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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

mit Hebeln und mit Schrauben der Natur abzuzwacken strebt, was sie ‚deinem Geist nicht offenbaren mag‘? Und glauben Sie, daß das Ende ein anderes sein wird als eine große verhängnißvolle Enttäuschung? Alles Durchforschen der Natur langt immer wieder an Puncten an, wo nicht allein die Schranke des Forschens ist, nein, wo der Forscher sich gehöhnt sieht, wo die Natur ihm wie eine Sphinx boshaft zuzurufen scheint: stürz’ dich in den Abgrund, meine Räthsel lösest du doch nicht!“

Als Markholm damit geendet hatte, schwebte wieder, und stärker als vorher, jenes satirische Lächeln um seinen Mund.

Die junge Dame beobachtete es; sie sah ihn scharf an – dann sagte sie:

„Das ist sehr geistreich und gescheidt, Alles, was Sie da sagen – aber haben Sie es nicht gesagt, um –“

„Nun?“

„Um ein armes Frauenzimmer, das Ihnen zu gelehrt vorkommt, ein wenig mit Gedanken zu überströmen und zu sehen, wie sie in dem Sturzbad zappelt und dann gedemüthigt es aufgiebt, sich darin zurecht zu finden!“

„Ich hätte beabsichtigt Sie zu demüthigen?!“ rief Markholm ein wenig betroffen und vielleicht nicht ganz ohne Schuldbewußtsein aus.

„Nun, vertheidigen Sie sich nicht so laut dagegen!“

„Wenn mir aber daran gelegen ist, von Ihnen nicht falsch beschuldigt zu werden, soll ich mich dann nicht vertheidigen?“ sagte Markholm.

Die Dame schien wieder nach Spuren der Ironie in seinen Zügen zu forschen; dann sagte sie:

„Die Männer moquiren sich so gern über ein Mädchen oder eine Frau, die, wenn auch nur aus Thätigkeitstrieb, den Kreis ihrer Bildung in eine Sphäre ausdehnen möchte, welche die Männer als ihre ausschließliche Domäne betrachten. Mineralogie, glaub ich, gehört zu diesen Domänen?“

„Mineralogie wird dazu gehören – allerdings! Das Sammeln dieser garstigen Steine macht die Hände schmutzig.“

„Sehen Sie, Sie spotten wieder!“

„Ich spotte wahrhaftig nicht. Und was ich eben sagte, war mein voller Ernst; ich wollte Sie – um es ehrlich zu gestehen – ein wenig bekehren von einem kleinen Gelehrtenstolze auf Ihre naturwissenschaftliche Richtung.“

„Wenn Sie die Natur nicht interessirt, wie können Sie dann die Einsamkeit, in der Sie doch so ganz an die Natur gewiesen sind, aushalten?“ fragte das junge Mädchen, ihn fortwährend forschend ansehend.

„Wer sagt Ihnen, daß ich die Natur nicht liebe? Ich forsche nur nicht in ihr: ich überlasse es der Welt, mir von selbst entgegenzutragen, was man wichtiges Neues entdeckt und erforscht – ich suche nicht selbst!“

„Und befriedigt das Sie?“

„Vollständig! Man muß nicht Alles wissen, Alles umfassen wollen – man muß auch geistig kein Völler und Schwelger sein, indem man Alles wissen, Alles in sich aufnehmen will. Man muß, wenn der Geist mit voller Kraft und blühender Gesundheit sich auf seine Arbeit concentriren und Tüchtiges darin leisten soll, ihn bei weiser Diät halten.“

„Es ist wahr,“ sagte die Dame, den Redenden sehr nachdenklich anschauend – „man darf aber auch kein geistiger Gourmand sein.“

„Wie verstehen Sie das?“ fragte Markholm, ein wenig betroffen.

„Man darf nicht blos mit dem, was uns frappirt, was pikant ist, was man als den Rahm oben abschöpft, seinen Geist nähren, weil man ihn dann verweichlicht.“

Markholm sah sie groß an. Es lag Etwas in diesen Worten, was ihn wie ein Vorwurf traf.

„Aber nun muß ich gehen,“ sagte die Dame. „Leben Sie wohl!“

„Und die Steine?“ erinnerte Markholm.

„Ich vergesse sie nicht; ich werde sie morgen holen – sie sind mir zu schwer heute, denn ich habe noch mehr in der Tasche.“

„So will ich sie mit mir nehmen und Ihnen senden, Fräulein!“

„Ich will Ihnen die Mühe nicht machen; lassen Sie sie nur hier, ich hole sie mir morgen selber!“

Sie sagte das mit einer Bestimmtheit, daß Markholm nicht weiter seine Dienste anbieten konnte; sie nickte ihm ernst einen Gruß und ging.

Markholm verbeugte sich; die Dame setzte ganz wie vorher ihr suchende Wanderung fort und verschwand am Ende des Ackerfeldes auf einem Fußwege, der in den Wald führte.

Markholm sah ihr lange gedankenvoll nach.

„Merkwürdig,“ sagte er sich dann – „ein merkwürdiges Geschöpf! Diese Ruhe, womit sie dich ansieht, als ob sie in deiner Seele lesen wolle, und dir Dinge sagt, als ob sie noch viel mehr sagen könne! Und dabei des leichtsinnigen, flotten Max Flamme – Seltsam … die mit ihrem Ernst und ihren strengen Gedanken, und der Windbeutel mit seiner sorgenlosen Heiterkeit … wie hat sich das gefunden!“

Er wandte sich und kehrte heim. Er wollte jetzt die abgebrochene Arbeit wieder aufnehmen, aber die Arbeit gelang ihm weniger noch als vorher. Als Max endlich in sein Studirzimmer trat und ihm meldete, daß das Mittagsmahl aufgetragen sei, sagte er: „Treibt Deine Elisabeth Mineralogie?“

„Ach ja – Unsinn!“ versetzte Max … „der Alte ist auf alle möglichen unnützen Kiesel und Steine versessen, und sie sucht ihm deren zuweilen.“

„So? … sie scheint ein Blaustrumpf!“

„Hast Du sie denn gesehen, gesprochen?“

„Nun ja – hat sie Dir denn das nicht schon erzählt – sie war doch auf dem Wege zu Dir, in den Wald hinein, den Du mit Deinen Schüssen unsicher machtest!“

„In der That?“ rief Max lebhaft und mit dem Tone des Verdrusses aus – „auf dem Wege in den Wald begegnete sie Dir? Und ich Esel mußte gerade heute den Einfall bekommen, Hasen draußen auf der Haide zu suchen!“

„Deren Du doch nicht einen einzigen fandest!“

„Da irrst Du sehr, mein theurer Onkel – ich fand ihrer drei – aber sie liefen mir quer über den Weg, und weil das Unglück bedeutet, zog ich vor nicht darauf zu schießen, um nicht unnütz mein Pulver zu verlieren.“

„Das war sehr weise gehandelt!“ lachte der Onkel. „Und nun komm’ zu Tisch!“

(Fortsetzung folgt.)




Zwei Stunden unter Todten.
Von Franz Wallner.

Bei meiner jüngsten Anwesenheit in Wien traf ich mit dem Schriftsteller Anton Langer oft in heiterer Gesellschaft zusammen. Ich habe bei jeder Begegnung mit diesem frischen und fröhlichen Wiener Kind, Wiener Kind in der besten Bedeutung des Wortes, wenn auch, wie der Berliner sagt, „ein sehr ausgetragener Junge“, meine herzliche Freude. Wer ihn sieht, mit dem stets heiteren, runden wohlgenährten Antlitz, dem sich schon nach und nach ein ebenbürtiges Bäuchlein zugesellt, der wird kaum glauben, wie viel geistige Capacität, wie viel rege Arbeitskraft in dem Manne steckt. Langer ist die wesentlichste Stütze des Wiener Romans und der Volksposse, schreibt fast allein eine vielgelesene Zeitung, die mit ungemeinem Geschick redigirt und den Localverhältnissen angepaßt ist, und bringt jede Woche ein paar heitere Feuilletons in den großen politischen Zeitungen. Dabei hat er aber noch immer Zeit, mit fröhlichen Gesellen zu flaniren, den Cicerone zu machen und, wenn es darauf ankommt, zu kneipen, ja – recht anständig zu kneipen. Der freundliche Leser wird aus dieser kurzen Schilderung sehen, daß ich mich keiner besseren Begleitung zum Besuche der räthselhaften Todtenstadt in den unterirdischen Gewölben der Stephanskirche anvertrauen konnte, als der des fidelen Langer.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_260.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2022)