Seite:Die Gartenlaube (1865) 275.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

steh’ auf und geh ruhig vor mir her, oder Du bist des Todes! Hast ja oft gesagt, wir Jäger könnten nicht schießen; jetzt sollst Du sehen, daß ich Dich nicht verfehle!“

Hiesel hatte sich auf ein Knie empor gerichtet und deutete lächelnd mit dem Daumen über seine Schulter nach dem Walde zu. „Ich will’s wohl glauben, daß Du gut schießen kannst, Förster,“ sagte er, „aber die da können’s doch noch besser!“

Dem Jäger schlug es wie ein Blitz in den Leib; er blickte gegen den Wald und sah, während er selbst noch das Gewehr an der Hüfte hatte, drei oder vier Schützen im Anschlag liegen und die Mündungen ihrer Büchsen auf sich gerichtet.

„Hast im Ernst gemeint, der Hiesel wär so dumm?“ rief dieser lautlachend. „Dafür gehört Dir schon eine ordentliche Straf – Jetzt ist die Reih an mir. Halt Jäger! Hahn in Ruh! Nicht gerührt. Du bist mein Arrestant! Du gehst schnurgerad, als wenn gar nichts passirt wär, in den Wald, und wenn Du an mir vorbeigehst, da thust Du den Hut herunter, wie man einen Bekannten grüßt. Die Soldaten da droben am Hügel müssen glauben, daß wir zusammen gehören, und müssen herunter kommen … ich möcht’ sie mir in der Näh anschauen!“

Der Jäger stand betroffen; ein so entschlossener Mann er auch war, erkannte er doch, daß er in eine Falle gegangen, aus der es keinen Ausweg gab; Widerstand wäre zwecklos und tollkühn gewesen, also that er knirschend, wie ihm befohlen war, und schritt in den Wald.

Die Streifmannschaft hatte indessen von fern mit gereckten Hälsen zugesehen und das Reichscontingent von Wetterhausen ergriff wieder das Wort. „Ich hab doch Recht gehabt,“ sagte er, „daß es kein Wilddieb ist, sondern ein Jäger! Es wäre auch gar zu frech, uns so vor der Nase so herum zu hantiren! Für was ständen wir denn da?“

„Ich glaub es jetzt selbst,“ erwiderte der Feldwebel und drehte seinen Schnurrbart. „Es scheint, der Herr Förster ist in den Wald gegangen etwas zu recognosciren; bis er wieder kommt, wollen wir in das Thal vorrücken, damit wir gleich zur Hand sind!“ Die Mannschaft fand sich diesmal bewogen, dem Commando Folge zu leisten, und marschirte in ziemlich schwankenden Wellenlinien den Hügel hinunter. Durch die Senkung am Heckensaume wand sich ein kleines Bächlein unter den Erlen- und Haselwurzeln hin; an dem für ein kleines Brückchen freigelassenen Raum hielt der Feldwebel für geeignet, in’s Blachfeld vorzurücken und sich zu theilen. Diese Bewegung ging schon etwas zögernder von statten, doch gelang sie, weil die Tapfern das Gebüsch hinter sich wußten, das sie jeden Augenblick in raschem Rückzüge erreichen konnten.

Hiesel hatte sich angestellt, als ob er die Herankommenden gar nicht bemerke; jetzt hatte er seine Arbeit vollendet, stand auf und blickte wie verwundert um sich. „Hallo, was giebt’s da?“ rief er. „Was wollen denn die Mannschaften?“

Ehe der Feldwebel als Anführer zu antworten vermochte, hatte ihn der Soldat von Wetterhausen schon der Mühe überhoben. „Mer sind ä Streif,“ sagte er. „Wir solle’ den Spitzbube’ fange’, den bairischen Hiesel. Kann uns der Herr vielleicht saga, wo wir ihn finde’?“

„Freilich! Damit kann ich schon aufwarten!“ erwiderte Hiesel und rief lachend in den Wald: „He da, Ihr da drinnen, die Herren wollen den bairischen Hiesel sehen!“

Als Antwort krachte von allen Seiten eine Salve von mehr als zwanzig Schüssen aus dem Wald, und wie der Pulverrauch sich verzogen hatte, war von der ganzen Mannschaft nichts mehr zu sehen, als der Feldwebel, der sich verwundert umblickte und dann ebenfalls die Retirade nach der Hecke antrat. Jenseits derselben aber ging’s an ein Laufen, als ob es eine Wette zu gewinnen gelte; die Soldaten hatten nicht beachtet, daß die Schüsse absichtlich in die Luft gefeuert worden waren, der Knall hatte hingereicht, sie zu zerstreuen; trotz des lahmen Beines aber hatte das Reichscontingent von Wetterhausen Allen weitaus den Vorsprung abgewonnen. Schallendes Gelächter des Wildschützen-Hauptmanns und seiner Genossen gab ihnen das Geleit.

Jetzt trat auch Hiesel in den Wald, wo seine Leute sich in weitem Ring um ihn versammelten, in der Mitte stand der gefangene Förster, von dem Rothen und vom Sattler mit gespannten Gewehren bewacht. Der Mann war etwas bleich geworden, aber er erwartete gefaßt was kommen sollte. „Jetzt ist die Reihe an Dir!“ rief ihm Hiesel zu. „Knie nieder und wirf Dein Gewehr auf den Boden! Auf die Knie’!“ rief er wild, als der Jäger etwas zögerte. „Mach Reu’ und Leid, Dein letztes Stündel ist da! Sag’ ein Stoßgebet her, denn in den nächsten Minuten bist Du in der Ewigkeit!“

Er legte an und zielte nach der Brust des Jägers. Dieser war noch bleicher geworden, aber seine Stimme zitterte nur wenig, als er, sich auf ein Knie niederlassend, erwiderte: „Warum wollt Ihr mich erschießen? Ich hab Euch doch mein Lebtag nichts Leides gethan!“

„Nicht?“ schrie Hiesel. „Hast Du mich nicht angegriffen und zuerst mit dem Tode bedroht? Und wenn das auch nicht wäre – Ihr Jäger haltet zusammen und steht Einer für den Andern, darum machen wir es auch so und lassen Einen für den Andern büßen.“

„Es ist wahr,“ sagte der Jäger, „ich würde Euch nicht schonen, also darf ich auch von Euch keine Schonung hoffen … In Gottes Namen denn. Schießt zu … ich bin bereit! …“ Er faltete die Hände und begann ein halblautes Vater Unser zu sprechen, aber schon nach den ersten Worten versagte ihm die Stimme. „O Gott, o Gott, mein Weib und meine Kinder!“ seufzte er schmerzlich und die Augen des starken Mannes füllten sich mit Thränen. „Was wird aus den Kindern werden … Armes Weib, wie wirst Du das ertragen … Und nicht einmal einen letzten Gruß kann ich Dir schicken!“

Den Gewehrkolben an der Wange und unverrückt zielend betrachtete Hiesel den Mann nicht ohne Theilnahme, aber er verbarg sie hinter gesteigerter Wildheit. „Den Gruß will ich bestellen!“ rief er rasch. „Also nicht gezaudert und sich bereit gemacht! Ich zähle – und bei Drei mach’ Dich reisefertig!“

Der Jäger faltete wieder die Hände und hob die Augen gen Himmel: „Eins … zwei …“ zählte Hiesel, als aber die verhängnißvolle Drei gesprochen werden sollte, setzte er das Gewehr ab und rief: „Dein Weib dauert mich nicht, denn die Weiber sind falsch – aber Deine Kinder will ich nicht zu Waisen machen – ich schenk’ Dir das Leben, damit Du von einem Wildschützen Barmherzigkeit lernst! Die Todesangst hast Du jetzt ausgestanden, vielleicht merkst Du Dir’s und lässest uns in Zukunft in Ruh – wenn wir uns wieder begegnen, ist es Dein Letztes, so gewiß ich Hiesel heiß’!“

Der Jäger wollte sich erheben, aber Tiras, an solche Auftritte gewöhnt, hatte ihn schon am Genick gefaßt und zu Boden geworfen. „Dein Gewehr und Hirschfänger und was Du an Pulver und Blei bei Dir hast, gehört uns … Gebt ihm einen Denkzettel, das ist Eure Sache,“ rief Hiesel, sich abwendend, seinen Gefährten zu, „aber schädigt ihn nicht am Leben!“ Mit rohem Geschrei fielen der Rothe, der Sattler und einige Andere über den Wehrlosen her, der Hund schüttelte und zerrte ihn hin und wieder; Hiesel aber mit dem Buben, der ihm niemals von der Seite wich, und mit dem Tiroler, seinem Vertrauten, wandte sich tiefer in den Wald. „Ihr wißt, wo wir uns treffen!“ rief er noch zurück. „Der Sternputzer soll voraus ins Dorf und soll uns im Wirthshaus ansagen; der hat’s noch von Ingolstadt her, daß er sich am Besten auf die Küche und auf den Schnabel versteht!“

In der heitersten Laune schritten sie durch den Wald, die Vögel sangen aus allen Büschen und die Sonne brach durch die Zweige, um den moosgrünen Waldteppich mit ihrem Golde zu durchweben. Auch Hiesel ward heiter, während meist eine düstere und gereizte Verstimmung auf ihm lag. Daß Monika sich von ihm gewendet, hatte einen Schatten in sein Gemüth geworfen, der es umdüsterte und nur in Aufregung oder Thätigkeit zu verschwinden schien, in der Ruhe aber und in der Einsamkeit um so dunkler wiederkehrte, begleitet von vergeblichem Sinnen, wie es wohl gekommen sein möchte, wenn er dem Mädchen gefolgt, und von schnell unterdrückten, kaum sich selbst eingestandenen Regungen der Reue. Immer seltener kam die leichtsinnige Heiterkeit zum Durchbruch, die den Grund seines Wesens bildete, und am Oeftersten geschah es noch in der vollen Schönheit des vertrauten Waldes nach Vollendung eines kühnen Streichs oder wenn er sich keine Vorwürfe über das Vorgefallene machte, denn es kam wohl vor, daß Manches anders ausging, als man es bedacht und begonnen hatte, und nicht immer gelang es ihm, die wilde Schaar, die ihm diente, auch vollständig nach seinem Willen zu lenken. Heute schallte sein Gesang fröhlich durch den Wald, denn er hatte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_275.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2022)