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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Elisabeth lächelte wieder, aber sie sagte: „Wissen Sie, daß Sie mir das hätten gar nicht sagen dürfen?“

„Und weshalb nicht?“

„Weil diese Theorie so ganz mit der Ketzerei übereinstimmt, der ich längst im Stillen gehuldigt habe … denn ach, ich fühle, daß ich eine sehr schlechte Wirthschafterin sein würde, und habe immer … doch das würden Sie ja nicht glauben, wenn ich es sage …“

„Was haben Sie immer?

„Nein, nein, Sie haben neulich ganz andere Dinge von den Frauen gesprochen und vielleicht sagen Sie dies Alles nur, um mir eine Schlinge zu stellen!“

„Und welche Schlinge?“

Elisabeth sah ihn wieder mit ihrem großen, fragenden, forschenden Blicke an. Dann sagte sie: „Welche Schlinge? Mich zu verlocken, mit dem Interesse für Dinge zu kokettiren, wofür Sie den Frauen doch alles wahre Interesse abgesprochen haben.“

„Es ist wahr … aber wissen Sie, ob das nicht neulich blos eine Boutade von mir war, ein Ausbruch der Bitterkeit, darüber daß mir eine Frau mit wahrhaften geistigen Interessen im Leben nicht begegnet sei und daß ich … sie doch so grenzenlos tief und leidenschaftlich geliebt haben würde!“

Elisabeth mußte etwas in Markholm’s auf sie gerichteten Blicken begegnen, was sie veranlaßte, ihre sonst so ruhigen, selbstbewußt und klar schauenden Augen plötzlich abzuwenden und aufzustehen.

„Ich denke, wir haben nun lange genug conversirt, für zwei Freunde!“ sagte sie dabei.

„Noch lange nicht genug, um mich ganz auszusprechen,“ wollte Markholm sehr erregt ausrufen; aber er wurde durch einen lauten Männerschritt unterbrochen, der in diesem Augenblick durch den Salon herankam, und gleich darauf trat Max in das Zimmer des Onkels.

„Ah, Fräulein Elisabeth!“ sagte Max, offenbar überrascht von dem Anblick der jungen Dame und ihr eine etwas unceremoniöse Verbeugung machend.

Ist er eifersüchtig? fragte sich, dies beobachtend, Markholm, der sehr ärgerlich über die Störung war.

Elisabeth reichte Max unbefangen die Hand.

„Ah, gefangen!“ rief sie dann lachend – Markholm kam es vor, als ob sie ein wenig gezwungen lache – aus.

„Gefangen – ach, ja – , ich denk’ daran‘ hätt’ ich sagen müssen – ich habe mein Vielliebchen verloren!“

„Zur Auslösung wird Ihnen mein Neffe einen Hasen schießen,“ sagte Markholm, von Neuem durch diese Scene, die ihm die Vertraulichkeit der beiden jungen Leute zeigte, nicht wenig erregt.

„Ach, nein,“ versetzte Elisabeth, „es soll meinetwegen kein Blut vergossen werden – ich bin zufrieden, wenn Ihr Neffe mich eine Strecke heimbegleitet, ich habe ihm Etwas zu sagen!“

Sie gab Markholm die Hand und mit einem kurzen Adieu verschwand sie. Max folgte ihr.

Markholm blieb in einer schwer zu beschreibenden Stimmung zurück. Diese Begegnung der jungen Leute hatte Etwas gehabt, was einen vollständigen Sturm in ihm erregte. Er hatte Mühe ihn zu bewältigen – sich zu sagen: aber Du bist ja ein fürchterlicher Thor – Max kam ja wie von Deinem guten Genius gesandt, just im rechten Augenblick, um Dich daran zu erinnern, daß Du ein Thor bist, ein lächerlicher alter Thor! –

Leider hilft es in gewissen Situationen und gewissen Stimmungen sehr wenig, wenn man sich vorsagt: Du bist ein Thor. Es liegt dann weder der Trost, noch die schmerzstillende Beruhigung darin, welche man erwartet, indem man sich diesen Ehrennamen beilegt; und alle Beiwörter, die man zur Verstärkung der calmirenden Wirkung hinzufügt, machen die Sache nicht besser!

Auch Markholm empfand dies, und indem er einmal wieder in seinem Salon auf- und abrannte, gestand er sich, daß der Mensch doch das seltsamste dualistisch gespaltene Wesen sei, welches gedacht werden könne.

Ich sage mir da die klarsten, handgreiflichsten, unumstößlichsten Gründe vor, weshalb ich ein Narr bin, dachte er, und dennoch bleibe ich ein Narr; doch gelingt es mir nicht, meine Gedanken und alles Weben und Spinnen und Dichten und Trachten meiner innersten Seele von diesem Mädchen loszureißen – von einem Mädchen, das meinen Neffen liebt, und das, auch wenn es ihn nicht liebte, nicht im Traum an mich alten Büchermenschen denken würde; und die Verzweiflung darüber macht mich unglücklich, so tief wie das Meer ist, und mein ganzes Leben liegt jetzt vor mir, so dunkel, wie die Nacht ist … und das Alles trotzdem mir die Vernunft sagt, welch grenzenlose Narrheit das ist, und daß das, was mich bestrickt hat, ein Weib ist, mit dem ich, wenn sie mein würde, vielleicht in ewigem Hader läge – die mir in Allem widerspräche, die mich beherrschen wollte bis in mein letztes Heiligthum, mein Schaffen und mein Arbeiten hinein; die mir mit ihren Ansprüchen, mit ihren Salonbedürfnissen jeden freien Augenblick zum Denken und Schaffen raubte; die mich durch ihre Schwatzhaftigkeit außer mich brächte, wenn ich ruhen, und durch stummes Schmollen, wenn ich plaudern möchte; die mir Lärm, Leidenschaften, Intriguen, fremde Menschen in mein stilles Haus brächte und weiß Gott, was Alles … Aber all’ diese Betrachtungen helfen mir nichts, mag die Vernunft sich mir zehnmal vorhalten – mit frechem Widerspruchsgeist sagt die Seele: und es ist Alles nicht wahr, nichts von Alledem würde sein, sie würde Dir ein Engel von einem Weibe sein und Dir eine Unendlichkeit von Glück bringen! – Welcher unerklärliche Dualismus – Vernunft und Seele, Verstand und Herz streiten sich in mir, sie reißen sich förmlich bei den Haaren, sie liefern sich eine Schlacht in meiner Brust, und ich bin der Unglückliche, der die Wunden der einen wie der andern empfinden, daraus bluten muß! Unselige Begegnung … dämonisches Schicksal! –

(Fortsetzung folgt.)




Eine Thüringer Natur.
Von Friedrich Hofmann.

Im Schützenhofsaale zu Eisfeld, einem Meiningischen Städtchen, vor welchem jetzt der Dampfwagen auf der Fahrt zwischen Hildburghausen und Coburg eine Station hat, war im Winter ein Liebhaber-Theater aufgebaut. Auf der Bühne stehen die Gruppen der Mitspieler, Sänger und Sängerinnen, vor den Notenpulten die Stadtmusikanten, durch Dilettanten zu einem ansehnlichen Orchester verstärkt. Da sind schier alle Stände vertreten: Förster, die das Waldhorn, Doctoren, welche die Trompete, Maler, welche die Flöte, Lehrer, welche andere Instrumente blasen, die Violine ist mächtig besetzt, das Cello handhabt der alte Pfarrer von Stelzen meisterhaft, an jedem Pulte stehen neben den Musikanten von Profession Freiwillige, die für ihr Instrument ihren Mann stellen, bis zu den Pauken, die ein langer Amtschirurg bearbeitet, der allemal behauptet „die Stimm’ ist net richtig“, wenn er falsch eingefallen ist, und bis zum „Brummbaß, der alle zusammenhält.“ Jetzt tritt der Director an sein Dirigentenpult. Seht ihn euch ordentlich an: es ist ein bildschöner Mann von vierundzwanzig Jahren. Das dunkelbraune Haar bedeckt, schlicht und lang zu beiden Seiten niederhangend, die hohe Stirn, zwischen den vollen, gesundheitstrotzenden Wangen tritt eine wahre Herrschernase hervor, unter der ein wohlgeformter Mund so gutmüthig und herzig zu lächeln versteht, wie das braune Augenpaar oben, das aber auch Blitze schießen kann, wenn der Mund donnert, denn hinter der Sanftmuth thront eine Energie, welche nach großen Zielen ringt.

„Was das für ein Mensch ist, der Otto!“ – erzählt dir ein Nachbar. „Dem ist nicht nur jedes Kind, dem sind auch die Thiere gut. Ich hab’s selbst gesehen, wenn er im Sommer in seinem Garten im Grase liegt und so tief nachdenkt, so kommen Molche und Eidechsen aus den Spalten der nahen Felsen am Wasserloch zu ihm herangelaufen. Eine alte Eidechse hat er ordentlich dressirt; sie setzt sich auf seine bloße Brust und läßt sich vom Otto ruhig betrachten, der auf ihrem Schwanze Hieroglyphen entdeckt haben will, die er da eifrig studirt. Und dabei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_292.jpg&oldid=- (Version vom 25.11.2022)