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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 13. 1865.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Der Fremde schritt vorüber und eilte durch den Hausgang in den obern Stock wo der Tanzplatz war; es hatte den Anschein, als wolle er den unangenehmen Eindruck der letzten Begegnung durch freundlichere Bilder verwischen. Es hatte schon zu dämmern angefangen und der Tanz, welcher auf Befehl der Obrigkeit nicht in den Abend hinein dauern durfte, war bei seinem Schlusse angelangt; der „Polsterl-Tanz“, das Ende und einer der Hauptreize des Festes, hatte begonnen. Die Bursche und Mädchen standen in weitem Kreise und hielten sich an den Händen gefaßt; in der Mitte stand die Braut, das Ehrenkrönlein aus Silberflitter auf dem Kopf, in der Hand ein Bettkissen, nach Landessitte ein Polster genannt. Sie machte einige tanzende Schritte hin und her, indem sie einen alten Reim halb sang, halb hersagte; dann mußte sie das Kissen vor dem Tänzer, den sie wählte, zu Boden werfen; der Bursche kniete darauf nieder, worauf die Wählende ihn einigemale zierlich umkreiste, dann aber mit einem Kusse aufhob und nach dem lustig einfallenden Ländler mit ihm einigemale im Kreise herumtanzte. Dann schlüpfte das Mädchen aus dem Ring, und nun war es an dem Tänzer sich auf gleiche Weise eine Partnerin zu wählen, und so währte das Spiel, bis zuletzt ein ungewähltes Paar übrig blieb. Das mußte dann wohl oder übel mit einander tanzen, und irgend ein Spaßvogel sprang mit dem Kehrbesen hinter ihnen drein und fegte sie unter allgemeinem Gelächter zur Thür hinaus. Alle bäuerliche Lustbarkeit, aller ländlich-derbe Scherz wurde dabei losgelassen; Gunst, Abneigung und Neckerei hatten ihr freiestes Spiel, zumal wenn eine schelmische Dirne dem sich schon begünstigt glaubenden Burschen das Kissen rasch unter den Knieen wieder wegzog, daß er hart auf den harten Boden plumpen und sich den Mund wischen mußte.

Die Braut hatte sich ihren Neuvermählten geholt, dieser die erste Kranzeljungfer, und jetzt stand diese in der Mitte und ließ die blauen Augen im Kreise herumgehen, um den Würdigen zu erspähen, den sie mit Kuß, Kissen und Tanz beglücken sollte. Es war ein hübsches Mädchen, zu dessen blondem Haar der grüne Kranz mit weißen Blumen gar lieblich stand und dessen rothe Wangen den Rosenstrauß im schwarzen Mieder beschämten. Auf einmal blieb ihr Blick überrascht an dem fremden Jäger hangen, der zuschauend mit voller Kopfeslänge alle Bursche überragte. Ihre Wange färbte sich tiefer, einen Augenblick schien sie unschlüssig zu zaudern, dann aber, wie von etwas Unwiderstehlichem angezogen, eilte sie auf den Jäger zu und legte ihm das Kissen vor die Füße. Mit einem Anstande, der weit über die Verhältnisse der ganzen Umgebung ging, ließ der Fremde sich auf ein Knie nieder, und da das Mädchen, nun erst der übernommenen zweiten Verpflichtung sich erinnernd, unschlüssig zögerte, umschlang er sie rasch und drückte ihr keck und doch nicht ausgelassen einen herzhaften Kuß auf die frischen Lippen.

Während des Tanzes schien mit Beiden eine eigenthümliche Veränderung vorzugehen; das Mädchen hatte seine ganze frische Munterkeit eingebüßt und kam mit den niedergeschlagenen Augen nicht von der Erde los – auch der Jäger war wie befangen, und wenn auch seine Blicke unverwandt an dem Antlitz seiner schönen Tänzerin hingen, fand er doch kein Wort, in dem angeschlagenen freien Tone fortzufahren. Die Zuschauer folgten staunend den Tanzenden und meinten, daß sie selten noch ein schöneres Paar, ganz gewiß aber niemals einen Tänzer gesehen, der solche Zierlichkeit mit gleicher Kraft und Ausdauer verband. Er berührte kaum den Boden und doch war jeder Schritt fest und kräftig; jede Bewegung der Arme, jede Drehung war so angenehm, daß sie einem Edeljunker keine Unehre gemacht hätte. Jäger waren bei den Tänzen der Bauern keine gern gesehenen Persönlichkeiten; die Bursche fingen daher schon an, finstere Mienen zu machen und sich zu berathen, ob der Eindringling geduldet werden sollte; dieser aber hatte inzwischen, als der Tanz beendigt und seine Tänzerin aus dem Kreise geschlüpft war, das Kissen wieder vor der Braut niedergelegt und wußte das so fein zu machen, daß die Geschmeichelte dem hübschen Jäger ohne Widerwillen folgte. Endlich frei geworden spähte er mit dem Auge eines Falken im Tanzsaale umher und hatte bald die Kranzjungfer entdeckt.

Sie war auf die Altane vor dem Saale getreten und fächelte sich, an die Brüstung gelehnt, mit einem Tüchlein kühle Luft zu; es war ihr so wunderbar warm geworden bei dem letzten Tanze.

Sie schrak leicht zusammen, als der Jäger unvermuthet zu ihr trat und sie mit höflicher Verbeugung ansprach. „Will mir die Jungfer wohl erlauben, daß ich ihr Gesellschaft leiste?“ sagte er. „Es ist lieblicher und stiller da außen als auf dem dumpfigen Tanzboden.“

„Wenn’s dem Herrn beliebt,“ erwiderte sie schüchtern, „ich kann’s dem Herrn nicht verbieten!“

„Ich möchte aber,“ fuhr er schmeichelnd fort, „daß die Jungfer mir das Dableiben nicht nur nicht verbietet, sondern erlaubt … daß sie es gern sieht, wenn ich bei ihr bin.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_193.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)