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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Wer ich bin?“ erwiderte der Soldat. „Ich han’s scho’ gseit – ich bin das Reichscontingent von Wetterhause’. Es ischt ä Zettel ’rumgegange’, daß die Reichsständ’ sollen ihre Mannschaften stellen, um den bairischen Hiesel zu fangen, den Wilddieb, den gottsverdächtigen! Guck, hätt der Reichsprälat g’seit, da werd nix übrig bleibe’, als daß wir unser Contingent au’ marschire’ lasse’. Nachtwächter Jäckele, hätt er g’seit, ganget in die Rumpelkammer und ziechet das Soldate’röckli a’, es hängt drobe’ beim alte’ Eise’ und bei die Fußschelle’! Ziech’s a’, Jäckele, hätt er g’seit, und gang au’ mit streife’!“

Der Feldwebel, ein alter Soldat, wandte sich in stummer verachtender Entrüstung ab. Der Hellgrüne mit der wurstgefüllten Patrontasche übernahm die Erwiderung in einer nicht sehr wesentlich verschiedenen Mundart. „Aelles guet,“ erwiderte er und theilte dem Citrongelben brüderlich von seinem Vorrath mit, „aber wir warte’ scho’ lang’ auf Euch, Nachbar! Wir sind von Münsterhausen und haben einen viel weiteren Weg – Ihr habt ja kaum ein Stündle und kommt doch so viel spater!“

„Ich bin ebe’ aufg’halte’ worde!“ erwiderte wichtig der Soldat von Wetterhausen. „Wie ich an die Wurzachische Grenz’ gekommen bin und hab’ passiren wollen, da habe’ se mich aufgehalten und haben geseit, se’ hätte’ kein’ Vertrag mit uns von wege’ de’ bewaffnete Durchmärsch’, do könnte sie’s nit verlaube’ und müßten erst ’n Bericht mache’ und anfrage’. Da hab’ ich gedenkt, es könnt a’ bißle spät wer’e auf die Weis’, und bin lieber draußen herumgegange. Der Umweg ist schuld, daß ich so spät komm’, es ist fast eine halbe Stund’, bis man herum kommt um das Ländle!“

Der Feldwebel hatte sich inzwischen mit dem Förster berathen. „Es hat nicht den Anschein, daß wir noch Verstärkung erhalten,“ sagte er, „wir wollen weiter keine Zeit verlieren. Was meint der Herr Förster?“

„Ich denke,“ erwiderte dieser, „es wird am Besten sein, wenn wir drei Abtheilungen formiren. Der Wald bildet nach der andern Seite hin einen großen Bogen, so ziemlich in der Mitte liegt das Dorf, dessen Kirchthurm dort über die Buchen herüber sieht. Die drei Abtheilungen sollen nun von Bach, Straße und Hügel gegen Westen vordringen; sie werden dann so ziemlich bei dem Dorfe zusammentreffen und es wird keine Hauptpartie des Forstes unberührt geblieben sein. Ist der Hiesel im Wald, müssen wir ihn aufstöbern und bei dem Dorfe soll die Treffung sein!“

Der Feldwebel nickte zustimmend und ließ sein „Angetreten“ mit solcher Wichtigkeit erschallen, daß die Mannschaften sich neben die sechs Gleichförmigen, die noch am meisten den Eindruck wirklicher Soldaten machten, aufstellten und sich nach Rotten mustern ließen. „Hat der Herr Förster keine Nachricht,“ sagte der Feldwebel, sich unterbrechend, „in welcher Richtung wir dem Hiesel am Wahrscheinlichsten begegnen werden?“

„Das ist schwer zu sagen,“ erwiderte der Förster, „der Wilddieb setzt seine Stärke darein, nie lang an einem Ort zu bleiben! Vorgestern hat er dort’ gegen die Niederungen gejagt, also wird er jetzt vermuthlich in der Mitte des Waldes hausen – dort, wo die Eichen sich zu einem Büschel zusammendrängen …“

„Gut,“ begann der Feldwebel wieder, „dann gehe ich mit meinen Leuten auf die Eichen los; den Herrn Förster nehmen die zwei Mann von Türkheim und die drei von Roggenburg und gehen links nach der Ebene vor; die zwei von Münsterhausen und Wurzach und der Mann von Wetterhausen marschiren nach den Niederungen. Also … ’tAchtung! Bei dem Dorfe da drüben hinterm Wald ist die Treffung! Immer nach Sonnenuntergang vorgerückt! Was Verdächtiges getroffen wird, wird angehalten! Wer mit den Wildschützen zusammentrifft, giebt das Zeichen mit einem Schuß, dann zieht sich Alles seitwärts nach der Richtung, in welcher der Schuß gefallen ist! Vorwärts – Marsch!“

Zwei Abtheilungen setzten sich auf das Commando in Bewegung, die vereinigte dritte wich nicht vom Platze. „Donnerwetter!“ schrie der Feldwebel, zurück eilend. „Warum steht Ihr stille? Warum marschirt Ihr nicht?“

„Weil ich nicht einsehe,“ sagte ein Hellgrüner, „warum gerade wir in die Niederungen marschiren sollen, wo die Spitzbuben ganz gewiß schon gewesen sind und sich also noch aufhalten können! Wir sollen eine gemeinsame Streif’ machen, also sollen wir auch gemeinsam beisammen bleiben!“

„Und dann,“ sagte ein Rosenrother, „dann weiß auch kein Mensch, wer bei unserem Corps das Commando haben soll. Wenn wir Wurzach’schen nicht commandiren dürfen, gehen wir nicht mit… der Herr Amtmann hat’s uns auf die Seel’ gebunden, daß wir dem Herrn Reichsgrafen ja nichts an seinen Rechten und Privilegien vergeben sollen!“

„Das ischt Aelles wahr,“ rief der Citrongelbe, „aber ich darf dem Herrn Prälate’ au’ nit zu weh geschehe’ lasse’… Ich werd’ das Commandire au’ zuwege bringe, für was wär ich dann das Reichscontingent von Wetterhause’“?“

„Nun, so bleibt wo Ihr wollt!“ rief der Feldwebel zornig. „Wir werden auch ohne Euch zurecht kommen!“ Er wollte fort, aber der kühne Wetterhauser war ihm nachgesprungen und rief: „Noi, noi, Herrle, so geht’s nit! Wir sollen die Streif’ miteinander machen, also müssen wir auch dabei sein, und was Ihr allein thut, gilt nicht!“

Da krachte im Walde aus der Ebene ein Schuß und endete den Streit.

Im Augenblick brach ein Hirsch, ein stattlicher Sechzehnender aus den Bäumen und flog in mächtigen Sätzen längs des Waldrandes dahin.

„Seht,“ rief der Förster, vor Zorn stampfend, „dort sind die Wilddiebe! Dort jagen sie! Ist solche Frechheit jemals erhört worden … sie müssen uns hier sehen und uns zum Spott jagen sie vor unsern Augen!“

„Ja, es ischt merkwürdig,“ sagte der Citrongelbe, „es ischt als wenn sie uns kä bissele fürchta thäte’.“

Ein zweiter Schuß knallte dazwischen, am Waldrande hatte der Hirsch seinen letzten Sprung gethan, brach in die Vorderläufe zusammen und legte sich verendend auf die Seite. Im nämlichen Augenblick trat ein Mann aus dem Walde, die noch rauchende Büchse in der Hand; er legte sie achtlos neben sich hin auf den Boden, kniete neben dem Thiere nieder, gab ihm dem Genickfang und machte sich bereit, es nach allen Regeln der Waidmannskunst zu zerwirken.

„Gucket ämol,“ rief der Reichssoldat von Wetterhausen wieder, „da habe’ mer uns doch geirrt und hätten ein schön’s Unglück anrichten können! Des ischt ja gar koa Wilddieb, des ischt ja a Jäger, er zieht ja eb’n das Jägerröckle aus!“

„Nein, nein,“ rief der Förster noch grimmiger. „Es ist ein Wildschütz und Niemand anders, als der verfluchte Hiesel selbst! Der Kerl erfrecht sich, sich als Jäger zu kleiden, und hat in den letzten Wochen auch allen seinen Hauptgenossen grüne Röcke und gelbe Lederhosen machen lassen, daß sie aussehen wie reichsfürstliche Förster! – Meinetwegen thut Ihr Alle, was Ihr wollt. Ich gehe hinunter und stelle den Burschen und wenn’s mein Tod sein sollte! Dem Anschein nach ist er allein und Mann gegen Mann fürcht’ ich mich vor Niemand!“

Raschen Schritts eilte er den Hügel hinab und die Streifer sahen ihm neugierig nach. „Ich habb immer g’seit,“ sagte der Wetterhauser, „der Herr Förster ist ein curagirter Mann – mer wöllet doch seha’, ob er den Hiesel fangt!“

Der Jäger hatte sich in die Kornfelder geduckt und eine Hecke erreicht, die sich wie ein Saum an den Feldrain hinzog, so daß er dahinter bis auf Schußweite an den Waldrand und an den Wilddieb herankommen konnte. Der Feldwebel gab oben Befehl, sich unter die Bäume zurück zu ziehen, und diesmal wurde ihm ohne Widerrede gehorcht, denn der Platz war durch Gebüsch vollkommen gedeckt und doch so gelegen, daß man die ganze Flur übersehen konnte.

Inzwischen war der Förster an das Ende der Hecke gekommen, untersuchte sein Gewehr und sah nochmal forschend nach dem Wildschützen hinüber; dieser schien ihn nicht zu bemerken und auch gar keine Gefahr zu ahnen, er hatte die Hemdärmel aufgestülpt und war mit dem Aufbrechen des Hirsches so sorglos und ruhig beschäftigt, als sei er der Herr des Waldes, dem Niemand etwas einzureden habe.

Jetzt trat der Jäger aus dem Gesträuch; das Gewehr schußfertig an die Hüfte haltend, rief er mit lauter Stimme: „Halt, Wilddieb! Nicht gerührt! Du bist mein Arrestant!“

Der Angerufene hob, ohne sich stören zu lassen, den Kopf nur leicht in die Höhe. „Eilt es stark?“ fragte er. „Es wäre mir schon recht lieb, wenn ich zuvor meine Arbeit fertig machen könnt!“

„Keine Umstände, Kerl!“ rief der Jäger wieder. „Jetzt ist es aus mit dem Uebermuth, Du bist in meiner Hand. Augenblicklich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_274.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)