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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

gewesen sein. Die ganze Gestalt, wenn sie sich aufrichtete, hatte bei allem Zarten und Feinen des Baues etwas von nachhaltiger und elastischer Kraft.

Er war an’s Ende seines Gartens gekommen; die warme heitre Luft, welche die vollen Sonnenstrahlen gebracht, die jetzt längst allen Nebel verflüchtigt hatten, lockte ihn weiter, durch das verwilderte Bosquetgehölz, dann den Gang unter Erlen und Eschen hinunter, der zwischen zwei Wiesenflächen lag und in ein größeres Gehölz führte. Er ging bis an’s Ende der Allee, die durch dies Gehölz geschlagen war, und hier blieb er stehen und lehnte sich auf den niedrigen Schlagbaum, der die Grenze seines Besitzes bildete. Er blickte auf eine von Gebüsch umgebene Ackerfläche hinaus, hinter welcher sich ein größerer, von mächtigen Eichen und Unterholz gebildeter Wald erhob, der schon zu dem Gute Markholm gehörte.

Er erwartete hier irgendwo Max auftauchen zu sehen, dessen Dohnen in diesem Gehölze aufgestellt waren und der sich hier auf seiner Jagdstreiferei umtreiben mußte. In der That vernahm er nach einer Weile einen Schuß aus dem größeren Walde herüber … der junge Waidmann mußte da seine nicht immer von Glück gekrönten Schießübungen anstellen, ein Förster aus der Nachbarschaft hatte ihm die Jagdbefugniß gegeben – aber Max erschien nicht, von keiner Seite tauchte seine hohe schlanke Gestalt mit dem grünen Hut und dem Gemsbart daran auf; Markholm wollte bereits sich wenden, um hinein zu schlendern, als ihn eine Erscheinung fesselte, welche etwas sehr Auffallendes in dieser Umgebung hatte.

Von rechts her, aus einem Holzwege, der auf das Ackerfeld führte, kam langsam eine Dame geschritten; sie ging, die Augen vor sich auf den Boden gerichtet, an dem Gehölze entlang, an dessen Ende Markholm stand, so daß sie sich ihm näherte; sie war ziemlich groß und eine volle Gestalt, in einfacher, sehr bescheidener Kleidung, in einem dunklen Kleid mit einem Jäckchen von schwarzem Stoff … ohne Hut und ohne Handschuhe und ohne Sonnenschirm … statt dessen trug sie einen Stock mit einem Berghammer am Ende desselben in der Hand. Als sie näher kam und Markholm ihr Gesicht genauer unterscheiden konnte, blickte er in höchst anziehende Züge – große blaue schwimmende Augen, eine lange, feine, ein wenig gebogene Nase und ein kleiner reizender Mund mit kirschrothen Lippen, die Stirn hoch, auffallend und stark entwickelt, der Teint zart und weiß; das Ganze vielleicht etwas zu scharf, zu durchgearbeitet, um völlig schön zu sein, aber eigenthümlich gewinnend, durch und durch geistig bedeutend und fesselnd durch seinen Ausdruck.

Sie kam Markholm sehr nahe, ohne ihn zu gewahren. Dieser hatte volle Muße ihre Erscheinung in sich aufzunehmen und dabei zu sich zu sagen: „Ohne Zweifel meines Neffen Flamme aus dem Pfarrhaus … es scheint, die jungen Leute sind schon sehr im Einverständniß; sie schweift auf den Feldern umher, wo er durch unnütze Schüsse das Wild beunruhigt, was er jagen nennt! Sie treibt da mineralogische Studien? … Wirklich … sie nimmt einen Stein auf und zerschlägt ihn mit ihrem Berghammer! … Also das ist seine ‚gebildete‘ Elisabeth! Wahrhaftig hübsch und anziehend genug!“

Das junge Mädchen hatte die Stücke des Steins, den sie zerklopft und genauer beschaut, wieder fortgeworfen; als sie dann sich aufrichtete und weiter schritt, nahm sie plötzlich Markholm wahr.

Als sie ihn erblickte, blieb sie, ihm schon dicht gegenüber an der andern Seite des Schlagbaums, stehen und maß ihn mit einem etwas verwunderten Blick, ohne irgend ein Zeichen von Erschrecken zu verrathen; sie sah ihm ruhig ins Gesicht, wie erwartend, daß er sie anreden würde.

„Suchen Sie Gold im Quarz, oder Amethystdrusen auf diesen Feldern, Fräulein?“ fragte er mit einem etwas spöttisch lautenden Tone.

„Nein“, sagte sie ruhig; „aber ich suche!“

„Suchen … was ?

Sie fixirte ihn mit ihren großen Augen in einer ganz eigenthümlichen Weise.

„Suchen Sie nicht auch?“ sagte sie dann … „oder sind Sie nicht Eugen Markholm ?“ setzte sie dann mit ein wenig unsicherer Stimme hinzu.

„Der bin ich,“ sagte er lachend: „und Sie haben Recht, ich suche auch … aber keine Steine auf unsern Ackerfeldern.“

Sie zog ein paar ziemlich schwere Steine aus der Tasche ihres Kleides hervor und legte sie, wie um sich zeitweise von der Last zu befreien, seitwärts auf den Schlagbaum, dann stützte sie sich auf diesen und sagte:

„Dann haben Sie die Worte nicht verstanden: ‚Auch die Steine werden reden.‘“

Markholm schüttelte mit dem Kopfe.

„Die Steine werden reden, wie die Felsen, die Alpen, die Meere, wie die große Harmonie, die durch alle Schöpfung tönt – der Stein dort aber, der eckige Kiesel, den Sie trotz seines Pfundgewichtes mit sich einhergetragen haben, wird schwerlich jemals reden – wenigstens nichts, was mich interessirt!“

„Es ist kein Kiesel, sondern ein hier selten vorkommendes Mineral. Ich sehe freilich, daß Sie nichts davon verstehen.“

„Diese ‚gebildete‘ Elisabeth ist der richtige Blaustrumpf!“ sagte sich Markholm, während er sich selbst gestehen mußte, daß die ganze Erscheinung ihn eigenthümlich berührte, Laut antwortete er:

„Es ist so viel zu suchen und zu finden in der lebendigen Schöpfung, daß die todte diejenigen nicht anziehen kann, welche einmal in jener zu suchen begonnen haben.“

„Das ist wahr,“ versetzte das junge Mädchen nachdenklich; „dafür ist aber in jener lebenden so viel geforscht, daß sie uns wenig Enthüllungen mehr geben kann, während man die todte erst jetzt recht zu durchforschen beginnt und nun täglich die wunderbarsten Entdeckungen macht.“

„Es mag sein, daß man große Aufschlüsse, ungeahnte Erfolge erreicht auf dem neuen Wege des Forschens,“ erwiderte Markholm. „Die schärfsten Geister haben sich in diese Bahnen geworfen und dadurch der Zeit ihre Signatur gegeben. Alle Kräfte wenden sich der Durchforschung der Natur zu; das öffentliche Interesse, möchte man fast sagen, blickt nur noch nach dieser Richtung. Aber es ist das eine Strömung, die in ihrer Ausschließlichkeit keine Dauer hat. Wie in wunderbarer Prophetie hat Goethe schon diese Richtung der Gegenwart und – auch ihr Ende vorhergesehen und charakterisirt … im Faust, ganz im Anfang des Werks:

‚Wie Alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem Andern wirkt und lebt,
Wie Himmelskräfte auf und niedersteigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Mit segendustenden Schwingen
Harmonisch all’ das All durchklingen!‘

Ist das nicht ganz dasselbe, was unsere heutige Naturforschung triumphirend ausruft?“

„So ungefähr! Und dann?“

„Dann folgt sehr bald eine trübe Enttäuschung! Unmittelbar darauf! Faust ruft aus:

‚Welch Schauspiel! Aber ach, ein Schauspiel nur!
Wo faß ich dich, unendliche Natur?
Euch Brüste wo, ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängt –
Ihr quillt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens?‘

Ja, vergebens! Der Naturgeist, den er sich heraufbeschworen, stößt ihn grausam zurück ‚in’s ungewisse Menschenloos‘; das Dämonische der Natur überwältigt ihn, es läßt ihn kraftlos, fassungslos zusammen sinken, bis er die verhängnißvolle Phiole ergreift, bei der ihm die einzige Rettung zu bleiben scheint, und als er den Rand der tödtlichen Schale schon an den Lippen hat – was giebt ihm das Leben wieder? Etwas aus einer ganz anderen Welt, Klänge aus einer Sphäre, die weit hinaus liegt über allem dem, worin er die Quelle der Erkenntniß und das Heil gesucht!“

„Sie haben den Faust gut auswendig gelernt,“ sagte die Dame nachdenklich und fast nur, wie um etwas auf dies Alles zu sagen.

„Sind Sie nicht meiner Meinung,“ fuhr Markholm sehr rasch und mit einem Zucken der Mundwinkel, in dem etwas Satirisches lag, fort – „daß Faust hier typisch ist für die Richtung, welche heute die Forschung angenommen hat, indem sie ungläubig, sich emancipirend von den Dogmen einer Zeit, die lang in ein enges dumpfes Mauerloch gebannt saß, jetzt plötzlich rastlos

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_259.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)