Seite:Die Gartenlaube (1865) 210.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Seitenblick auf Hiesel’s waidmäninschen Anzug ein, „das siehst am Gewand!“

„Das Gewand hab’ ich versteckt gehabt,“ entgegnete Hiesel, „wär’s Dir vielleicht lieber gewesen, wenn ich in einem gewissen grauen Kittel gekommen wär’? … Aber ich bin nit wegen Deiner gekommen, Schwester, ich weiß wohl, daß es Dir am Liebsten wär’, wenn sie mich ganz behalten hätten in München … aber ich komm’ zu Vater und Mutter und hab’ eine Bitt’ an den Vater! Es geht Dir hart, Vater,“ fuhr er fort, als dieser ihn mit verwunderten, fragenden Blicken ansah, „Du mußt viel schaffen und arbeiten in Deinen alten Tagen, und ich kann Dir nit helfen, drum hab’ ich, eine Bitt’, daß Du Dir’s leichter machen sollst und sollst das Bissel da annehmen von mir …“

Er schob und legte einen wohlgefüllten Beutel auf den Tisch; der Alte zog die Hände zurück, als scheue er sich, das Angebotene zu berühren. „Kannst es mit gutem Gewissen anrühren und nehmen,“ rief Hiesel mit bittrem Lachen, „ich hab’s ehrlich verdient. Der Zuchthausverwalter hat mich zur Aushülf’ verwendet in der Schreiberei … das ist mein Arbeitslohn … Aber wo ist denn die Mutter, daß ich sie gar nit seh?“ setzte er hinzu und sah in der Stube umher, die er schon vorher mit unstäten Blicken durchflogen hatte. „Laßt sich denn die Mutter gar nit sehn? Sie wird sich doch nit vor ihrem eigenen Sobn verstecken?“

„Deine Mutter …?“ rief der Alte und erhob die gefalteten Hände, sie zitterten, wie der Ton seiner Stimme. Die Schwester stieß das Spinnrad von sich und eilte aus der Stube, die Schürze vor dem Gesicht. „Deine Mutter hat sich wohl vor Dir versteckt, und so gut, daß Du sie nimmer finden wirst!“

„Vater!“ schrie Hiesel aus und mußte sich mit der Hand auf die Tischplatte stemmen, es war, als habe er einen plötzlichen Streich erhalten, der seine ganze Kraft erschütterte. „Vater … das kann ja nit möglich sein!“

„Die Mutter,“ fuhr der Alte bebend fort, „die hat’s geschwind gar gemacht … sie ist gestorben … am nächsten Erchtag werden’s eilf Wochen, da haben wir sie ein’graben …“

„Die Mutter?“ stieß Hiesel aus keuchender Brust hervor. „Und an mich hat kein Mensch gedacht, daß er mir’s auch nur zu wissen gemacht hätt’! Mein’ gute Mutter …“ In Hiesel’s Benehmen und Haltung hatte sich bis jetzt ein kalter, rückhaltender Trotz ausgeprägt, noch gereizt durch das höhnend scharfe Betragen der Schwester, mit diesem Ausruf war es, als ob ihn alle Festigkeit verlassen hätte, als ob die Feder gebrochen wäre, die ihn so lange in gewaltsamer Spannung gehalten: mit einem schweren Seufzer knickte er auf die Bank zusammen, die Arme über den Tisch gebreitet und in ihnen das Antlitz verbergend. Der wildstarke Mann hatte ein gar weichmüthiges Herz; es war sein Erbtheil von dem schwächeren Vater, das entschlossene Wesen hatte er von der Mutter überkommen, die vermöge desselben im Leben das Haus nicht nur verwaltet, sondern auch beherrscht hatte.

„Weinst, Hiesel?“ fuhr der Vater fort. „Weinst um Dein’ Mutter? Du hast ganz recht, wenn Du’s thust … wie sie Dich gefangen und fortgeführt haben … Du weißt schon, wohin, das ist der Nagel zu ihrem Sarg gewesen, das hat sie nicht verwinden können und ist völlig von einem Tag zum andern dahingeserbt! – Wie wir Alle herumgestanden sind um ihr Todbett, da hat sie die Augen noch einmal aufgemacht und hat sich noch einmal aufrichten wollen und hat in der ganzen Stuben umhergeschaut, als wenn sie was suchen thät … dann hat sie den letzten Zug gemacht… Sie hat sich gar schön und christlich gericht’ zu ihrem End’, und ihr einziges Leid ist’s gewesen, daß sie Dich hat suchen müssen in ihrem letzten Augenblick, und daß sie Dich nit gefunden hat und wo sie Dich hat suchen müssen in Gedanken – darfst wohl weinen um sie, Hiesel … und beten auch!“ setzte er noch eindringlicher hinzu, da Hiesel stumm und unbeweglich in seiner Stellung verharrte. „Sie ist ein braves Weib gewesen, unser Herrgott wird’s wohl gnädig mit ihr gemacht haben … aber wenn sie was abzubüßen hat in der Ewigkeit, so ist’s wegen Deiner, Hiesel, weil sie Dir zu viel nachgegeben und, was ich gut gemacht hab’, allemal wieder zernicht’t hat, wider meinen Willen und hinter mein’ Rücken … darfst wohl beten für sie, wenn Du’s noch, nicht verlernt hast, das Beten!“

Der Alte schwieg, der Sohn erhob sich nach einigen Augenblicken; aus seinem Gesicht war die Erregung und Weichheit wieder verschwunden: er hatte den Zoll kindlicher Liebe und Erinnerung gebracht; in den letzten Worten des Vaters aber lag etwas, was er als einen ungerechten Vorwurf empfand und was ihm rasch die vorige wilde Verschlossenheit wieder gab. „Schänd’ meiner guten Mutter nit ins Grab nach, Vater!“ sagte er trotzig. „Ich mag’s nit hören! Sie hat mir nichts als Lieb’s und Gut’s gethan, so lang’ sie ein offenes Aug’ gehabt hat … sie soll wegen meiner nichts zu leiden und nichts zu verantworten haben in der Ewigkeit! Du auch nit, Vater; keinem Menschen soll’s aufgebürd’t werden – wie’s ausgeht mit mir, gut oder bös, ich nehm’s schon allein auf mich! Also b’hüt’ Gott, Vater – ich seh’s, daß hier meines Bleibens nit länger ist!“

„O Hiesel,“ rief der Greis, als er sich erhob, nach Hut und Gewehr zu greifen. „Geh’ nit so fort von mir, geh’ nit wieder fort – leicht, daß Du mich, wenn Du wiederkommst, nit mehr über der Erd’ antriffst, wie Deine Mutter! – Bleib da, und es soll Alles vergessen sein! Gieb das Wildschützenleben auf, werd’ ein ordentlicher Bursch; ich werd’ der Mutter bald nachfolgen … mach’, daß ich ihr in der Ewigkeit sagen kann, daß ihr Sohn, den sie noch auf dem Todbett gesucht hat, nit verloren ist …“

Hiesel starrte eine Weile in düstrem Brüten zu Boden. „Ich kann nit, Vater …“ sagte er dann. „B’hüt’ Dich Gott und gieb mir noch einmal Deine Hand …“

„Auf dem Weg, den Du gehst,“ rief abwehrend der Alte, „kann meine Hand Dich nit führen … auf dem Weg brauchst sie nit; geh’, Du hast Dir’s ja vermessen, daß Du Alles auf Dich nehmen willst!“

„Das will ich auch – ich kann auch ohne Dein ,B’hüt’ Gott’ gehn, Vater, ich bin noch einmal ’kommen, weil ich Dich und die Heimath und die Mutter noch einmal hab’ sehn wollen, ich hab’ mein’ Schuldigkeit gethan, ich kann’s nit anders!“

Er hatte den Hut aufgesetzt, das Gewehr umgehangen und wandte sich zu gehen.

Starkes Pochen an der Hausthür machte, daß er die Schritte anhielt und gespannt horchend in Mitte der Stube stehen blieb.

„Was bedeutet denn das?“ rief aufstehend der Alte. „Wer will heut’ noch zu uns? Das ist doch seltsam!“

„Mir nicht,“ flüsterte Hiesel entgegen, indem er das Gewehr hob, den Hahn spannte und sich neben den Ofen zurückzog, wo er rückenfrei war und einen Ausweg in die Kammer hatte, aus welcher eine Thür in die Küche und von da in den Stall führte. Tiras, zum Sprunge bereit, knurrte hinter ihm. „Die Schergen haben’s wohl schon ausgestochen, daß ich da bin, und passen mir ab – da kannst sehn, Vater, was ich zu hoffen hätt’, wenn ich blieb’!“

„Heilige Mutter Anna!“ rief angstvoll der Vater, „und so was muß in meinem eigenen Haus passiren!“

Die Schwester, welche vor der Thür im dunklen Fletz gesessen, war inzwischen schon an die Hausthür geeilt und hatte gefragt, wer Einlaß begehre. „Es ist nichts Gefährliches,“ rief sie dann herein, „ich glaub’, nach der Stimm’ ist es gar unser Herr Pfarrer.“

„Der ist es auch,“ sagte eine tiefe, wohltönende Stimme, und in der Thür erschien ein hochgewachsener, schlanker Mann in langem, schwarzem Rock, die Silberschnallen auf den Schuhen und den hohen Rohrstock mit Elfenbeinknopf in der Hand. Als er grüßend das Haupt entblößte, zeigte sich ein silberweißer Scheitel; aus dem milden, freundlichen Antlitz leuchteten Frieden und Wohlwollen. „Siehe da, meine Schäflein kennen die Stimme ihres Hirten, und obwohl ich Wolf heiße, erschrecken sie doch nicht vor mir! Guten Abend, meine Lieben … Gelobt sei Jesus Christus!“

„In Ewigkeit!“ erwiderten, sich verneigend, Vater und Tochter; Hiesel stand immer noch unbeweglich, wie zur Vertheidigung bereit, er schien dem friedlichen Anschein des Besuchs zu mißtrauen.

„Und so spät bemühn sich Hochwürden Herr Pfarrer noch zu uns?“ rief der Alle freudig, während Mirl mit der Schürze die Bank abwischte, um einen reinen Sitz zu bereiten. „Wie komm’ ich denn noch so spät zu der besondern Ehr’?“

„Was ich suche, hab’ ich schon gefunden,“ erwiderte der Pfarrer, auf Hiesel zeigend. „Ich suche diesen wilden Jäger hier, der noch immer dasteht, als wisse er nicht, ob hinter mir nicht die Grünröcke nachkommen! Setz’ Dein Gewehr in Ruh’, Hiesel, ich komme allein und komme Deinetwegen!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_210.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)