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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 15. 1865.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

„Ein Schreiben meines hochwohlgebornen Vetters und berühmten Collegen, des Doctor Geyer, Leibarztens Seiner kurfürstlichen Durchlaucht, ist es!“ erwiderte der Bader. „Ich stehe fortwährend in gelehrter Correspondenz mit ihm und in steter Consultalion über das systema climaticum der ganzen Gegend an der Paar …“

„Ist es denn möglich?“ rief der Alte. „Sollt’ sich der Gnaden Herr Vetter an uns arme Leut’ erinnert haben?“

„Das hat man gethan!“ erwiderte der Bader und hob triumphirend seinen Brief in die Höhe. „Hier ist es Schwarz auf Schweiß: Seine Durchlaucht haben von dem kecken Wildschützen, dem bairischen Hiesel, und seiner Meisterschaft im Schießen gehört … Du sollst nach München kommen, Hiesel, und sollst Dich dem Kurfürsten vorstellen – er will eine Probe mit Dir machen, und wenn’s gut geht, Dich unter die kurfürstlichen Jäger aufnehmen und Dir eine Försterei geben … was sagt Er dazu, Er ungehobelter Wildschütz?“

Hiesel konnte nichts erwidern; das Blut drängte ihm zu Kopf, daß er wie im Fieber glühte; der Alte stand in zitternder Ungewißheit, der Pfarrer griff nach dem inhaltschweren Brief. „Wahrhaftig, es steht so hier!“ rief er freudig. „Hört nur … ‚Zweifle darum auch nicht, so besagter Mathias Klostermaier, vulgo der bairische Hiesel genannt, sich ernstlichen resolviret, einen geordneten Lebenswandel zu beginnen, auch seine oft bemeldete fürtreffliche Schießkunst nur zu Nutz und Frommen Seiner Durchlaucht zu verwenden, anderweit aber auch die Unterthanen nicht mit allerlei tribulationibus zu behelligen, deren Bitterkeit er selbsten erfahren, daß Seine Durchlaucht nicht anstehen werden, besagtem Hiesel eine Jägerei zu verleihen, verhoffend, daß aus einem richtigen Wildschützen ein noch viel richtigerer Jäger werden sollt‘ … Gott segne Seine Durchlaucht!“ fuhr er mit gerührter Stimme fort und hob die Hände nach oben. „Gott segne sein edles Gemüth, das auch den Geringsten nicht vergißt … er ist ein Fürst nach dem Sinne des Ewigen, ein wahrer Landesvater!“

„Ja – und unser Herrgott soll es ihm vergelten, tausend und tausendmal!“ rief der Alte mit freudebebender Stimme. „Ich hab’ wohl nur wenig Zeit mehr zu leben – aber gern geb’ ich die paar Jahrl’n her, wenn er ihm davon eine einzige so vergnügte Stund’ machen will, wie die jetzige ist! … Hiesel, Du bist ja ganz stumm und starr – hast Du’s denn gehört? Hast Du’s denn auch verstanden?“

„Ja, Vater,“ rief Hiesel und warf sich an seine Brust, „ich hab’s gehört und verstanden, aber es ist mir noch Alles wie ein Traum – ich kann’s ja nicht glauben …“

„Es ist doch so,“ entgegnete der Bader, „und Er mag sich immerhin fertig machen zu dem Marsch nach München!“

„Das will ich! Gleich morgen mach’ ich mich auf den Weg!“ rief Hiesel in immer freudigerer Aufwallung. „Uebermorgen will ich in München sein und dem Kurfürsten zu Füßen fallen und ihm danken! Ich bin also kein Auswürfling mehr, bin nit überall verfolgt und veracht’t … ich soll daheim nimmer verstoßen sein, soll auch Jemand haben, der mir angehört … ich will’s nur eingestehn: heut zum ersten Mal ist es mir eingefallen, wie schön es wär’, wenn ich so mitten im Wald in einem Jägerhaus sitzen könnt’ und eine liebe Jagerin bei mir: ich hab’ mich selber ausgelacht und verspott’ wegen der Narrheit, und nun soll’s doch sein, nun soll ich’s doch auch so gut haben! Gott soll den guten, guten Herrn segnen! O, ich will’s ihm schon sagen, wenn ich vor ihm steh’ – ich will an sein Wort denken und kein Bauernschinder und doch ein richtiger Jäger sein … O du mein lieber Gott, ich muß mich schamen, daß mir altem Burschen das Wasser in die Augen kommt … aber die Freud’ ist zu groß, ich kann wahrhaftig nit anders!“

„Dieser Thränen hast Du Dich wahrlich nicht zu schämen, mein Sohn,“ rief mit Würde der Pfarrer. „Bleibe denn hier, bleibe die erste Nacht wieder ruhig in dem Hause, wo Du geboren bist, wo die Mutter in Sorgen um Dich dahingegangen; genieße zum ersten Male wieder den Frieden und das erhebende Bewußtsein, ausgesöhnt zu sein mit Dir selber und mit der Welt!“

„Na, jetzt muß ich mein Bett suchen!“ sagte der Bader. „Gehen wohl miteinander, Hochwürden Herr Pfarrer? Diesmal hab’ ich Ihnen den Rang abgelaufen! Nicht? Das war ein medicamentum radicale, das verbessert das ganze systema lymphaticum und pneumaticum! Gute Nacht bei einander, und Er, kurfürstlicher Jäger in spe, Er denke morgen bei Zeit an die Münchner Reise!“

Bald war das Häuschen zum Brentau seiner Besucher ledig; der Alte war, von seinem Sohne geleitet, in seine Kammer gegangen und schnell und vergnügt eingeschlafen, wie lange nicht; die Schwester war verstummend und grollend verschwunden, Hiesel schlüpfte in die wohlbekannte Kammer des obern Stocks, die ihn als Knaben beherbergt und die er so lange nicht mehr betreten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_225.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)