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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nicht mehr innerhalb Markholm’s naturwissenschaftlicher Kenntnisse lag.

„Curioses Spielzeug für eine Dame!“ sagte er, indem er den Stein wieder hinlegte. „Ist es möglich, daß ein Weib so etwas kennen lernt, sammelt und ein Interesse dafür gewinnt – anders, als um entweder vor Andern oder vor sich selber mit ihrem Wissen zu kokettiren? Max sagt zwar, sie sammele nur, um ihrem Vater die Sachen zu bringen. Es ist möglich! Aber mir gegenüber erwähnte sie nichts davon, sie gab eigenes Interesse vor – vor mir wurde mit der Gelehrsamkeit kokettirt!“

Er blickte auf, weil er in der Entfernung etwas Helles aufleuchten sah – es war noch hinter den Gesträuchen des Hohlweges am Ende des Feldes – dann kam es aus dem Hohlwege heraus – sie war es, seine Bekanntschaft von gestern.

Sie war ganz dieselbe Erscheinung; auch nicht die geringste Veränderung an der Toilette; ohne Sonnenschirm wieder und statt dessen mit ihrem leichten Berghammer bewehrt.

Aber sie kam rascher an dem Gehölz entlang geschritten als gestern, und ihr Haupt war nicht mehr suchend dem Boden zugewendet.

Als sie den Schlagbaum erreicht hatte, sagte sie mit einem Tone offenbarer Ueberraschung und einem leichten Erröthen: „Ah – Sie? Machen Sie täglich um diese Stunde einen Spaziergang bis hierher?“

„Nein,“ versetzte Markholm, der nicht wußte, woher ihm eine gewisse Beklommenheit kam, die sich seiner bemächtigt hatte, während er sie auf sich zuschreiten sehen, – „nein, ich komme heute nur, um zu sehen, ob Sie wirklich die schweren garstigen Steine holen würden.“

„Zweifelten Sie daran?“

„Ja!“

„Weshalb?“

„Weil ich in der That nicht glaubte, daß das Interesse einer Dame für solche Dinge so weit gehen würde … daß sie die Wissenschaft Wissenschaft sein lassen würde, wenn es schwere Steine dabei zu schleppen giebt!“

Sie sah ihn mit ihren großen Augen wieder forschend an. Es war ein Blick, der für Markholm fast etwas Unbehagliches hatte. Was hatte sie in diesen merkwürdigen Augen für eine Gabe des Durchschauens, was für eine Macht, in der Seele zu lesen … denn Markholm war es so, als ob sie das wolle und könne, in seiner Seele lesen, und als ob er sich dessen, was er darin in diesem Augenblick von Unglauben und Spott hegte, ein wenig vor ihr schämen müsse.

„Ich habe Ihnen schon gestern gesagt,“ versetzte sie dann, indem sie ruhig einen der Steine aufnahm, „daß Sie nichts davon verstehen. Sehen Sie diesen Stein an. Sehen Sie, dies da nennt man Quarz …“

„Und dies da? Quark?“ fiel er auf das gelbstreifige Mineral deutend ein.

Sie schüttelte mitleidig den Kopf.

„Nein, nicht so,“ antwortete sie völlig ernsthaft, „sondern Stronzianit. Stronzianit ist ein sehr selten vorkommendes Mineral, aus welchem die Chemie das Präparat herstellt, mit welchem man Bengalisches Feuer macht. Weil Stronzianit selten ist, so ist Bengalisches Feuer etwas sehr Theueres. Ich habe aber jetzt hier auf diesen Feldern Stronzianit in Menge gefunden. Ich habe die Landleute darauf aufmerksam gemacht und sie sammeln mir nun die Steine. Einen Theil davon hat mein Vater einem Chemiker in der Residenz gesandt – fallen die Versuche befriedigend aus, und bis jetzt hat der Chemiker die besten, vielleicht sogar etwas zu hoch fliegende Hoffnungen – so ist es möglich, daß ich einzelnen Bauern Hunderte von Thalern auf diese Weise verschaffen kann! Räumen Sie mir jetzt ein, daß Sie nichts von den Sachen verstehen?“

„Das räumte ich Ihnen schon gestern ein!“

„Aber Sie beklagten es nicht, wie Sie es hoffentlich jetzt thun werden – hätten Sie etwas davon verstanden, so würden Sie der Wohlthäter dieser Gegend geworden sein!“

„Das würde ich beklagen, wäre ein Anderer als Sie es geworden!“

„Das ist sehr galant! Die Männer werden gewöhnlich galant, wenn sie sich geschlagen fühlen und nicht anders mehr der Anerkennung der Wahrheit zu entschlüpfen wissen!“

„Sie verkennen mich; ich will gern anerkennen, daß Sie mich geschlagen haben und daß Ihr wissenschaftlicher Eifer etwas sehr Praktisches hat …“

„Das ist nun wieder satirisch gemeint!“ sagte sie; „Sie wollen sagen: wenn Du die Sache auch ernst treibst, so ist es doch kein wissenschaftlicher Eifer, Dinge zu suchen, die Geldwerth haben.“

„Sind Sie gewiß, daß ich das sagen wollte? Und wenn ich so meinen Unglauben daran, daß eine Dame sich der Wissenschaft um ihrer selbst willen aufrichtig hingeben könne, verrathen hätte, würden Sie mir das übel nehmen? Wissen Sie denn, ob ich die Wissenschaft so gewaltig hoch stelle, daß ich das Verhältniß eines Menschen zu ihr als den Höhenmesser seines moralischen Werthes betrachte? Ist es nicht möglich, daß mein Glaube, die Frauen kokettirten mit dem Studium nur, aus der Ueberzeugung entspringt, daß sie für etwas Höheres als das Studium geboren, und daß sie das Bewußtsein dessen ewig in sich tragen, mögen sie auch ganze Folianten schreiben oder ganze Quadratmeilen von Leinwand mit Gemälden vollpinseln?“

„Giebt es etwas Höheres als geistiges Schaffen?“

„Für Künstler nicht. Aber für Frauen, ja!“

„Was?“

„Das Leben des Gemüths, die Liebe und der häusliche Heerd!“

Elisabeth sah ihn eine Weile wieder schweigend an; er begegnete ihrem Blick und er fühlte diesmal nicht das, was er vorhin dabei gefühlt, nichts von jenem unbehaglichen Gefühl bei dem Gedanken, daß sie in seiner Seele lesen wolle.

„Diesmal haben Sie Recht, weil Sie sagen was Sie denken.“

„That ich das früher nicht?“

„Nein. Sie sagten Manches, was Sie sich selbst glauben gemacht hatten.“

„In der That?“ versetzte er spöttisch.

„Ja. Es mag sein, daß Sie Lebenserfahrungen gemacht haben, die Sie dazu veranlaßten. Wenn wir Erfahrungen gemacht haben, so ziehen wir daraus Schlüsse. Diese Schlüsse stehen oft im Widerspruch mit unserer innersten Natur. Dann schwören wir wohl darauf, vertheidigen sie gegen Gott und die Welt, und Männer wie Sie sind im Stande, einen dreibändigen Roman zu schreiben, der gar keine andere Tendenz hat, als die Welt zu unserer Lehre zu bekehren. Im Grunde aber glauben wir selbst nichts davon; im Grunde wissen wir recht gut, daß im Schatze unserer theuer errungenen Lebensweisheit sehr viel Spreu ist.“

„Ich staune über Ihre scharfe Beurtheilung der Dinge,“ versetzte Markholm, in der That ein wenig betroffen von einer Bemerkung, deren Richtigkeit er, was ihn selbst betraf, glaubte einräumen zu müssen. „Aber,“ fuhr er fort, „wie können Sie mit solcher Bestimmtheit diesen allgemeinen Satz auf mich anwenden – was wissen Sie davon?“

„Ich habe manche Ihrer Schriften gelesen; von dem, was Sie da erzählen, habe ich wenig behalten, ich habe die Unart, nicht sehr gespannt auf das zu lauschen, was mir ein Schriftsteller erzählt; ich bin wirklich leider eine undankbare Leserin, denn die eingebildeten und bald getrösteten Leiden von Roman- und Novellenhelden und Heldinnen interessiren mich wenig. Aber ich achte auf den Mann, der mir erzählt, ich beobachte, wie er es thut, und ich suche herauszufinden, was für ein Mensch er ist.“

„Sie sind wirklich eine böse Leserin – ein schlimmes Stück Publicum!“ rief Markholm fast ein wenig erschrocken aus.

„Weshalb? Wenn ein Autor das fürchten muß, wenn er kein guter Mensch mit einem warmen Herzen ist, was enthüllt er uns denn in seinen Schriften sein Herz?“

„Aber so muß man sich ja sagen, daß man fortwährend einer moralischen Anatomirung unterworfen ist, so lange Sie ein Buch …“

„Es ist nicht so schlimm!“ fiel hier heiter lachend Elisabeth ein – „und was macht sich auch ein gelehrter, berühmter Mann daraus, von einem vorwitzigen Mädchen beurtheilt zu werden!“

„Nun,“ sagte Markholm … „das kommt darauf an; es könnte Fälle geben, wo er sich sehr viel daraus macht. Und aus meinen Schriften haben Sie heraus gelesen, daß ich mir etwas weiß machen und auch der Welt Dinge aufzubinden strebe, an die ich selber nicht glaube?“

„Ich habe daraus gelesen, daß Sie ein Charakter sind, der sich den Unglauben an die Frauen selbst weis macht; bei dem das nicht zu den angeborenen Ideen gehört, sondern nur zu den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_287.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2022)