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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

schon damals zu ernsten Besorgnissen Anlaß gebender Kränklichkeit gelegt hatten, geworden ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat er sie, wie so manches andere seiner Geistesproducte, das ihm selbst nicht genügte, in einer Anwandlung von Spleen in’s Feuer geworfen. Dagegen beruhte seine ganze Hoffnung auf Ruhm und Erwerb damals auf seinen dramatischen Arbeiten. Er hatte deren seit einiger Zeit zwei vollendet und war so freundlich, sie mir zum Lesen zu geben.

Die erste war ein fünfactiges Schauspiel, welches unter dem Titel: „Der Engel von Augsburg“ die bekannte Geschichte der Agnes Bernauer zum Gegenstand hatte. In blühender, edler Sprache geschrieben und an poetischen Schönheiten fast überreich, war es meiner Ansicht nach würdig, den besten Erzeugnissen, welche unsere Literatur auf diesem Gebiete besitzt, beigezählt zu werden. Auf Antrieb des Dr. W., der überhaupt unablässig bemüht war, Ludwig zu einer energischeren Geltendmachung seines eigenen Werths aufzurütteln, hatte dieses Schauspiel schon bei einigen Bühnendirectionen die Runde gemacht, allein Niemand wollte von dem „Engel von Augsburg“ etwas wissen. Wer war auch Ludwig? Und wie konnte er erwarten, daß man mit den Erstlingen eines begabten Dichters experimentire, so lange das deutsche Theater noch von seinen gleichsam fest angestellten Lieferanten mit dein beliebten Mittelgute versorgt ward?

Ein gleiches Schicksal hatte das zweite Stück, ein Lustspiel unter dem Titel: „Hans Frei“. Es war eine in wunderschönen gereimten Versen geschriebene reizende Idylle, welche, gut dargestellt, die Gunst und den Beifall des Publicums unbedingt im Fluge hätte erobern müssen. Ebenso aber, wie der „Engel von Augsburg“, kehrte auch „Hans Frei“ von seinen Wanderungen stets wieder heim, ohne irgendwo gastliche Aufnahme gefunden zu haben. Oft sah man an der innern Verpackung des Manuskripts ganz deutlich, daß es gar nicht geöffnet und folglich auch nicht gelesen worden war. Einer jetzt, nach Ludwig’s Tode, veröffentlichten Zeitungsnotiz zufolge ist dieses Stück von einer Stelle, an die es ebenfalls versendet worden, gar nicht wieder zu erlangen gewesen und somit wohl als für immer verloren zu betrachten. Es ist mir, als sähe ich es jetzt noch vor mir liegen. Es war von einem Kalligraphen sehr sauber auf ganze Bogen abgeschrieben und in graumarmorirte Pappe gebunden.

Einen höchst eigenthümlichen Anblick bot Ludwig stets, besonders aber dann dar, wenn man ihn bei der Arbeit überraschte. In eine fast undurchdringliche Wolke von Tabaksdampf gehüllt, saß er tief über den Tisch gebeugt, mit einem um Stirn und Hinterkopf geknüpften Bindfaden, weil sonst sein lang herabfallendes Haar ihn am Sehen gehindert und das Geschriebene fortwährend verwischt haben würde. Dabei arbeitete er höchst unregelmäßig, zuweilen wochenlang gar nicht, oder kaum eine Stunde des Tages, wie nun eben sein körperlicher Zustand es gestattete.

Eines Tages, als ich gegen Abend bei ihm eintrat, saß er unbeweglich auf einem in der Mitte des Zimmers frei stehenden Stuhle und rief mir flüsternd zu, daß ich nicht näher kommen, sondern an der Thür stehen bleiben möchte. Da ich seine wunderlichen Launen kannte, so kehrte ich mich natürlich an dieses Verbot nicht, sondern ging stracks auf ihn zu. Mit im ersten Augenblick unwilliger, dann aber sofort wieder freundlicher Miene erhob er sich und sagte, nun hätte ich den Zauber gestört und es sei ihm dies gewissermaßen selbst lieb. Er hätte nämlich, setzte er hinzu, seit länger als sechs Stunden so dagesessen, weil plötzlich eine Schaar von Liliputern oder winzigen Gnomen aus der Diele hervorgekommen, an seinen Füßen und Beinen emporgeklettert sei und sofort begonnen habe, auf seinen Knieen einen Thurm zu bauen, der bei meinem Eintritt schon ziemlich bis an die Decke des Zimmers emporgereicht habe. Natürlich habe er, um das Werk nicht zu stören, weder Hand noch Fuß zu rühren gewagt.

Dergleichen sonderbare Marotten, welche Jedem, der ihn nicht kannte, Zweifel an seinem Verstand eingeflößt haben würden, waren bei ihm nichts Seltenes, ohne jedoch für die Klarheit seines Denkens auch nur die mindeste nachtheilige Wirkung zurückzulassen. Mir, dem an regelmäßige Thätigkeit und bestimmte Arbeitsstunden Gewöhnten, kamen seine oft zu sehr außerordentlichen Tageszeiten stattfindenden Besuche zuweilen ein wenig ungelegen. Ich sah mich deshalb nothgedrungen, einmal eine kleine Andeutung hierüber fallen zu lassen. Diese aber genügte vollkommen, und nie setzte er seinen Fuß wieder über meine Schwelle zu andern Zeiten als solchen, wo er wußte, daß er mich nicht störte. Niemand konnte ängstlicher als er bedacht sein, der persönlichen Freiheit und den Lebensgewohnheiten eines Andern nie den mindesten Zwang anzuthun.

Eine ganz besondere Vorliebe besaß er für witzige Anekdoten und war im Erzählen solcher geradezu unerschöpflich. Ich hatte früher geglaubt, auf diesem Felde ebenfalls etwas zu leisten, mußte aber, nachdem ich Ludwig kennen gelernt, mir selbst gestehen, daß ich ihm auch in diesen Allotriis, wie man zu sagen pflegt, nicht das Wasser reichte. Oft machten wir, Dr. W. und ich, es uns zum Spaß, bei irgend einem Gegenstände der Unterhaltung ihn zu fragen: „Wie war doch gleich die Anekdote, die Sie einmal hierüber erzählten?“ Es war dies natürlich von unserer Seite blos ein harmloses Vorgeben, um ihn in Verlegenheit zu bringen. Dies gelang uns aber nie, denn nach kurzem Besinnen sagte er allemal: „Ach, das wird die gewesen sein!“ und dann erzählte er eine Anekdote über den fraglichen Gegenstand, mochte derselbe nun sein, was für einer es immer wollte.

Sein geistiges Schaffen war schon damals in der Idee als abgeschlossen zu betrachten, wenigstens hat er in der Folgezeit nichts gedichtet, was mir nicht nach seinen natürlich nur in großen Umrissen gemachten Miltheilungen noch vor der Ausarbeitung bekannt gewesen wäre. Zu Allem, was ihn später auf einmal so bekannt und berühmt machte, zu dem „Erbförster“, dem Roman „Zwischen Himmel und Erde“, zu den „Malkabäern“, den „Thüringer Naturen“ etc. trug er die Entwürfe bereits fertig mit sich im Kopfe herum, und Dr. W. wird sich, wenn er dies lesen sollte, jedenfalls noch recht wohl erinnern, wie oft diese Entwürfe der Gegenstand unserer Unterhaltung mit dem genialen Freunde waren.

Nach seinem Weggange von Leipzig besuchte ich ihn einmal in seinem geliebten Triebischthale. Es war gegen zehn Uhr Morgens, als ich die Hammermühle, in der er seine Wohnung genommen, erreichte. Ich fragte die Arbeiter, die jedenfalls schon seit vier oder fünf Uhr auf den Füßen waren – es war im Monat Juli – nach seinem Zimmer. Die rußigen Gesellen fletschten lachend die weißen Zähne und sagten, ich würde ihn jedenfalls noch im Bett finden. Und so war es auch. Er lag, als ich bei ihm eintrat, in festem Schlaf und nachdem ich ihn geweckt und von ihm, wie immer, freundlichst bewillkommnet worden, erzählte er mir, daß er am Abend vorher nach seiner Gewohnheit in Wald und Flur umhergestreift sei, dann die Nacht hindurch gearbeitet und sich mit Tagesanbruch zu Bett gelegt habe. Sein körperliches Befinden hatte sich, wie auch sein Aussehen bewies, bedeutend gebessert. Da ich ihn nur wenige Stunden widmen konnte, so begleitete er mich zurück bis auf das Buschbad und hier schieden wir auf lange Zeit.

Erst nach elf Jahren, im Sommer 1856 sah ich ihn wieder. Er hatte sich mittlerweile verheirathet und seinen Wohnsitz in Dresden genommen. Auf mein Klingeln in seiner abgelegen in einem Garten der Vorstadt stehenden Wohnung ward mir die Thür von einem blühenden, etwa sechsjährigen Knaben geöffnet, den ich wenigstens nicht erst zu fragen brauchte, ob Otto Ludwig hier wohne, denn seine Züge waren ganz die des Vaters.

Der Knabe führte mich in ein kleines Zimmer, in welchem ich über eine Viertelstunde warten mußte, ehe mein alter Freund zum Vorschein kam. Sein Aussehen war, als er endlich eintrat, von der Art, daß ich förmlich darüber erschrak. Obschon erst ungefähr zweiundvierzig Jahr alt, machte er doch den Eindruck eines Siebzigers. Mit völlig ergrautem Barte, skeletartig abgemagert, krumm und gebeugt, schaute er mich hinter seiner Brille hervor aus seinen hohlen Augen mit einem Ausdruck an, der mir in’s tiefste Her schnitt.

„Kennen Sie mich noch?“ fragte ich, ihm die Hand bietend.

Er sah mich, noch eine Weile forschend an und rief dann mit freudigen Ausdruck: „Ah, das ist ja der Kretzschmar! Na, da kann ich gleich erst mei’ Pfeif’ holen.“

Und mit diesen Worten ließ er mich stehen und entfernte sich, um bald darauf mit der ihm nun einmal unentbehrlichen Tabakspfeife wiederzukommen. Wir setzten uns und begannen traulich zu plaudern, wie in alten Zeiten. Ich war damals kürzlich von einer Reise nach England und Frankreich zurückgekehrt und wußte daher mancherlei zu erzählen, was ihn, interessirte. Sein reger Geist und sein liebenswürdiges Gemüth schienen, so viel ich aus seinem Gespräch abnehmen konnte, durch die Leiden des Körpers

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