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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nimmer zu der Verbindung mit dem ganz mittellosen Jüngling ihre Einwilligung gegeben hätten. Nur im Geheimen durften sich die liebenden sehen; der Ort ihrer verborgenen Zusammenkünfte war der Kirchhof, wo Leonorens Eltern unter dem grünen Rasen schlummerten.

Dorthin lenkte auch heute Günther nach der Vorstellung seiner Tragödie in der Abenddämmerung die Schritte, um von seiner Leonore auf längere Zeit Abschied zu nehmen – es ist die Scene, die unsere Abbildung wiederzugeben versucht. Er fand sie am Grabe ihrer Eltern weinend. Sanft umschlang er die Geliebte und küßte die Thränen von ihren Wangen fort, indem er sie zu trösten suchte.

„Du wirst mich nur zu bald vergessen,“ klagte sie in bitterem Schmerz, „und dann bin ich verlassen. Ich habe keinen Menschen auf der weiten Welt außer Dir.“

„Bei Allem, was mir heilig ist,“ rief der Jüngling, „schwöre ich Dir ewige Treue. Nie werde ich wanken und von Dir lassen. Aber Du,“ setzte er ahnungsvoll hinzu, „wirst Du dem Drängen Deiner Stiefeltern widerstehen?“

„Gott ist mein Zeuge,“ sagte sie feierlich, „daß ich niemals einem anderen Manne angehören werde. Bei meiner Eltern Leichensteine gelobe ich Dir, nur Dir allein anzugehören. Ihr Geist möge uns umschweben und segnen!“

Günther nahm ihre Hand und steckte einen goldenen Ring an ihren Finger.

„Im Angesicht des Himmels verlobe ich mich mit Dir; fortan bin ich, nächst Gott, Dein Schutz und Schild. Harre in Geduld und Alles wird noch gut werden. Der Gedanke an Dich wird mir Kraft verleihen und mich zum Ziele führen.“

Unter Küssen und Liebesschwüren zog er sie an seine Brust und auf den grünen Rasen nieder. Die goldenen Sterne leuchteten dem glücklichen Paare und schmetternde Nachtigallen sangen ihnen das Lied der Liebe. Noch einmal preßte er Leonore an seine Brust, dann schieden sie tief bewegt und unter heißen Thränen. Mit den besten Vorsätzen bezog Günther die Universität zu Wittenberg und besuchte fleißig die Collegien, aber die Medicin, welche er zu seinem Studium gewählt, gewährte seinem feurigen Geiste nicht die gewünschte Befriedigung. Die Liebe zur Poesie verdrängte die trockene Fachwissenschaft; das freie studentische Wesen riß ihn unwillkürlich fort und verleitete ihn zu manchen Ausschweifungen, die bei seiner Jugend verzeihlich waren. Er fehlte nicht so leicht bei einem lustigen Gelage und statt Galen und Hippokrates vereinte er die Musen des Gesanges und schwärmte mit den fröhlichen Brüdern. Aber mitten im Strudel seiner Vergnügungen bewahrte er die Treue für Leonore. Uebertriebene Gerüchte von seinem liederlichen Leben waren in die Heimath und auch zu ihren Ohren gelangt. Er bat und beschwor sie, den Verleumdungen keinen Glauben zu schenken und ihm nach wie vor zu vertrauen. Leonorens Stiefeltern jedoch drangen in sie, einem reichen und angesehenen Manne, der sich schon früher um sie beworben hatte, ihre Hand zu reichen. Sie schrieb ihm und er warnte sie vor einem Treubruche, der sie und ihn verderben müsse. Mit düsteren Farben malte er ihr das unglückliche Loos an der Seite eines ungeliebten Gatten; er verwies sie auf das Beispiel seiner eigenen Schwester, welche in einer traurigen Ehe lebte. Diese war unglücklich verheirathet und dadurch so verbittert, daß sie das Glück des Bruders zu stören und durch ihre Ränke Leonore von ihm abwendig zu machen suchte. Auch Günther’s Vater, ein strenger, harter Mann, war mit einer solchen Verbindung und mit dem Betragen seines Sohnes keineswegs einverstanden. Das ungünstige Urtheil seiner nächsten Angehörigen, die übertriebenen Gerüchte von seinem Leichtsinn, die Bitten und Drohungen ihrer Stiefeltern bestürmten Leonore von allen Seiten und machten vereint zuletzt einen so tiefen Eindruck auf das arme, verlassene Mädchen, daß sie endlich nach manchem schweren Kampf dem ungeliebten Bewerber zum Traualtare folgte.

Die Nachricht von Leonorens Untreue erschütterte Günther auf das Furchtbarste; er sah sich in seinen heiligsten Empfindungen, in seinen reinsten Gefühlen verletzt und gekränkt. Sein Glaube wankte, sein Vertrauen war zerstört und sein namenloser Schmerz kannte keine Grenzen. Zorn und Wuth loderten in seinem Herzen, abwechselnd mit Trotz und kalter Verachtung, denen er in seinen Liedern aus jener Zeit den beredten Ausdruck lieh:

Ich habe genug!
Lust, Flammen und Küsse
Sind giftig und Süße
Und machen nicht klug.
Komm, selige Freiheit, und dämpfe den Brand,
Der meinem Gemüthe die Weisheit entwandt!

Um sein Leid zu betäuben, ergab sich Günther jetzt mit Absicht dem ausschweifendsten Leben; mit der ganzen Gluth seines sinnlichen Naturells stürzte er sich in den Strudel der wildesten Zerstreuungen, welcher über ihn zusammenschlug. Fortan kannte er keine Rücksicht, keinen Halt mehr, die weibliche Tugend war für ihn nur noch ein leerer Wahn, seitdem Leonore ihn so schwer getäuscht. Tobende Zechgelage, wüste Abenteuer, blutige Raufereien und Liebeshändel ohne Zahl und Wahl waren seine Mittel, um den nagenden Schmerz zu beseitigen. Der liebenswürdige edle Jüngling verwandelte sich in einen cynischen Wüstling, in einen unverbesserlichen Schlemmer. Günther’s Wesen neigte von jeher zum Extrem und in seinem Innern wohnten die himmlischen Geister dicht neben den Dämonen der Hölle. Diese triumphirten und unter ihrem versengenden Hauche welkten die herrlichen Keime einer selten schön angelegten Natur. Dennoch gab es Augenblicke, wo das bessere Princip wieder in ihm erwachte, wo die alten schönen Erinnerungen auf’s Neue auftauchten, und es bedurfte nur einer kräftigen und doch milden Freundeshand, um ihn zu retten. Die Nachricht, daß die untreue Leonore in unglücklicher Ehe lebe, erfüllte ihn nicht mit Schadenfreude, sondern mit tiefem Mitgefühl. Als ihr Kind schon wenige Monate nach der Geburt starb, tröstete er sie mit einem seiner schönsten und rührendsten Gedichte. Er schrieb an sie und erklärte, daß er sie nie vergessen werde.

Mit der Zeit wurde ihm selbst das wilde Leben in Wittenberg zur Last; er zog sich von seinen früheren Zechgenossen zurück und wollte nach Leipzig gehen, um seine vernachlässigten Studien wieder aufzunehmen. Seine zahlreichen Gläubiger hielten ihn jedoch mit Gewalt zurück und ließen ihn, da sie seine heimliche Entfernung befürchteten, festnehmen. In der höchsten Noth wandte er sich an seinen Vater und bat ihn zu befreien, indem er ihm ernstlich Besserung gelobte und in den rührendsten Worten seine Verzeihung erflehte. Dieser blieb jedoch unerbittlich und überließ hart und unversöhnlich den reuigen Sohn seinem traurigen Geschick. Mit Hülfe der alten Gönner in Schweidnitz, an die sich Günther wandte, und einiger in Wittenberg studirender Landsleute öffneten sich endlich die Pforten seines Kerkers, so daß er mit den besten Vorsätzen sich nach Leipzig wenden konnte. Hier war er ganz auf sich angewiesen, da er von Hause aus keine Unterstützung zu erwarten hatte. Durch Gelegenheitsgedichte mußte er sich den nöthigen Unterhalt zu verschaffen suchen und seine Muse arbeitete für Brod. Dennoch fand sein Talent bald Gönner und einflußreiche Freunde, darunter den kursächsischcn Historiographen und Hofrath Burkhardt Mencke, einen der berühmtesten Gelehrten seiner Zeit, der außerdem noch das große Verdienst hatte, die deutsche Sprache statt der damals üblichen lateinischen in der Wissenschaft angewendet zu haben. Er selbst war Dichter und sein Haus der Mittelpunkt aller poetischen und wissenschaftlichen Kräfte in Leipzig. Mit wahrhafter Humanität unterstützte er den armen Günther und sorgte väterlich für sein Fortkommen. Auf Mencke’s Veranlassung besang derselbe die Siege des tapferen Eugen gegen die Türken und den Frieden von Passarowitz in einem größeren Gedichte voll Begeisterung für den großen Helden. Sein Gönner war von dieser Arbeit so entzückt, daß er das Gedicht nach Wien an den Kaiser selbst schickte, in der Hoffnung Günther dadurch eine Anstellung als Hofpoet zu verschaffen. Diese erfolgte nun zwar nicht, dagegen fand das Gedicht die allgemeinste Anerkennung und Bewunderung. Ganz Deutschland wurde auf den Verfasser aufmerksam, dem von allen Seiten Beweise der Theilnahme zuflossen. In Breslau traten mehrere angesehene Männer zusammen und schickten Günther eine ansehnliche Summe, um ihn längere Zeit vor jeder Noth zu schützen. –

Der edle Mencke war jedoch mit diesem Erfolge noch keineswegs zufrieden und bemühte sich nach wie vor, die Zukunft seines Schützlings dauernd zu sichern. Hierzu bot sich eine glänzende Gelegenheit, indem an dem prachtliebenden Hofe zu Dresden für den verstorbenen Ceremonienmeister und Hofpoeten von Besser ein entsprechender Ersatz gesucht wurde. Menke, an den man sich zu diesem Zwecke gewendet hatte, schlug den ihm befreundeten

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