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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Und zu diesen Seelen gehörst Du, Onkel?“ fragte Max ein wenig erstaunt.

„Stellenweise!“ versetzte der Onkel trocken, die Asche seiner Cigarre in den Kamin schleudernd.

„Aber dann,“ fuhr Max nach einer Pause, in welcher er vergebens erwartet hatte, daß sein Onkel das Gespräch fortsetzen werde, fort – „dann begreife ich nicht, weshalb Du Dich hier in die Einsamkeit einsperrst und nicht lieber in die Welt zurückkehrst, wo Dir doch so mancher Genuß noch zu Gebote steht …“

„Noch!“ fiel der Onkel bitter lächelnd ein … „Du bist sehr gütig, mich noch nicht völlig zu den der Welt abgestorbenen Greisen zu rechnen! Aber was soll ich in der Welt? Ich gehöre nicht zu ihr. Ich bin ein Bücherwurm. Bei meinen Büchern muß ich bleiben. Ich möchte reisen; – ich bin nicht reich genug dazu. Also was kann ich Besseres thun als zu Hause bleiben und arbeiten? Hätt’ ich Haus Markholm bekommen, so wäre Alles anders!“

„Ja, Markholm!“ sagte der Neffe mit einem Seufzer. „Wäre dies unglückliche Verhältniß nicht, so hättest Du hier, wenn auch die Güter uns verloren sind, doch wenigstens den Verkehr mit Morgenfelds, doch wenigstens ein befreundetes Haus!“

„Wovon jetzt freilich nicht die Rede sein kann,“ sagte der Onkel – „ich werde nie ihre Schwelle betreten, nie dulden, daß sie über die meine kommen!“

„Morgenfeld soll ein sehr unterrichteter Mann, eine gewinnende Persönlichkeit sein … die Tochter sehr gebildet –“

„Ich weiß nur, daß er durch Unrecht besitzt, was mein gehört, und ich hasse ihn,“ versetzte der Onkel hart. „Ich hasse ihn nicht, weil sein Unrecht ihn reich und mich arm machte, sondern weil er den alten angestammten, von den Vätern uns bestimmten und gewährleisteten Besitz uns vorenthält und weil er in fremde Hände bringen wird, was unserm Geschlechte gehört, so lange es auf Erden besteht!“

Max stieß einen leichten Seufzer aus; ihm war das, was am Herzen seines Onkels nagte, nicht just der Hauptkummer, und ererbte oder neue Güter, vorausgesetzt, daß sie sein gewesen, waren ihm ziemlich gleich viel werth; aber sie waren eben nicht sein, oder vielmehr nicht die seines Onkels, dessen Erbe er war, und das war eben die Seite der Sache, welche ihm einen Seufzer erpreßte.

Er warf dann einen Blick durch’s Fenster in den Garten hinaus und sagte: „Die Sonne dringt durch die Nebel … ich will meinen Morgenspaziergang zu den Dohnen machen und auch meine Flinte mitnehmen … vielleicht liefere ich Dir etwas in die Küche.“

„Vorausgesetzt, daß sich ein Hase in den Garten des Pfarrers verirrt,“ antwortete der Onkel lächelnd.

„O nein,“ fiel Max ein wenig erröthend ein, „die Frau Pfarrerin hat mir erklärt, es sei große Wäsche bei ihr heut und da könne man mich nicht gebrauchen …“

„Das bedauere ich,“ versetzte der Onkel, „denn ich wollte Dich bitten, mir das Buch zurückzuholen, welches Du Fräulein Elisabeth geliehen hast und das sie schwerlich gelesen hat.“

„O, da irrst Du, Onkel,“ erwiderte Max sehr lebhaft; „wenn Du sie kenntest, würdest Du Dich überzeugen, wie gründlich gebildet sie ist und wie dies Werk ganz und gar nicht über ihren Horizont hinausliegt, sondern im Gegentheil ihr tiefes Interesse einflößt.“

Der Onkel zuckte die Achseln.

„Wirklich?“ sagte er. „Nun, Du mußt es wissen … Fräulein Elisabeth ist dann ein Phönix und stößt mit ihrem Interesse die ganze Erfahrung Deines Onkels um, daß die Weiber wissenschaftliche Interessen immer nur affectiren … ein wahres Interesse nehmen sie nur an möglichst gedankenlosen und breitgetretenen Romanen, und auch das nur, um sich mit ihren eigenen Liebeleien darin wieder zu finden …“

„O ketzerischer Onkel!“ rief hier Max lachend aus.

„Nun, vielleicht wirst Du auch hierin meine Erziehung vollenden und meine Vorstellungen berichtigen,“ sagte der Onkel gutmüthig. „Unterdeß will ich an meine Arbeit gehen und wünsche Dir Waidmanns Heil, wenn Du jagen willst, ohne große Hoffnungen für die Küche darauf zu setzen; ein hübscher junger Mann mit blonden Locken und blühenden Wangen und Deiner griechischen Nase hat nicht immer Glück – bei den Hasen!“

Er stand auf und ging in sein anstoßendes Arbeitszimmer, während der Neffe den Salon verließ, um sich für seine Jagdstreiferei zu rüsten.

Eugen von Markholm setzte sich an seinen Arbeitstisch und nahm die Feder auf, um an dem Manuscripte weiter zu arbeiten, das vor ihm lag. Aber die Arbeit schien ihm schwer zu werden. Er warf mehrmals die Feder fort und blickte nachdenklich in den grünen Wipfel der Linde, welche vor seinem Fenster stand.

„Es ist merkwürdig,“ sagte er nach einer Weile leis für sich hin, „wie schwer es ist, zu denken! Ich will denken, um schreiben zu können, und ehe wenig Augenblicke vergehen, sitz’ ich in Träumereien verloren. Wie viel Menschen mögen immer nur träumen, wenn sie zu denken glauben!“

Was war der Gegenstand seiner Träumereien? Brütete er über dem Verhältniß, von welchem er zuletzt mit seinem Neffen gesprochen, über den Verlust der Güter, an denen seine Seele hing, nicht weil er irdischen Besitz höher schätzte, als er verdient, sondern weil in ihm ein stark ausgebildeter Familiensinn lag, weil er einsam in der Welt stand und sich einsam fühlte und weil ein Gefühl in ihm lag, als werde sein Entbehren von Weib und Kind einen Ersatz finden, wenn er Herr in den Räumen sei, wo seine Väter von Weib und Kind umringt an ihrem häuslichen Heerd gesessen und wo er von den Erinnerungen an ihr Familienleben umgeben sei? Vielleicht ist damit sein Gefühl zu klar und bestimmt ausgesprochen; es war vielleicht nicht gerade das, was er fühlte; es war eben nur das Gefühl eines großen Mangels in seiner Existenz und der Wahn, mit dem rückgegebenen Erbe werde ihm ergänzt sein, was ihm fehlte.

Er hatte den Kopf auf den Arm gestützt und die Arbeit von sich geschoben.

„Ich kann heute nicht schreiben,“ sagte er sich nach einer Weile – „der Verleger muß warten. Ich kümmere mich nicht das Mindeste darum, was meine Helden machen, denken und sagen … wenn das so fort geht, werde ich endlich gar nicht mehr schreiben können: je mehr wir das Leben kennen lernen, je reifer unser Urtheil wird, je ausgebildeter unsere Kraft der Darstellung – desto mehr verlieren wir die liebenswürdige Jugendfreude an den Menschen und den Dingen, die uns dazu treibt, sie darzustellen. Liegt im künstlerischen Gestalten eine Freude? Andere mögen es so empfinden. Sie sind dann glücklich. Es gehört das Gefühl von Glück dazu, um schaffen zu können! Ach, schöne Jugendzeit! Wie alt ich werde!“

Er stand auf, nahm den kleinen grauen Hut und seine Handschuhe und schritt in den Salon zurück, aus dem eine Glasthüre über einige Stufen in den großen Garten führte. Es war ein kleines in Ziegelbau aufgeführtes Haus, fast nur ein Pavillon zu nennen, das er bewohnte; es hatte ehemals zum Gute Markholm gehört, war von Beamten des Gutsherrn bewohnt worden, hatte auch wohl als Wittwensitz der Familie gedient. Mit einem kleinen Areal dazu gehörender Ländereien, einem Gehölz und ein paar Wiesen war es vor langer Zeit schon veräußert worden und durch mehrere Hände gegangen, bis es im vorigen Jahre abermals zum Verkaufe ausgesetzt worden. Als einen ehemaligen Besitz seiner Familie hatte Markholm es mit seinen Ersparnissen an sich gekauft und sich seit einem Vierteljahre darin eingerichtet. Der kleine Besitz, der in hübscher, waldreicher, hügeliger Gegend lag, machte ihm Freude. Er wollte für immer da wohnen bleiben und nur zuweilen auf Reisen die Welt wiedersehen und in ihr verkehren. Seine einzige Gesellschaft bildete jetzt sein Neffe, seines verstorbenen Bruders Sohn, der auf einer deutschen Universität Medicin studirte, auf des Onkels Kosten; er brachte jetzt die Ferien bei diesem zu.

Markholm wanderte zwischen den mit Buxbaum eingefaßten Beeten seines Gartens hinab, mit dem ihm eigenthümlichen lässigen fast schwankenden Schritt, einem Schritt, den man, wenn Markholm tief in Gedanken versunken war, für den Schritt eines eben von einer Krankheit Genesenden halten konnte, bis man ihn, von einer neuen Gedankenreihe erfaßt, plötzlich kräftig auftreten und in energischer Raschheit weiter schreiten sah. Seine Gestalt war ein wenig vorgebeugt, was ihn kleiner erscheinen ließ, als er war; seine Züge von merkwürdiger Feinheit, von fortwährendem innern Gedankenleben ausgeprägt; als sie noch voll und jugendlich frisch waren, als das Leben und die Arbeit ihnen diese Schärfe noch nicht gegeben, mußten diese regelmäßig gezeichneten Züge auffallend schön

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_258.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)