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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Diese große, wahrhaft erlösende That gelang einem Theile der Arbeiter, den Handwerkern in den neu aufkommenden Städten.[1] Unter dem Schutze der Immunität, durch die Könige mit dem Marktrecht beliehen, blühten diese jungen Gemeinwesen meist um Bischofssitze und Königspfalzen (Residenzen) rasch auf. Zwar stand den Herren des Stadtgebietes die grundherrliche Gewalt über die auf ihrem Eigenthum Seßhaften auch hier zu, aber gemildert durch viele Concessionen und Privilegien, mit denen man zum Zuzug anlockte. Schon früher hatten überdem an manchen Orten adelige Dienstmannen und persönlich Freie aus den vornehmen Gilden sich darin niedergelassen und einen Theil des Stadtregiments, die Besetzung der Schöffen- und Rathsbank neben dem bischöflichen oder königlichen Vogt durchgesetzt und auf diese Art eine mehr oder weniger freie Gemeinde gebildet. Besonders anziehend aber waren die Städte für die unfreien Arbeiter, welche, nicht beim Ackerbau beschäftigt, den Handwerken oblagen. Waren schon die Dienste, welche sie mit ihren Gewerbsleistungen für den Bedarf des Stadtherrn leisten mußten, viel weniger lästig, weil sie sich unter eine größere Zahl vertheilten, und überhaupt die Möglichkeit und Gelegenheit, für Andre um Lohn zu arbeiten und Etwas zu erwerben, größer, so kam noch der Stadtfriede, der Schutz gegen rohe Gewalt innerhalb der Ringmauern, hinzu, womit die ersten Bedingungen wirthschaftlichen Emporkommens gegeben waren. Obschon sie daher zunächst keinerlei Rechte der Freien, keine Stimme in den öffentlichen Angelegenheiten erhielten, strömten sie doch massenhaft herein; und da man ihre kräftigen Arme in den ewigen Fehden, wie zur Vertheidigung der Ringmauern, wohl auch in den Kämpfen der Geschlechter und Altbürger mit dem Stadtherrn sehr nöthig brauchte und sie sich überdem zu Gewerbstüchtigkeit und Wohlstand emporarbeiteten, gelang es ihnen allmählich sich zur vollen Freiheit, zu Rechts- und Vermögensfähigkeit, und am Ende zur Mitgliedschaft in der Stadtgemeinde, zur Mitordnung der städtischen Angelegenheiten und Mitbesetzung der städtischen Aemter aufzuschwingen. So geschah die Verleihung des vollen Eigenthums- und Erbrechts durch kaiserliche Privilegien zunächst für einzelne Orte, und wurde bald ebenso, wie der Grundsatz: „daß die Luft in der Stadt frei mache“, vermöge dessen die in die Stadt verzogenen Hörigen nach Jahresfrist vom Grundherrn nicht mehr angesprochen werden durften, zum förmlichen Stadtrecht. Das Mittel aber, sich dieser großen Errungenschaften zu versichern, fanden die Handwerker in der Rückkehr zu den alten Genossenschaften, deren Andenken, trotz aller Reichsverbote, im Volke nie erloschen war. Die Zünfte waren es, in denen sich die Anfänge des jungen Bürgerstandes zu jener Macht organisirten, welche die Städte zu Hauptträgern nationaler Bildung und Sitte, zu den Heerden humanen und wissenschaftlichen Fortschrittes in jenen finstern Zeiten machten, ohne die es uns an jedem Anknüpfungspunkte fehlen würde für die großen Ziele unserer Zeit.

Daß diese Befreiung der gewerblichen Arbeit, der Eintritt der bei der Bewegung betheiligten Arbeiter in ihr volles Menschen- und Bürgerrecht, auf einen großen wirthschaftlichen Umschwung zurückgeführt werden muß, indem von jeher und mit Nothwendigkeit jede bedeutende politische Entwickelung in einer socialen wurzelt, deuteten wir schon an. Um es durchzusetzen, daß die gewerbliche Arbeit für wohl verträglich geachtet wurde mit der Würde, mit Ausübung der Rechte und Pflichten eines Bürgers, bedurfte es vor Allem der wirthschaftlichen Selbstständigkeit, eines gesicherten Erwerbes, eines Eigenthums seitens der Arbeiter. Denn ohne diese Dinge ist weder eine gesellschaftliche Stellung, noch die Leistungsfähigkeit zur Uebertragung der Staatslasten denkbar. So lange nun der Ackerbaustaat in seiner Starrheit bestand, war dies, wie wir sahen, an ein gewisses Maß von Grundbesitz geknüpft. Es gab noch kein bewegliches, vom Grundbesitz getrenntes Vermögen, keine selbsiständige Industrie, keinen eigentlichen Handel im Lande. Fremde Kaufleute kamen herein, um auswärtige Luxusartikel gegen die Produkte der Landwirthschaft und Jagd auszutauschen. Der Verkehr war auf seiner niedrigsten Stufe. Jeder fertigte sich, was er brauchte, mit den Seinigen selbst, und die Reichen und Vornehmen hatten nur das voraus, daß sie unter vielen Hörigen bei den verschiedenen Arbeiten die Auswahl hatten und so eine größere Arbeitstheilung auf ihren Höfen eintreten lassen konnten. Der Austausch geschah in Natur, ebenso wurden die Abgaben, Bußen und Dienste an den Staat, den Grundherrn und sonst geleistet. Geldverkehr kannte man nicht; Vieh, Getreide und Pelzwerk waren die gewöhnlichen Zahlungsmittel. Erst die Anhäufung der bis dahin unfreien Handwerker in den Städten bereitete den Uebergang von dieser reinen Naturalwirthschaft in die Geldwirthschaft vor, löste die Gewerbsarbeit aus dem bloßen Dienste des Ackerbaues los und begründete eine Industrie, einen Handel auf eigenen Füßen. Damit wurde der Hörigkeit, dem Gebundensein an Scholle und Beschäftigung, für die Handwerker die thatsächliche Unterlage entzogen, und der socialen Emancipation folgte die politische auf dem Fuße. Die einmal gegebene Möglichkeit des Erwerbes eines beweglichen Vermögens, freier Rührigkeit auf dem Arbeitsfelde zur Herbeiführung einer gesicherten Existenz, die thatsächliche Gleichheit in der gesellschaftlichen Stellung zog die rechtliche Gleichheit im bürgerlichen Leben nothwendig nach sich. Gebrochen wurde der Bann, der die gewerbliche Production und die gewerblichen Arbeiter bis dahin in eiserne Fesseln geschlagen hielt, indem man ihre Beschäftigung für des freien Mannes unwürdig und für unvereinbar mit bürgerlicher Tüchtigkeit und höhern menschlichen Strebungen ansah. Den alten Handwerkern war es vorbehalten, das Gegentheil darzuthun, in Bildung und Sitte, in Bürgermuth und Befähigung zu den öffentlichen Geschäften mit den Besten zu wetteifern und dabei zugleich den Beweis zu liefern, daß eine solche gehobene Stellung, weit gefehlt, die eigentliche Berufsthätigkeit der Arbeiter zu beeinträchtigen, gerade das Hauptmittel sei, sich den gesteigerten Forderungen im Gewerbsleben gewachsen zu zeigen.

Bei Alledem müssen wir einen Vorbehalt, der schon in dem Gesagten liegt, noch ausdrücklich zur Geltung bringen. Nur von dem kleinern, schon durch die Art seiner Beschäftigung vor den Uebrigen vorgeschrittenen Theile der Arbeiter ging die Bewegung aus und blieb auf dessen festgeschlossene Reihen auch im weitern Verlaufe beschränkt. Deshalb konnte die wirkliche Emancipation der arbeitenden Classen im Großen und Ganzen, die völlige Wiedergeburt unseres Volkes in seiner Gesammtheit sich nicht daran knüpfen. Ganz besonders war es ein im Leben der Zeit in ungeschwächter Vollkraft wurzelndes Moment, welches die städtischen Handwerker gegen die große Masse der ländlichen Arbeiter ausschließend, ja geradezu abwehrend auftreten und die Bewegung vor Erreichung ihrer wahren Endziele an einem bestimmten Puncte Halt machen ließ. Noch war das Ständewesen zu mächtig und hatte alle Lebenskreise viel zu innig durchdrungen, noch entsprach es der damaligen Gesammtentwickelung, dem ganzen Vorstellungskreise der Zeit viel zu sehr, als daß man hätte mit einem Male damit fertig werden können. Deshalb richteten die Handwerker ihre Anstrengungen vielmehr darauf, sich in der einmal vorhandenen Staats- und Lebensform einzugliedern, als sie zu durchbrechen, schlossen sich den andern Arbeitern gegenüber ab und wurden selbst ein Stand, der sich als der dritte dem Adel und der Priesterschaft zugesellte und sich, gleich jenen, mit Vorrechten aller Art verschanzte, sobald er zum Siege gelangt war. Wirklich war eine solche beschränkte Zulassung zu den Vortheilen des Ständestaates, den man dem Princip nach dadurch anerkannte, auch das Höchste, was von den herrschenden Mächten damals zu erlangen war, und die Handwerker hätten die Früchte ihrer Kämpfe, alles mühsam Errungene in hohem Grade gefährdet, hätten sie sich nicht des einzigen Rechtstitels, welchen die Zeit anerkannte, des ständischen Privilegs, versichert. Deshalb hatte denn auch dieser erste Durchbruch der freien Arbeit im Mittelalter nur einen beschränkten Erfolg, weil die vollen Consequenzen davon weit über das Zeitbewußtsein hinausgingen. Doch waren diese Consequenzen in dem erreichten Erfolge schon im Keime enthalten, und das ihm zu Grunde liegende große Princip war viel zu gewaltig und lebensvoll, als daß es sich dabei hätte auf die Dauer beruhigen können. Vielmehr trug das Erreichte die Sprengung der alten Formen, die völlige Umgestaltung der socialen und politischen Zustände bereits in seinem Schooße. Das aufblühende Bürgerthum, die von ihm getragene Zeitbildung und Entwickelung, die Hebung von Wissenschaft und Kunst mit

ihren gewaltigen Hülfsmitteln für das Gewerbe, der steigende

  1. Diejenigen, welche sich über diesen wichtigen geschichtlichen Vorgang eine kurze gedrängte Uebersicht verschaffen wollen, verweisen wir auf die Brochüre des ausgezeichneten Forschers, Professor Dr. W. Arnold: „Das Aufkommen des Handwerkerstandes im Mittelalter.“ Basel, Georg, 1861.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_263.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)