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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

führte an das Bollwerk, von hier aus sollten sie in den Bagno transportirt werden.

Da noch ein Mal, kurz vor dem Scheiden aus dem menschlichen Verbande, vor dem Hinabsteigen in eine Höhle, die vielleicht fürchterlichere Qualen bereitet, als die von fanatischen Gehirnen erzeugte, in der Satan und seine Dämonen ihr Wesen treiben sollen, da fällt ein Tropfen lindernden Balsams in die Seelen dieser Unglücklichen. Zahlreiche Zuschauer haben sich eingefunden, man sieht die gefangenen, geschmähten Soldaten. Sie tragen noch, wenigstens größten Theils, ihre verwitterte, schäbige Uniform, das Todeskleid ihres irdischen Glückes; ihre Häupter sind noch von den Czakos bedeckt, von denen zwar die Fetzen herabhängen; es ist der Moment, den unsere Abbildung darstellt.

Aber in all diesem Plunderstaat schreiten sie stolz einher, die Schill’schen Männer. Jeder sieht ihnen an, daß die schmachvolle Behandlung ihren Muth nicht gebeugt, daß sie nicht murren über die Leiden, daß sie nur seufzen und in ohnmächtiger Wuth mit ihren Ketten rasseln ob der Schmach, die ihnen angethan wird durch die Gemeinschaft mit der Bevölkerung des Bagno. Und wie sie nun ernst, eine Thräne zerdrückend, einen leisen Gruß dem fernen Vaterlande zusendend, durch die Menge wandeln, wankenden Schrittes – denn der Fuß dieser Freien kann sich an die Kette noch nicht gewöhnen, er ist nur gefesselt in dem Bügel seines Sattels gewesen, wenn der Reiter auf muthigem Rosse dahinsauste in den Kampf, über die Flur beim Schmettern der Trompete – wie sie so dahinwandeln, drängt sich die Masse heran. Das Elend, die Würde haben sich vereint, um einen Schrei des Erbarmens, der Entrüstung ertönen zu lassen. Man naht den Gefesselten, man sucht ihre Hände zu ergreifen, man ruft ihnen Worte des Trostes zu, man bietet den Verschmachteten kühlen Trunk – in Feindesland ein freundlicher Gruß, ein Blick, ein Zuruf des Mitgefühls. Schamvoll blicken die französischen Männer jene geschändeten Krieger an, schmerzerfüllt heben die Weiber ihre Blicke zu ihnen empor, jammernd sehen es die Kinder. Das war ein Tropfen Balsams in die Seelen, die zerrissenen. Die Soldaten Schill’s haben Menschen gefunden, die Thränen weinen über das harte Loos oder die den Blick zur Erde senken voll Scham über die kleinliche Rache des großen Kaisers. Das erhebt sie, die Dulder, das läßt sie ihr Haupt stolzer tragen, und während der Sergeant und die Soldaten das Andrängen der Menge verhindern, schreiten sie, an einander geklammert, sich stützend, den Booten zu. Die Ruder werden eingesetzt; „abgestoßen!“ tönt das Commando. Pfeilschnell fliegen die Barken über die Wogen. Wenige Minuten später –, ein ungeheures Thor öffnet sich. Schill’s Soldaten sind im Bagno von Toulon.

Die Aufnahme in diese Höhle des Elends und Lasters war schon entsetzlich. Nachdem die Uniformen oder sonstigen Kleider ihnen förmlich vom Leibe heruntergerissen waren, bekleidete man die Soldaten Schill’s mit den Anzügen der Sträflinge. Statt der Nummer ihrer Regimenter oder Bataillone hatten sie das Zeichen Gal. auf Rock und Beinkleid. Dann führte man sie an das Sclavenschiff „Lazare“. Durch die enge Luke stieg Einer nach dem Andern auf das Deck. Die Angekommenen wurden wie Thiere in einem Pferch gezählt. Derjenige, welcher dieses Geschäft verrichtete, hatte das Aussehen eines Teufels. Es war ein Corse, fast nußbraun im Gesichte, seine Lippen mit dicken, schwarzen Gewächsen bedeckt; jeder der Schill’schen Männer erhielt einen furchtbaren Hieb mit der Peitsche durch dieses Ungethüm. Als sie das Deck betraten, sahen sie sich zwischen zwei Reihen Galeerensclaven gestellt. Die rechter Hand trugen rothe – die links Stehenden schwarze Bagnouniform. Auf den schrillenden Ton einer Pfeife trat vollständige Ruhe ein. Zur Freude der Unglücklichen schlugen plötzlich laut und vernehmlich die Töne der deutschen Sprache an ihre Ohren, der Namensaufruf erfolgte und der Rufer sprach deutsch. Er war Sträfling wie die Andern, aber er schien den Armen ein Engel.

Als die grauenvolle Musterung vorüber war, ertheilte man den Befehl nach dem Hinterdeck zu gehen. Bei der Wendung fühlte Böck einen Händedruck und erkannte in einem der schwarzgekleideten Sclaven seinen ehemaligen Wachtmeister. „Gerechter Gott!“ flüsterte der Trompeter. „Du bist es?“ „Still,“ wimmerte der Gefragte „hier findest Du lauter Cameraden.“ Als Böck die Sträflinge genauer betrachtete, entdeckte er, daß die meisten der Schill’schen Soldaten, die vor ihm nach Toulon gekommen waren, in den Kleidern der Galeerensclaven steckten.

Es nahte der schrecklichste Augenblick. Die Gefesselten wurden gezwungen sich zu setzen, der erste Knecht (Chaloupier) zog unter der Ruderbank eine sechsundzwanzig Pfund schwere Kette hervor, deren unterstes Ende mit einem Ring versehen war. Diese Ringe wurden um die Füße der Unglücklichen gelegt und nun begann das Einschmieden. Mit jedem Schlage zogen sich die Herzen der Dulder krampfhaft zusammen, der Seelenschmerz überwand die körperliche Pein; wenn der Hammer, von dem Ringe abspringend, mit schwerer Wucht den nackten Fuß traf, zuckten die Geschändeten nicht. Sie waren durch das Elend stumpf gemacht gegen die Gewalt des Schmerzes; dann folgte das Rasiren der Haare, dann erhielten sie in hölzernen Trögen ein spärliches, schlecht zubereitetes Essen, dann führte man sie an das Bassin, wo sie, bis zu den Hüften im Wasser stehend, pumpen mußten und noch an demselben Tage das gräßliche Schauspiel der Zermalmung eines Menschen durch die Pumpen genossen. Endlich kam die Nacht, der Schlaf senkte sich auf diese armen, gequälten Seelen nieder, und auf der harten Bank ruhten die Leidensgenossen und träumten von der fernen Heimath; sie schliefen Alle sanft, nur zuweilen ertönte ein leises Wimmern, wenn der Eisenring die Knöchel blutig rieb, oder wenn der Mitgefesselte die Kette scharf anzog. Fortwährend patrouillirte der Profoß zwischen den Reihen der Schläfer und zuweilen traf ein Hieb seiner Peitsche Diesen oder Jenen, der die Stille der Nacht durch Geheul unterbrach. Die Schill’schen Männer bemerkten wohl, weshalb diese Züchtigungen in der Nacht erfolgten, die nur alte Sträflinge trafen, deren Verworfenheit die Feder nicht schildern kann. Am Morgen verließen die meisten Sclaven unter scharfer Bedeckung das Schiff, und die Neuangekommenen wurden mit ihren Cameraden allein gelassen. Böck fand hier unter Andern auch die Söhne des Marketenders vom Schill’schen Corps wieder. Man hatte diese Knaben an die Kette der Galeerensträflinge geschmiedet. Einer von ihnen war erst eilf Jahre alt!!! Von dem gräßlichen Einerlei, von den haarsträubenden Episoden im Kerker, auf dem Arbeitsplatze, von den widerwärtigen Krankheiten und Zufällen aller Art könnte umfangreich und erschütternd geschrieben werden. Die Geschichte jedes Einzelnen dieser edlen Gefangenen ist ein Register von Anklagen gegen die Tyrannei ihrer Henker. Dennoch hielten sich diese Männer von Eisen aufrecht, sie trösteten sich gegenseitig mit der Hoffnung auf bessere Zeiten, sie weinten vor Unwillen, wenn sie das Schicksal Anderer betrachteten, ohne ihres eigenen zu gedenken. Ein solcher Schmerz bemächtigte sich ihrer, als Heinrich von Wedell in Sclavenkleidern nach Cherbourg transportirt wurde, um unter seinen übrigen Leidensgenossen, welche dort eingekerkert waren, die schmachvolle Arbeit des Bagnoverbrechers zu verrichten.

Erst zwei Jahre später trat eine Besserung des harten Looses ein. Massena verwendete sich für die Unglücklichen, und so hatten sie das Glück von den Galeeren auf die Inseln versetzt zu werden. Porqerolles, Isle de Levant und Porteros nahmen die Soldaten Schill’s auf. War auch die Arbeit eine harte – sie saßen doch nicht angeschmiedet an die Bänke der Galeeren, sie sahen doch den Himmel, das Meer und athmeten die reine, entzückende Luft der Hyérischen Inseln. Wohl brauste das Meer gegen die Küsten und brachte Grüße aus dem fernen Vaterlande, die Verlassenen meinten wenigstens, es rufe ihnen die Brandung Worte der Liebe und Erinnerung zu. Noch immer aber kein rettender Engel, der sie hinüberführte über die schäumenden Wogen. Da endlich am 9. Mai des Jahres 1814 schallt es durch die Lüfte: Freiheit! Freiheit! Es ist ein süßer Klang, ein Klang, der beginnt wie Äeolsharfentöne und immer weiter und mächtiger anschwillt wie Donnergebrause und Posaunenton. Sie können diese Töne kaum ertragen, die Unglücklichen, Geschändeten. Das Gefühl des Glückes überkommt sie so plötzlich, daß es sie niederschmettert. Sie glauben zu träumen, und erst als sie erfahren, wie die Kraft einer halben Welt den Gewaltigen gestürzt, dessen Wink sie in Fesseln geschlagen, da fallen sie nieder, im Uebermaß der Freude umarmen sie ihre Henker.

Ein großer Theil der Schill’schen Männer machte, aus der Gefangenschaft erlöst, den Feldzug des Jahres 1815 mit. Die 1809 Entkommenen sah man fast alle in den Reihen der Kämpfer von 1813–15. Man mag das Verfahren Schill’s und seiner Genossen beurtheilen wie man will: sie sind die Ersten gewesen, welche den großen Aufruf der allgemeinen Befreiung in die geknechtete

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_248.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)