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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Du mit Deiner Pflicht, Deine Neigung hältst Du für Beruf! … Sieh, Hiesel!“ fuhr er zutraulich fort und legte ihm die Hand auf die Schulter, „es kann sein, daß Du Recht hast … es ist wohl Manches nicht, wie es sein soll, und vielleicht kommen einmal andere Zeiten, wo ein anderes Gesetz gemacht wird, ein Gesetz, wie Du es meinst, aber jetzt gilt noch das alte Gesetz, und das Gesetz zu achten, befiehlt Dir Deine heilige Religion. Als Christ und als Unterthan bist Du schuldig, Dich dem Gebot der Obrigkeit zu fügen, denn Gott ist es, der ihr die Gewalt gegeben!“

„Die Gewalt!“ murrte Hiesel mit verbissnen Zähnen. „Ja wohl ist es eitel Gewalt, was sie üben … und Gewalt leid’ ich nit; es ist so in mir, daß ich’s nit leiden kann, daß mir oder einem Andern Gewalt geschieht!“

„Gott möge Dich bewahren, daß Du nicht einmal Gewalt erleiden müssest, die viel furchtbarer sein wird, als diese! – Geh’ in Dich, Hiesel, höre die Stimme eines Mannes, der Dich gewiß nicht falsch beurtheilt und der es herzlich gut mit Dir meint! Bedenke, welches Leben Dir bevorsteht … von Mangel, Noth und steter Gefahr umgeben; bedenke, welch’ ein Ende Dich erwartet, durch die Kugel eines Jägers, plötzlich, unvorbereitet, mitten in Deinen Sünden, oder noch furchtbarer in den Händen der strafenden Gerechtigkeit! Deinen Vater wird der Kummer um Dich in’s Grab bringen, wie er schon die Tage Deiner Mutter abgekürzt, und Du selbst wirst unstet umher wandern, ein überall verfolgter Flüchtling! Täusche Dich nicht, die Dich jetzt rühmen ob Deiner Verwegenheit, werden verstummen und sich von Dir wenden in der Stunde der Noth! Du wirst keinen Freund haben, denn Deine wüsten Cameraden sind nur die Genossen Deines Glücks! Du wirst keine Stätte haben, wohin Du ruhig Dein Haupt legen kannst … Du wirst Niemand haben, der sich um Dich kümmert und sorgt, Niemand, der Dich lieb hat; Du wirst nicht Ruhe haben, nicht Heimath, nicht eigenen Heerd!“

Das Angesicht des Wildschützen hatte sich umdüstert; er barg es in den Händen und murmelte wie unwillkürlich: „Keinen eigenen Heerd … Niemand, der mich lieb hat…“

„Siehst Du, das ergreift Dich!“ begann der Pfarrer wieder. „Es zeigt mir, daß Du solche Gedanken und Wünsche auch schon in Dir getragen hast, daß Du Dich, wenn Du Dir’s auch in Deinen wüsten Stunden nicht eingestehen willst, auch schon darnach gesehnt hast, Dein Haus zu haben und einen neuen Kreis von Menschen um Dich zu versammeln, die Dich lieben und die Du wieder liebst, weil Ihr einander gehört nach dem Rathschlusse des Ewigen… Wenn es so ist, Hiesel … wenn dieser Funke wirklich in Dir aufgeblitzt hat, so ersticke ihn nicht, er ist vom Guten, lasse ihn fortglimmen und auflodern, daß er Dich wie eine Flammensäule aus der wüsten Nacht Deiner Zweifel herausführe! Folge dem heiligen Zuge, den Gottes Hand in jede Menschenbrust gelegt … er wird Dir Deine Verwilderung abstreifen, er wird Dich zu einem Menschen unter Menschen machen…“

Hiesel regte sich nicht. „… Was soll ich thun?“ murmelte er nach langem Schweigen durch die geschlossenen Hände.

„Deine Vergangenheit auslöschen in der Erinnerung der Welt!“ rief der Pfarrer bewegt. „Eine neue Lebensweise erwählen … Du bist kühn und kräftig, Du liebst das Außerordentliche und Gefährliche, im Soldatenstande hast Du Gelegenheit, diese Eigenschaften zu benützen, sie geltend zu machen. Du kannst es vielleicht sogar zu hohen Ehren bringen!“

„Hab’ es auch schon hie und da gedacht,“ sagte Hiesel finster, „aber es ist doch nichts mit dem Soldatenrock! Ja, wenn es Krieg gäbe, hätt’ ich mich schon lang nicht besonnen – aber im Frieden mag ich kein Soldat sein … ich mag nicht Schildwache stehn und die Zuchthäuser hüten oder dem Gesindel nachstreichen, mag mich nicht fuchteln oder wohl gar auf die Bank legen lassen … beim bloßen Gedanken siedet’s schon in mir … ich kann nichts vertragen, was wie Zwang aussieht und wie Gewalt!“

„So verlasse diese Gegend; geh’ in ein anderes Land – geh’ nach der Schweiz, wähle ein redliches Geschäft und betreib’ es und dann komm wieder als ein gebesserter, als ein anderer Mensch!“

„Es hilft Alles nichts!“ erwiderte Hiesel dumpf, aber entschlossen. „Und wenn ich zehnmal als ein anderer Mensch zurück käm’ – sie würden’s mir nicht glauben! Sie würden auf mich aufpassen und spioniren und beim ersten Schuß, der fallen thät’, nähmen sie mich beim Kragen, schuldig oder unschuldig …“

Er stand auf.

„So ist es wirklich möglich,“ rief der Pfarrer schmerzlich, „daß Du in Deiner Verblendung bleibst? Daß Schwester, Vater und Freund nichts ausrichten bei Dir? Fallen alle meine guten Wort’ bei Dir nur unter Dornen und auf Felsen?“

„Ich kann nit anders, Herr Pfarrer,“ sagte Hiesel fest, „Ihre wohlgemeinten Reden haben mich erst recht überzeugt, daß bei mir nit zu helfen ist … Ja, ich will’s nit laugnen, Herr Pfarrer, Ihnen will ich’s nicht verlaugnen – einen Augenblick hab’ ich geglaubt, es könnt’ möglich sein, es könnt’ für mich ein Platzel geben, wo ich mir einen eignen Heerd bauen dürft’ … es könnt’ Jemand auf der Welt sein, der mich gern hätt’ und der’s mit mir theilen möcht’ … es war nur eine Einbildung, wie man sich gern selber das weis macht, was man gern haben möcht’. Das Alles ist für mich nit auf der Welt … ich muß ausführen, was ich mir vorgenommen hab’, und ich will’s auch … Ich verzicht’ auf Alles, ich geh’ fort … Ihre Wort’, Herr Pfarrer, sind nit auf Felsen gefallen, aber das Dorngesträuch’ laßt nichts aufkommen, und ich bin’s wahrhaftig nit, der’s eingesetzt und an’pflanzt hat … B’hüt Gott bei einander … Ich kann Euch Allen nichts Besseres wünschen, als – vergeßt’s mich! Denkt’s nimmer dran, daß der Hiesel auf der Welt ist …“

Er wollte der Thüre zu; aber wieder schallte Klopfen von draußen, diesmal stärker als zuvor, und eine laute schnarrende Stimme rief: „Aufgemacht, heda aufgemacht! Ich bin’s, der Vetter Maier! Aufgemacht!“

„Ist das nicht der Vetter Bader?“ rief der Alte. „Was giebt es denn, daß der heute noch bei uns einspricht?“

Inzwischen war die Thür schon geöffnet und der Bader, ein kleiner kugeldicker Mann mit Stutzperücke und steifem Zopf, trippelte händereibend in die Stube. „Verteufelt frisch heute Nacht!“ rief er und warf sein kurzes Mäntelchen auf die Bank. „Sollte mich gar nicht wundern, wenn’s einen tüchtigen Reif machte! Ein gefährliches Wetter für Einen, bei dem das systema lymphaticum so irritirt ist, wie bei mir! Hab’ aber doch nicht warten wollen, hab’ meine Nachricht noch heut’ anbringen wollen!“

„Aber was giebt es denn, Herr Chirurgus?“ fragte der Pfarrer. „Was ist das für eine Nachricht?“

„Ah, Hochwürden Herr Pfarrer auch hier?“ rief der Bader entgegen. „Kann mir vorstellen, warum! Der Seelenarzt ist da wohl am Platz! Aber der Körperarzt, der medicus corporalis wird diesmal doch den Vorrang behalten! Ich habe ein Geheimmittel bei mir, ein Universal-Elixir, probatum est! … Heda, Er junger Mensch! Er Thunichtgut! Seinetwegen bin ich da, ich will ihm das Wildern vertreiben, daß Er seine Lebtage nicht mehr daran denken soll! Gaff’ Er mich nur an … da hab’ ich’s! In meiner Westentasche steckt’s!“

„Nun, ein solches Mittel wäre allerdings ein Arcanum!“ lächelte der Pfarrer. „Nur dürfte es schwer zu finden sein!“

„Ist gefunden, Herr Pfarrer, ist gefunden! Was hab’ ich hier in meiner Hand? Was enthält dies Schreiben aus der Residenzstadt, das ich so eben noch durch einen Erpressen von Friedberg erhalten habe?“

„Ein Schreiben aus München?“ rief Hiesel. „Und das mich betrifft?“

(Fortsetzung folgt.)




Das Junkerthum unter der Kaiserfaust.
Von Wilhelm Zimmermann.

Jemehr im Laufe der Jahrhunderte das Reich deutscher Nation sich in einzelne Theile zersplitterte, immer mehr in sich zerfiel, und je rascher immer mehr verschwand vom alten Glanze und von der ehemaligen Macht nach außen: desto mehr wurde von der Sehnsucht des Volksherzens die Gestalt des Kaisers Rothbart, des gewaltigsten der Hohenstauffen, in der Erinnerung und Sage verklärt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_212.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2022)