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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„So? Du hast wohl gemeint, ich in meinem Wald erfahre nichts davon, was im Land geschieht? Ich weiß recht gut, wie geschwind Du Dich ’tröst hast über meinen Tod … oder ist es etwa nit wahr, daß Du heirathen willst? daß Du Dich schon als Braut von der Kanzel hast verkünden lassen?“

„Der Vater hat’s gethan, Hiesel, und ich hab’ nachgegeben – nur zum Schein, um den Vater zu beruhigen und sicher zu machen, sonst wär’ ich jetzt noch nicht frei geworden … Ich bin zu der Bas’ nach Friedberg – da hab’ ich erst erfahren, daß Du wirklich noch lebst und wo ich Dich finden kann!“

„Also ist es doch wahr?“ rief Hiesel in ausbrechender Freude. „Du bist mir wirklich noch treu und hast mich noch gern?“

„Lieber als Alles, Hiesel – lieber als mein Leben!“ erwiderte sie innig. „O – weil ich Dich nur wieder hab’ … jetzt wird Alles noch gut, jetzt laß ich Dich nimmer los, Du mußt mit mir nach Kissing zurück. Der Herr Pfarrer hat an’s Pfleggericht geschrieben, daß Dich der Kurfürst als Jäger haben will und daß Dich die Werber in Ruh’ lassen sollen! Es ist noch einmal ein Brief’ kommen von dem Doctor in Räuchen … Hiesel, Hiesel, komm nur mit mir, wart’ keinen Augenblick … Alles, was wir uns gewünscht haben, es kann doch noch wahr werden!“

„Mit Dir soll ich gehn?“ rief Hiesel, indem er schaudernd und erblassend zurücktrat. „Damit ist’s vorbei, Monika! Es ist zu spät – ich bin Hauptmann von den Wildschützen und hab’s ihnen zugeschworen, daß ich niemals von ihnen geh’ … niemals, so lang als ich leb’ …“

„Das ist ein schlechter Schwur, Hiesel, der kann nit gelten,“ entgegnete Monika ängstlich, … „mir gehörst Du, mir hast Du zuerst geschworen …“

„O Monika,“ rief er erschüttert, „was bin ich für ein unglücklicher Mensch! Das größte Glück liegt vor mir, daß ich nur die Hand darnach ausstrecken darf, und ich muß es selber von mir stoßen, muß mich davon abwenden und Nein sagen …“

„Du mußt nit, Hiesel … Du darfst ja nur wollen und die Hand wirklich ausstrecken! O, laß Dich bereden, komm mit mir und Alles wird noch recht …“

Der Anblick des geliebten Mädchens, der zärtliche Ton ihrer Stimme erweichten den starren Sinn des Wildschützen; einen Augenblick zog er sie enger an sich und wiegte sich, die Umgebung und die herbe Gegenwart vergessend, mit ihr auf den Möglichkeiten einer seligen Zukunft.

Inzwischen waren die Schützen alle erwacht; mit Verwunderung sahen sie das Paar an der Waldspitze stehn und steckten fragend die Köpfe zusammen. „Was ist’s, Hauptmann?“ rief Einer herüber. „Mach’ ein End’ mit dem Scherwenzen … oder willst Dich gar von uns abspenstig machen lassen?“

Hiesel’s Angesicht bedeckte sich mit dunkler Gluth: der bloße Gedanke, es könne Einer vortreten und an der Ernsthaftigkeit seines Willens zweifeln, seinen Schwur zu halten, erfüllte ihn mit Grimm. „Ich komm’, Cameraden!“ rief er und drängte das Mädchen von sich. „Geh heim, Monika, geh heim und vergiß mich! Denk’, ich bin wirklich gestorben … für die Welt ist es aus mit uns Zwei!“

„Ich lass’ Dich nit, Hiesel,“ erwiderte sie und klammerte sich schluchzend an ihn, „mein Herz geht auseinander, wenn ich von Dir soll!“

„Meinst, das meinige bleibt ganz… aber es muß so sein …“

„Also das ist all’ Deine Lieb’, Hiesel? Deine wüsten Cameraden sind Dir mehr werth als ich?“

„Du … Du bist mir mehr werth als Alle… Du bist mir das liebste auf der Welt!“ rief Hiesel schmerzlich. „Aber mit Dir gehen kann ich nit – ich hab’s geschworen! O Monika, wenn Du mich wirklich gern hast – wenn Dein Herz nur halb so viel an mir hängt, wie ich an Dir … dann gäb’s doch noch einen Ausweg, daß wir nit auseinander müssen …“

„Was für einen? Red’ … ich will ja Alles thun …“

„… Bleib’ bei mir,“ sagte er zärtlich drängend, „ein schönes Jägerhaus kann ich Dir nit verschaffen, aber Du sollst es gut haben bei mir, wie eine Königin – nichts soll Dir abgehen. … Du sollst es gar nit spüren, daß Du im Walde wohnst! Ich kenn’ einen Pfarrer, der mich gut leiden kann, der soll uns zusammengeben … O Monika, bleib’ bei mir, werd’ mein Weib – geh’ nit wieder von mir!“

„Nein, Hiesel,“ sagte sie entschieden und trocknete sich die Thränen aus den Augen, „das thu’ ich nit! Ich hab’ Mitleid mit Dir gehabt, als mit einem verfolgten unglücklichen Menschen … ich hab’ Dich gern gehabt von Jugend auf, weil Du ein gutes Herz hast … aber ich hab’ gehofft, Du wirst das alte Leben aufgeben und ein neues anfangen wollen … Jetzt willst Du’s statt dessen noch weiter und wilder treiben … Hiesel, mein Herz bleibt bei Dir zurück … aber wenn Du mich jetzt so von Dir gehen laß’st, dann … dann sind wir geschiedene Leut …“

„Wir sind’s!“ erwiderte er und wandte sich trotzig ab.

„Hiesel … besinn Dich noch einmal … schick’ mich nit so von Dir! So lang Du der Wildschütz bist, kann ich nit mit Dir gehen … aber, wenn Du nit heim willst, so führ’ mich in ein andres Land … Hiesel, wenn Du willst, ich geh’ mit Dir und halt’ bei Dir aus, und will arbeiten, daß mir das Blut aus den Nägeln spritzt … nur das Wildschützleben gieb auf, nur von Deinen Cameraden mach’ Dich los!“

„Geh …“ sagte er finster, „ich weiß jetzt, was ich von Deiner Lieb’ zu halten hab!“

„Nein, Du weißt es nit, Hiesel,“ weinte sie, „aber Du wirst es einmal erfahren, wenn es zu spät ist!“

„B’hüt’ Dich Gott,“ sagte er und wendete sich den herbeikommenden Genossen zu. „Hiesel,“ schrie sie auf und wollte ihn noch einmal mit den Armen umfassen, er aber riß sich mit Ungestüm los. „Cameraden,“ rief er; „halt’t mir die Person vom Leib … bei Euch will ich leben und sterben!“

Mit Geschrei und Gelächter drängten die Schützen Monika zurück; wie betäubt sank sie in die Kniee und starrte mit weitausgebreiteten Armen den Enteilenden nach, bis sie im Walde verschwunden waren – dann sprang sie auf, rang die Hände gen Himmel und rannte wie sinnlos die Straße hin, dem fernen Dorfe zu.




4

Der Winter war gekommen und wieder vorübergegangen; der Frühling verstreute schon seine abfallenden Blüthen und ungewöhnliche Hitze verkündete einen baldig nahenden Sommer, der die zurückgebliebenen Fruchtknospen rascher als sonst zu reifen versprach. Mehr als acht Monate waren vergangen, und fast kein Tag hatte sich dazu angereiht, der nicht die Kunde von einem neuen Zuge der gefürchteten Wildschützenbande ins Land trug oder einen neuen listigen Streich, ein kühnes Abenteuer ihres verwegenen Anführers erzählte, vergrößert und geschmückt, wie es das Volk mit dem Leben und den Thaten aller Derer macht, die es zu seinen Lieblingen erkoren. Das Volk war es auch allein, das an diesen Erzählungen und Märchen seine Freude hatte, und zwar nicht blos die Bauern, welche in dem bairischen Hiesel eine Art Schutzengel verehrten und ihn mit allem Guten ins Nachtgebet einschlossen, sondern auch die Bürger in den Städten, zumal in den kleinern von Schwaben, im Allgäu, bis an den Bodensee und auch anderwärts – es war eine düstere, stillstehende Zeit, die Luft lag schwül auf allen Landen und im Westen braute sich schon das furchtbare Gewitter an, das in wenig Decennien das Werk von Jahrhunderten umstürzen und sich überall hin entladen sollte, wie der Sturmwind dahinfegt, die Luft zu reinigen und zu prüfen, was morsch genug ist, in sich zusammenzubrechen. Natürlich ward solches Wohlgefallen an der Kühnheit eines Mannes, der sich mit Bewußtsein und Willen gegen das auflehnte, was ihm ein Unrecht erschien, nicht laut ausgesprochen; aber wenn man im vertrauten Kreise bei Krug oder Flasche beisammen saß, winkte man sich bedeutungsvoll zu und unter vier Augen wagte man sogar auszusprechen, daß in Stadt und Land noch gar Vieles sei, wobei ein bairischer Hiesel noth thäte, um damit aufzuräumen, wie unter dem Wilde.

Desto wüthender waren natürlich die Grundherren, die Besitzer der Waldungen, die er durchzog und deren Wildstand mit einer Schonungslosigkeit verminderte, welche den jagdlustigen Adel in gelinde Verzweiflung brachte: die vielen Reichsgrafen und Reichsfreiherren, die unmittelbaren Stifter und Städte, deren Gebiete dort gar sehr eng neben einander lagen, so daß die Grenzen sich aufs Bunteste verschlangen und kreuzten und manchmal eine Wanderung von einer Viertelstunde genügte, um in aller Bequemlichlichkeit

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