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mit der Ermunteruug an: er sei es seinem Namen schuldig, sich seiner Aufgabe würdig zu machen und sich für dieselbe auszubilden. Die Seele Beider wurde durch den Glauben an eine große Zukunft und die Plane zur Verwirklichung derselben ausgefüllt. Deshalb vergaß der Prinz bei aller Bescheidenheit und Schlichtheit seines Benehmens und bei der Einfachheit seiner Erscheinung nie das Gefühl seines Ranges und seiner Hoheit, wie sich das stets durch eine gewisse Abgemessenheit und Zurückhaltung fühlbar machte.

Louis war in die schweizerische Artillerie eingetreten, hatte vom General Dufour Unterricht genossen und war zum Rang eines Hauptmanns emporgestiegen. Als solcher gab er im Jahre 1833 seine politischen und militärischen Betrachtungen heraus, deren militärischer Theil daß Lob der Kenner erregte. Später erschien ein Schriftchen: „Napoleonische Ideen“, welches stark im Republikanismus fußte. Er wollte von sich sprechen und die Welt auf seine Person aufmerksam machen, deshalb suchte er alle Hebel in Bewegung zu setzen und verschiedene Kräfte zu seinen Zwecken zu benutzen.

Im italienischen Feldzuge war Louis mit mehreren später geächteten Personen bekannt geworden, so mit dem feinen und gewandten Arzt Enrico Conneau aus Florenz, durch dessen Hülfe er vorzugsweise aus dem Schloß Ham entkam; ferner mit dem geistvollen und feurigen Grafen Arese und mit Visconti. In Rom hatten Mutter und Sohn den Maler Cottreau kennen gelernt, der dann mehrere Jahre auf Arenenberg lebte und hier seine Kunst ausübte. Zu ihnen gesellten sich noch mehrere Franzosen, von denen der ernstere Persigny, sowie de Querelles und Laity die ausgezeichnetsten waren. Sie verweilten häufig und länger auf Arenenberg. Mit ihnen und dem Obersten Carl Parquin, welcher die Vorleserin der Königin, Fräulein Cochelet, geehlicht und das nahe Schloß Wolfsberg gekauft hatte, wurde der Plan zu dem kühnen Streiche aus Straßburg berathen. Das Schloß konnte vor diesem Ereigniß oftmals die Zahl seinr Gäste nicht fassen, welche deshalb in Ermatingen untergebracht werden mußten.

Schon an und für sich zurückhaltend verrieth der Prinz durch kein Wort und keine Miene dasjenige, was ihn wachend und träumend beschäftigte. Er hatte die Jagd in den Waldungen der badenschen Gemeinden von Wollmatingen bis Marktelfingen im Anfange der dreißiger Jahre auf zehn Jahre gepachtet, mehr um seiner Freunde, als seiner selbst willen. Obgleich ein sehr guter Schütze, liebte er die Jagd doch nicht leidenschaftlich. Wurden mehr Rehe geschossen, als zur Deckung des Bedürfnisses erforderlich, waren, so verkaufte er dieselben um keinen Preis, sondern verschenkte die überflüssigen an die Armen von Allensbach, damit sie auch Wildpret genießen könnten.

Einstmals saß er, als die Jagdgefährten sich schon auf den Anstand gestellt hatten, träumerisch und in sich verloren unter einem Baume und starrte in die Gegend hinaus. Ihm nahte sich der Gemeindeammann Hutterle von Salenstein, ein bei ihm sehr wohlgelittener Mann, und fragte ihn: „Prinz, woran denken Sie und warum jagen Sie nicht?“

Dieser entgegnete: „Wenn ich mir denken könnte, daß meine Kappe wüßte, was unter ihr vorginge, so würde ich sie augenblicklich verbrennen.“

Schon einige Zeit trug sich der Prinz mit dem Gedanken, gezogene Kanonen zu erfinden. Er ließ zu diesem Behufe im Jahre 1836 Kanonen in der Constanzer Glockengießerei gießen und Züge aus Stahl durch den Mechaniker Klein daselbst fertigen. Eine dieser Kanonen gerieth schlecht und sollte also wieder zerstört werden. Man versuchte dies zweimal vergeblich durch Ladung von trockenem Sand, den man auf den Wunsch des Professors Lachmann sogar von Paris zu diesem Zwecke kommen ließ. Klein versuchte es auf eine andere Weise, mittels einer fest passenden Schraube. Der Versuch zur Sprengung wurde an einem bestimmten Tag in Gegenwart des Prinzen zwischen dem Kreuzlinger- und Emmishoferthor bei Constanz gemacht, wo damals noch die Wallgräben standen. Er gerieth so gut, daß die Stücke überall und selbst bis auf die Marktstätte flogen und einen gewaltigen Spectakel erregten. In der ersten Verwirrung setzte sich der Prinz auf sein Roß und ritt in gestrecktem Galopp davon auf das thurgauische Gebiet. Er kehrte nicht wieder nach Constanz zurück, bis die Sache geschlichtet war, die übrigens nicht viel auf sich hatte, weil die Polizei vom Unternehmer vorher benachrichtigt worden war. Mit den zwei übrigen Kanonen machte er Schießübungen von Arenenberg nach einer Scheibe, die in der gegenüberliegenden Reichenau aufgestellt war. Er verfehlte in mehreren Schüssen sein Ziel nie.

Inwieweit Hortense in die Pläne des Prinzen auf Vertreibung Louis Philipp’s eingeweiht war, ist unbekannt. Wahrscheinlich wußte sie mehr davon, als man glaubt; denn als er sie unter dem Vorwand verließ, einer Jagd in der Nähe von Hechingen beizuwohnen, schlang sie ihre Arme um seinen Hals, drückte ihn an’s Herz und steckte ihm fast unbemerkt den Verlobungsring Napoleon’s und Josephinen’s an den Finger, welchen Sie als eine Art von Talisman in der Stunde der Gefahr betrachtete. Der unglückliche Ausgang des 30. Octobers 1836 in Straßburg ist bekannt. Es erschien darüber eine eigens Broschüre in französischer und deutscher Sprache. Das Schiff, welches den König von Frankreich dem Prinzen zur Verfügung gestellt hatte, brachte ihn nach Rio Janeiro in Brasilien. Von hier aus schrieb er an seine Mutter: „Vor zwei Monaten wünschte ich nie mehr nach der Schweiz’ zurückzukehren. Wenn ich mich jetzt meinen Gefühlen überlassen wollte, so hätte ich kein anderes Verlangen, als mich wieder in meinem kleinen Zimmer zu finden und in dem schönen Land, wo ich so glücklich hätte sein können.“

Doch blieb er nicht lange in Brasilien, da ein Brief seiner innigstgeliebten Mutter vom 3. April 1837 ihn zur baldigsten Rückkehr nach dem Arenenberg aufforderte. Sie litt an einer schon lang verheimlichten fruchtbaren Krankheit (Gebärmutterkrebs), auf deren Heilung sie nicht mehr zu hoffen wagte, und sprach es als den höchsten ihrer Wünsche aus, ihren Sohn noch einmal zu sehen. Der Prinz trotzte der Regierung Louis Philipp’s, fuhr wieder über den Ocean und langte am 4. August 1837 bei seiner Mutter an. Diese ging mit ruhiger Heiterkeit und entschlossenem Muthe dem Tode entgegen, da sie die feste Ueberzeugung in sich trug, daß ihr Sohn für eine hohe Stellung bestimmt sei. Je näher der Tod an sie heranrückte, desto liebevoller ward sie; ein jedes Blümchen war im Stande, sie zu erfreuen. Unendlich glücklich war sie, wenn der Sohn mit einem Gefährten sie im Freien herumtrug. Mit Herzlichkeit nahm sie von allen ihren Dienern Abschied, welche sie ihrem Sohne bestens empfahl. Als dieser nach der letzten Unterredung ohne Zeugen von ihrem Sterbebette wegging, rief sie ihm immer und immer wieder zu: „Lebe wohl, Louis, lebe wohl für immer.“ Sie hielt die Hand eines alten Priesters von Ermatingen, bis sie verschied. Dies geschah am 5. October 1837 Morgens um fünf Uhr.

Sechs Tage darauf, am 11. October Morgens neun Uhr, fand das Leichenbegängniß der Königin in feierlichster Weise statt. Nachdem der Sarg, von zahlreichen Leidtragenden begleitet, nach der Kirche zu Ermatingen gebracht mit hier vom Prälaten des nahen Kreuzlingen ein Trauerhochamt abgehalten worden war, trug man ihn in derselben feierlichen Weise nach dem Arenenberge zurück, wo die Leiche ruhte, bis die Erlaubniß eintraf, sie nach Ruelle bei Paris zu verbringen, wo auch die Mutter der Königin, die Kaiserin Josephine, den ewigen Schlaf schläft.

Die Verschiedene hatte schon am 3. April 1837 ihr Testament gemacht und die Frau Salvage zur Vollstreckerin desselben ernannt. Ich unterlasse des beschränkten Raumes wegen, welcher mir vergönnt ist, die Angabe der einzelnen Vermächtnisse, so interessant sie auch in mancher Beziehung sein möchten, und theile nur einige Hauptstellen des Testamentes mit: „Der Regierung des Cantons Thurgau hinterlasse ich eine goldene Pendeluhr, die, meinem Wunsche nach, in den Saal des Landraths gestellt werden soll. Dieses Andenken möge sie an den edeln Muth erinnern, womit man mir eine ruhige Gastfreundschaft in diesem Canton bewahrt hat. Ich hoffe, daß mein Lohn den Herrn Vincent Rousseau immer bei sich behalten wird. Seine Ergebenbeit und seine Uneigennützigkeit können nicht bezahlt werden; ich will, daß er wisse, wie hoch ich ihn schätze und wie sehr ich wünsche, daß er meinem Sohne diene, wie er mir gedient hat. Mein Gemahl möge meinem Andenken eine Erinnerung schenken und er wisse, daß mein größtes Leid dasjenige war, daß ich ihn nicht glücklich machen konnte. Ich habe meinem Sohn keine politischen Rathschläge zu ertheilen; ich weiß, daß er seine Lage kennt und daß er weiß, was für Pflichten sein Name ihm auferlegt. Allen Fürsten, mit denen ich in Freundschaftsbeziehungen gestanden, verzeihe ich die Leichtfertigkeit ihres Urtheils über mich. Allen Ministern und

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