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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Günther starb am 15. März 1732 in seinem noch nicht vollendeten achtundzwanzigsten Lebensjahre, „ein Dichter im vollen Sinne des Wortes,“ wie ihn Goethe nennt, der über ihn das Urtheil fällt: „Ein entschiedenes Talent begabt mit Sinnlichkeit, Einbildungskraft, Gedächtniß, Gabe des Fassens und Vergegenwärtigens, fruchtbar im höchsten Grade, rhythmisch bequem, geistreich, witzig und dabei vielfach unterrichtet; genug, er besaß Alles, was dazu gehört, im Leben ein zweites Leben durch Poesie hervorzubringen und zwar im gemeinen, wirklichen. Wir bewundern seine große Leichtigkeit, in Gelegenheitsgedichten alle Zustände durch’s Gefühl zu erhöhen, und mit passenden Bildern, historischen und fabelhaften Ueberlieferungen zu schmücken. Das Wilde und Rohe daran gehört seiner Zeit, seiner Lebensweise und besonders seinem Charakter, oder wenn man will, seiner Charakterlosigkeit. Er wußte sich nicht zu zähmen, und so zerrann ihm sein Leben, wie sein Dichten.“

Max Ring.


Die allezeit richtig gehende Uhr.

Wenn man jetzt seine Taschenuhr herauszieht und bis auf die Minute genau sieht, welche Zeit es ist, denkt man gewiß selten daran, welcher Aufwand von Scharfsinn, welche Reihe von mühevollen Arbeiten erforderlich gewesen, um ein solches Kunstwerk, wie es heut in Jedermanns Händen ist, hervorzubringen.

Man kannte ursprünglich keine anderen Uhren als die sogenannten Sonnenuhren, bei welchen aus der Schattenlänge eines Stabes oder anders geformten Gegenstandes die Zeit bestimmt wurde. Endlich kam von Aegypten herüber die erste wirkliche Uhr nach Europa, die Klepsydra oder Wasseruhr, eine mit Wasser gefüllte Glaskugel, durch deren enge Oeffnung unten das Wasser in eine Röhre darunter tröpfelte. Auf dem Wasser unten schwamm ein leichter Körper, dessen Steigen bestimmte Zeitabschnitte angab. Trotz der Unzuverlässigkeit dieser Wasseruhren blieben sie doch allgemein in Gebrauch bis zu den Zeiten Galilei’s, und erst im Jahre 1650 wurde eine vervollkommnete Art derselben erfunden, welche durch Heraustreiben eines Cylinders mit dem steigenden Wasser einen Mechanismus so bewegte, daß er die Stunde schlug.

Von mechanischen Erfindungen und Kunstwerken, welche Zeitabschnitte durch Schlagwerke anzeigen, den sogenannten Horologen, ist mehrfach in früheren Jahrhunderten die Rede. Die verschiedenen Erfindungen, Zeiten, Völker und mechanischen Genies haben über Jahrhunderte hinweg zusammengewirkt, um endlich eine richtig gehende Uhr in unserem Sinne möglich zu machen, so daß man eine große Menge Erfinder der Uhr anerkennen muß oder gar keinen (d. h. dann auch: alle zusammen). Wissenschaftlich hervorragend ist nur die Entdeckung Galilei’s, daß die Pendelschwingungen sich zur mathematisch genauesten Zeitmessung eignen, und die darauf gegründete Erfindung der Pendeluhren (1639).

Die allmähliche Vervollkommnung der von gespannten Federn getriebenen Taschenuhren, von drei oder vier bis Hunderte von Thalern für’s Stück, ist zugleich eine lange Geschichte der Mechanik im Kleinen und würde, etwas genau erzählt, einen guten Band füllen. Sie schließt die merkwürdigsten Wunderwerke von Kirchen- und sonstigen berühmten Uhren ein, die beim Schlag gewisser Stunden die seltsamsten Kunststücke machten, Sonnen-, Mond- und Sternenlauf mit anzeigten, den Adam in Eva’s Apfel beißen ließen u. s. w., Uhren, die oder deren Ruinen zum Theil jetzt noch in diesem oder jenem Kirchenthurme vorhanden sind.

Von den Sanduhren, die man auch noch hier und da auf Kanzeln findet, diesen Sinnbildern der Vergänglichkeit – oft neben einem Todtenkopf – ist weiter nichts zu sagen, da ihre Einrichtung ganz der der Wasseruhren gleicht. Wir wissen Alle, daß die Uhrmacherkunst zu einem hohen Grade von Vollkommenheit ausgebildet worden ist und zu den nothwendigsten, blühendsten Industriezweigen gehört. Aber wie Wenige von den Millionen Menschen, die kostbare Taschen- und außerdem noch prächtige Stutz- und Wanduhren haben, können sich auf deren Genauigkeit verlassen! Unter zehntausend solchen Mechanismen giebt es kaum einen ganz zuverlässigen, sogenannten Chronometer, und auch die besten sind den Einwirkungen der Temperatur unterworfen und müssen öfter regulirt und gestellt werden. Zeit ist aber Geld, und Pünktlichkeit in unserm modernen Leben, wo tausenderlei Geschäfte, Eisenbahnzüge und gegebene Versprechungen von der Minute abhängen, ein Betriebs- und Credit-Capital, das bei uns noch lange nicht genug geschätzt und verwerthet wird.

Um den Werth der Zeit und Pünktlichkeit gehörig zu benutzen, muß nicht nur unsere eigene, sondern auch jede andere Uhr richtig gehen. Wer bestimmt diese Richtigkeit? Die alte Akademie-Uhr in Berlin, die allen Erschütterungen der stets vorbeidonnernden Wagen ausgesetzt ist? Alle Berliner richten sich danach, aber Berlin ist blos ein sehr unbedeutendes Fleckchen in dem Tag und Nacht geschäftsverbundenen Deutschland. Allerdings giebt’s im Kalender Tabellen, welche sagen, wie viel eine richtig gehende Taschenuhr einer richtig gestellten Sonnenuhr vor- oder nachgehen müsse, um richtig zu gehen. Wo ist aber die astronomisch anerkannt richtig gestellte Muster-Sonnenuhr? Wo die von der Wissenschaft und der Autorität gewährleistete astronomische Uhr? Es giebt nichts der Art in dem zerstückelten Deutschland, so daß man, um sicher zu gehen, eine halbe Stunde vor der Zeit auf den Eisenbahnhof fahren, um pünktlich zu sein, auch ein Stück Geld in Form von Zeit opfern muß.

Wär’ es nicht Zeit, eine ähnliche Einrichtung wie in England zu treffen? Dort ist die von der feinsten astronomischen Wissenschaft gepflegte Uhr der Greenwich-Sternwarte absolute Autorität für’s ganze Land. Und alle wichtigen Geschäfts- und Verkehrspunkte, selbst mehrere Stadttheile Londons können zu jeder Zeit an den mit dieser Uhr elektrisch in Verbindung stehenden Chronometern sehen, welche Zeit es ist im ganzen Lande. Außerdem fallen mit der großen Kugel auf der Greenwich-Sternwarte immer mehrere meilenweit sichtbare Kugeln, sowie es in der Schöpfung Eins schlägt. Danach werden alle Tage sämmtliche öffentliche Uhren auf Eisenbahnen, in Staats- und Geschäftsbureaux berichtigt, so daß jeder Privatmann im Stande ist, seine Uhren darnach zu stellen. Hierdurch wird die kostbare Zeit schon gehörig gewürdigt und Jeder bewegt und befähigt, sparsam damit umzugehen, sie möglichst gut zu benutzen. Und die Pünktlichkeit, eine Tugend, durch deren allgemeinen Cultus in England jährlich Millionen von Pfunden gespart d. h. für förderliche Zwecke gewonnen werden, ist geradezu eine der vornehmsten und angebetetsten Landesgöttinnen geworden. Die Königin Victoria ist hauptsächlich wegen ihrer ausnahmslosen gewissenhaften Pünktlichlichkeit und als Muster einer guten Mutter so populär geworden.

Wir im zerstückelten Deutschland haben keine Aussicht auf eine allgemein gültige astronomische Normaluhr und den daraus fließenden Zeit- und Pünktlichkeits-Cultus.

Gleichwohl haben Tausende von Geschäftsleuten, Fabrikanten, Oekonomen, Arbeitgebern und Arbeitern aller Art das höchste Interesse an genauer Kenntniß der Zeitabschnitte des Tages. Wonach sollen sie – namentlich die von großen Städten entlegenen, die Oekonomen, Fabrikanten u. s. w., welche Tausende von Arbeitern pünktlich erwarten, die eine genau einzuhaltende Zeit arbeiten, auf’s Essen verwenden, mit einem bestimmten Schlage zum Schlusse gerufen werden sollen – die Zeit messen, ihre Uhren reguliren?

Das Einzige bleibt eine genaue Sonnenuhr. Aber die gewöhnlichen, wie sie seit Jahrhunderten Mode sind, haben nur einen untergeordneten praktischen Werth und sind außerdem an einen bestimmten Ort gefesselt, da das Aufstellen anderswo vor Allem die genaueste Meridian-Kenntniß erfordern würde. Daher ist es wichtig und erfreulich, daß ein Deutscher eine tragbare, überall leicht richtig zu stellende astronomische Normal-Sonnenuhr erfunden hat, die sich jeder leicht verschaffen und jederzeit an eine sonnige Stelle stellen kann, um zu erfahren, welch’ Zeit es eigentlich sei. Sie antwortet stets mit absoluter Wahrheit der Sonne und bis auf die Minute.

Es ist die hemisphärische Sonnenuhr des Chemikalien-Fabrikanten Herrn H. Schmeißer in Berlin, der sich seine Erfindung patentiren ließ und die Verfertigung derselben dem Mechanikus Herrn Meißner in Berlin, Friedrichstraße 71, den Vertrieb und Verkauf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_280.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)