indianer einen solchen wegwerfen. Während er über diesen sonderbaren Umstand nachdachte, kam einer seiner Leute athemlos gelaufen und machte ihm die Anzeige, daß die Leiche eines weißen Mannes im Walde gefunden sei und keine andere sein könne, als diejenige Werner’s, welche man trotz der vorgeschrittenen Verwesung zu erkennen glaube. Die Füchse und die Seeraben, welche den Ort umkreisten, hatten die im Walde vertheilten Odschibbewas aufmerksam gemacht, und so hatten sie die traurigen Ueberreste ihres alten Freundes unter den Baumzweigen, welche der Mörder darüber aufgehäuft hatte, hervorgezogen.

Groß war der Schmerz Tawanka’s, als er die verstümmelte und entstellte Leiche an ihm wohlbekannten Merkzeichen und an dem fehlenden Scalp wiedererkannte, und er wäre kein Indianer gewesen, wenn er nicht in diesem Augenblicke dem feigen Mörder blutige Rache gelobt hätte. Der Umstand, daß der todte Mann das Versprechen der Verschwiegenheit gebrochen hatte, fiel bei ihm nicht mehr in das Gewicht, er dachte nur daran, wie er Jones, denn kein Anderer konnte der arglistige Verbrecher sein, zur Strafe ziehen könnte. Doch er bemeisterte seine innere Bewegung bald und trug seinen Leuten sofort auf, die Leiche tief und sicher in der Erde zu verscharren, damit sie keine Beute der Raubthiere werde. Nachdem der Befehl vollzogen, kehrten die Odschibbewas zu der Lagerstelle am Ufer zurück, um dort auf ihren Häuptling zu warten, der allein und in Gedanken versunken den steilen Höhen zuschritt, auf denen sich die Silbermine befand.

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_191.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)