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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 16. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Der Rothe lachte laut auf. „So, so!“ sagte er, „und der Fremde, den Du Dir aus dem Lech aufgefischt hast, schaut so aus, wie Du’s verlangst? Wie ein rechtschaffener Mann? Meinetwegen, aber die Flausen, die Du Dir da in Kopf gesetzt hast, Kundel, die vergehn schon wieder! Warum wolltest Du eine Duckmäuserin werden und das lustige Leben um ein trauriges vertauschen? Wenn es gar ist, ist’s gar … was hast nachher davon, wenn Du bei Lebzeiten Dir das Maul gewischt hast? Es steht Dir auch nimmer an, Kundel, das Anstellen mit der Rechtschaffenheit: Du bist schon zu tief hinein ’gangen, es nutzt Dich nichts, und wenn Du zehnmal umkehren willst, Du bleibst doch die schöne Kundel und das Waldhaus bleibt verschrien als eine Spitzbubenherberg!“

„Dann verkauf’ ich Alles,“ erwiderte sie hastig, „und gehe anderswohin, wo mich Niemand kennt!“

„Wirst Dich schon anders besinnen!“ fuhr der Rothe mit frechem Hohne fort. „Müßtest weit gehn, Kundel, wenn Dir das Gered’ nicht nachkriechen sollt! Wirst Dich schon noch besinnen! Ich kenn’ das von mir selber, ich weiß schon, daß man solche Tag’ hat, wo die Grillen zu singen anfangen, die sie einem auf der Schulbank und in der Christenlehr in Kopf gesetzt haben – aber es ist nichts dahinter und halt’ nit an. Wie sie mich eingehauselt haben und hab’ Werg spinnen müssen, da ist mir auch schwach geworden; ich hab mir vorgenommen, ich wollt’ ein ehrlicher Mensch werden und mich mit der Arbeit fortbringen. In meiner Heimath war nichts zu machen, da hat mich Alles gekannt und Niemand hat etwas von mir wissen wollen … da hab’ ich mir um einen andern Namen umgeschaut und bin nach Ulm zu einem reichen Kaufmann, der hat mich als Fuhrknecht eingestellt und hat mir einen ganzen Frachtwagen voll Waar’ gegeben, die mußt’ ich nach München fahren. Er hat alles Zutrauen zu mir gehabt …“ setzte er, nachdem er getrunken, lachend hinzu, „natürlich … die Zeugnisse, die ich ihm gezeigt und die ich einem Andern abgenommen hatte, die waren gar zu gut! Im Anfang ging es auch herrlich, aber in die Länge hab’ ich’s nicht aushalten können, den ganzen Tag in Hitze und Kälte neben dem Wagen herzutraben, den Gaulen Wist und Hott zuzurufen und am End’ ein paar Gulden einzustreichen, während ich dem Herrn in die Tausende verdient hab’ … da ward’s mir zu dumm und ich bin davon gelaufen und jetzt such’ ich den Bobinger auf … Du kennst ihn ja, den alten Fuchs, der in allerhand Verkleidung durch’s Land streicht, bald als Krämer, bald als Jäger, manchmal gar als Capuziner … der hat auf Mariengeburtstag Alles, was ein freies Leben gern hat, in den Augsburger Wald zusammengerufen, da soll’s dann in’s Große gehn, weil sie dem Einzelnen das Leben so sauer machen … da will ich auch hin!“

„Glück auf den Weg,“ sagte Kundel sich erhebend. „Gute Nacht; ich bin schon zu Hand, eh’ Du fortgehst … also sperr’ ich die Thür’ zu, wenn Du doch auf der Bank bleiben willst; es ist so Ordnung im Haus …“

Der Rothe widersprach nicht, obwohl er von dieser Hausordnung bisher noch nie etwas wahrgenommen hatte; gleichgültig rollte er eine Decke in einen Bündel, um sie als Kopfkissen unter den Kopf zu legen, und streckte sich auf die Bank – kaum war jedoch der Schlüssel im Schlosse umgedreht, als er schon wieder am Fensterchen lauerte. Er sah Kundel die Thür zu dem Gemach des Unbekannten vorsichtig öffnen, eintreten und hinter sich schließen; schnell besonnen, öffnete auch er das nach der Rückseite führende Fenster, stieß den Laden auf und zwängte sich rasch und geschmeidig, wie eine Eidechse, zwischen den Eisenstangen hindurch, die als Gitter angebracht waren. Im Nu stand er dann vor dem ebenfalls auf den Hofraum führenden Fenster des Gemachs und schwang sich an der Mauerbrüstung hinauf, um das oben in den Laden geschnittene Luftloch zu erreichen, durch welches er das Zimmer überblicken konnte.

Es war nur schwach beleuchtet. Kundel stand am Bette, in welchem ein Mann schlafend lag; das Gesicht konnte der Späher nicht sehen, weil es etwas abgewendet und das Mädchen sorgfältig bemüht war, zu verhüten, daß kein Lichtstrahl auf sein Gesicht falle und ihn erwecke. Sie beugte sich leicht über den Schläfer und sah ihn lange mit dem Ausdruck des Wohlgefallens und zärtlicher Neigung an. Ein Hund lag am Fuße des Bettgestells auf dem Boden; den Kopf auf die Pranken niederkauernd blickte er zutraulich empor; er war mit dieser Erscheinung vertraut und wußte, daß sie seinem Herrn nichts Uebles bedeute. „Ich habe recht gerathen,“ dachte der Lauscher, „ich weiß jetzt, wie viel es da geschlagen hat … wenn ich ihn nur sehen könnte, damit ich wüßte, wie der rechtschaffene Mann aussieht, der die Kundel so geschwind auf andere Gedanken gebracht hat …“ Vergeblich strengte er seine an das Spähen gewöhnten Augen an; erst als Kundel sich entfernte und in der Thür zurückblickend sich noch einmal umwendete, fiel der Lichtschein so hell auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_241.jpg&oldid=- (Version vom 14.11.2022)