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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

diese Zeit fällt meine Anstellung bei einem Eisfelder Liebhabertheater als Theaterdichter und Capellmeister, welche ich um so leichter erhielt, als ich sie selber zu vergeben hatte und keine Gage damit verbunden war.“

So weit für jetzt Otto Ludwig. Das war der Lebensgang des Dichters bis zu dem Augenblicke, wo wir ihn kennen lernten. Jetzt, wo jede Zeile von solcher Hand eine Reliquie geworden ist, die man zu seinen liebsten Schätzen legt, durften wir diese kurze, von sonnigem Humor erleuchtete Selbstbiographie nicht übergehen; aber genügen kann sie uns ebenso wenig, wie sie unseren Lesern in allen Beziehungen klar sein wird. Versuchen wir denn die von ihm hingeworfenen Contouren seines Lebensbildes nach Möglichkeit auszumalen.

Als Otto Ludwig’s Geburtstag wird von seinen Freunden der 11., von den gedruckten Nachrichten über ihn der 12. Februar genannt; das Kirchenbuch mag das Richtige erweisen. Sein Vaterhaus ist in dem großen Brande, welcher 1822 den größten Theil von Eisfeld in Asche legte, mit zu Grunde gegangen. Desto lebendiger ist dort noch heute das Andenken an Otto’s Eltern. Der Vater war Stadtsyndicus, d. h. erster Justizbeamter der städtischen Obrigkeit, ein gelehrter, begabter und ziemlich wohlhabender Mann, den jedoch Kränklichkeit und wohl noch mehr die viele mit seinem Amte, namentlich während der Kriegszüge, verbundene Aufregung mit einer Verbitterung erfüllte, die ihn wohl oft zu schroffem Auftreten verleitete und auch von der Sorge für die Erziehung des Sohnes abzuwenden schien. Gleichwohl war er edlerer Gefühle fähig; war doch seine liebste Erholung in seinen geschäftsfreien Stunden die Pflege der Dichtkunst; es sind sogar Gedichte von ihm in Druck erschienen. Auch an des Sohnes Zukunft dachte er, aber eben in seiner Weise. Als im Jahre 1818 die Eisfelder Revolution gegen den nachmals sogenannten Flottenfischer[1] ihn, als einen Hauptbetheiligten, ganz besonders in Harnisch gebracht hatte, entschloß er sich seinem Sohne eine ruhigere Lebensstellung zu sichern, als die seine ihm dünkte. Er erwarb Grundeigenthum an Feld und Wiesen, schuf ein steriles Stück Land in einen Garten um, legte Baumpflanzungen an und errichtete ein Landhaus mit Wirtschaftsgebäuden. Mancherlei Ungeschick, das vom Bauherrn, wie von den Bauleuten dabei begangen sein mochte, fraß jedoch arg am Vermögen des allzukühn unternehmenden Mannes, und vielleicht auch mit an seinem Leben. Er starb, seine Schöpfung unvollendet hinterlassend, kaum sechsundvierzig Jahr alt, 1825.

Otto Ludwig’s Mutter, Sophie Christiane geborne Otto, war die Bildnerin ihres Sohnes nach jeder Richtung und eine ebenso und in derselben Weise ausgezeichnete Frau, wie ihr Sohn eine ausgezeichnete Erscheinung als Dichter geworden ist. Mit gleicher Sorge wie den Körper pflegte sie Geist und Gemüth des Knaben vom ersten Keim bis zur ersten Entfaltung der Blüthe. Gebildet und begabt in nicht gewöhnlichem Grade überließ sie nicht einem Lehrer oder der öffentlichen Schule, sondern übernahm selbst den Unterricht des Kindes in den Elementen des Wissens, in Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion und den übrigen Schulfächern. Mit dem feinen Auge einer Mutter erkannte sie früh das ungewöhnliche Talent Otto’s, und um so mehr machte sie es sich zu ihrer Lebensaufgabe, einen edlen Menschen aus ihm zu bilden. Deshalb sorgte sie auch für einen Kreis von würdigen Spielcameraden für ihn, und einer derselben, Johannes Recknagel, jetzt einer der tüchtigsten Bürger Eisfelds, der mit Otto bis zu dessen letztem Augenblick in treuer Freundschaft verbunden blieb, erzählt uns über jene Zeit u. A.: „So kann ich mich heute noch erinnern, wie die herrliche Frau, vor der wir, wie die ganze Stadt, die größte Hochachtung hatten, dem Otto und uns, seinen Spielcameraden, fast täglich aus den schönsten Jugendschriften vorgelesen und uns diese Erzählungen so ausgezeichnet schön erklärt hat, daß wir Jungen von sechs bis acht Jahren, und namentlich der kleine Otto, so mächtig ergriffen wurden, daß wir alle diese Märchen und Geschichten theatralisch vorstellen wollten. Das rief natürlich die possierlichsten Austritte hervor; und wenn auch Tische, Stühle und Vorhänge dabei in große Gefahr geriethen, so freute sich die Frau Stadtsyndicus doch herzlich mit uns, zumal wenn Talent sich dabei hervorhob und keine Ausartungen dabei vorkamen. Schon damals konnte Otto sich über gelungene Aeußerungen und Thaten dermaßen aufregen, daß er konvulsivische Muskelzuckungen bekam, ein Uebel, das sich leider später so sehr ausbildete.“

Von der Mutter trefflich vorbereitet, trat Otto 1824, elf Jahre alt, in die Stadtschule ein, zu einer Zeit, wo der allen seinen Schülern unvergeßliche Conrector Morgenroth in derselben waltete; er ist es, von dein Otto Ludwig selbst sagt, daß er seinen Sinn für Musik geweckt habe und der ebendeshalb verdient, daß sein Name in der Lebensbeschreibung seines großen Schülers nicht verschwiegen werde.

In das folgende Jahr fällt der Tod des Vaters. Die Ordnung seines Vermögens-Nachlasses mag zu wenig tröstlichen Resultaten geführt haben. Die Wittwe sah sich genöthigt, zu ihrem Bruder, einem Kaufmann, Christian Otto, zu ziehen, einem alten Junggesellen, dessen Hauswesen sie nun besorgte. Sie lebte in äußerster Zurückgezogenheit und Eingeschränktheit, Alles um ihres Lieblingswunsches willen, dem Sohne eine wissenschaftliche Laufbahn möglich zu machen.

Schon in Otto Ludwig’s letzten Schuljahren schwirrten ihm Hunderte von Ideen und Entwürfen zu Dichtungen, besonders zu dramatischen im Kopfe herum, und schon damals pflegte er die originelle Unordnung – der Franzose nennt’s un beau désordre – in seinen Büchern und Schriften, der er auch später nie ganz untreu geworden. Er schrieb jeden Einfall, jeden ihm neu aufgestiegenen Gedanken, den er für seine dramatischen Pläne oder zur Ausarbeitung in Gedichten benutzen wollte, auf ein besonderes Blatt oder Blättchen; solcher Zettelchen entstanden oft an einem Tage nicht wenige; aber er legte sie nicht je nach dem Stoff, zu dem sie gehörten, zu einander, sondern warf sie auf und durcheinander, so daß er nicht selten nach wenigen Tagen nicht mehr wußte, wozu die einzelnen Theile dieses Reichthums ursprünglich bestimmt waren. Das kümmerte ihn indeß nicht, denn wenn er Gedanken brauchte, hatte er sie auch. – So spielt der glückliche Geist der Jugend mit seinen frischesten Blüthen, – erst wenn der Mensch alt wird, sammelt er und freut sich über sein Herbarium voll dürrer Blätter.

Im Jahre 1827 verließ Otto Ludwig die Stadtschule. Jetzt mußte die Frage über die Zukunft desselben entschieden werden. Verwandte und Freunde riethen vom „Studiren“ ab, für sie sprachen auch die Vermögensverhältnisse; aber das Herz der Mutter konnte es nicht verwinden, das große Talent ihres Lieblings ungepflegt verkümmern zu sehen. Sie that das Aeußerste, opferte was sie konnte, und brachte Otto (1828) nach Hildburghausen. Aber nur zu bald sah sie ein, daß die Opfer ihre Kräfte überstiegen, sie mußte dem Zureden ihres Bruders nachgeben, der seinen Neffen als Lehrling in seinen Laden nehmen wollte, vielleicht mit der versöhnenden Aussicht, einst sein Geschäftsrerbe zu werden. So hing denn Otto Ludwig im Jahre 1829 die grüne Schürze um und verarbeitete die todte Literatur zu Düten, anstatt zur lebendigen sich aufschwingen zu dürfen.

Einen wunderlicheren und ungeschickteren Kaufmannslehrling hat man wohl nie gesehen, erzählt Recknagel. Und da der Onkel ebenfalls einer der wunderlichsten Kauze war, dessen Hagestolzenecken keine weibliche Hand abgeschliffen hatte, so würde Otto ohne die Nähe seiner Mutter das traurige Loos als Pegasus im Joch nicht lange ertragen haben. Die Musik und die Mutter waren sein Trost; letztere litt jedoch unsäglich unter diesen Verhältnissen. Der häßliche Contrast zwischen der hohen geistigen Bestimmung ihres Sohnes und der grünen Schürze drückte sie zu sehr, und daß alle ihre Sorge und Mühe vergeblich war, ihn seinem angeborenen Beruf wieder zu geben, dieser Kummer brach ihr Herz. –

Nach ihrem Tode (1831) fehlte das Auge, das ihn bisher mit einem bittenden Blick von zu ungestümem Wüthen in seine Gesundheit durch langes Nachtarbeiten bewahrt hatte; um so wilder trieb er’s nun, wie er uns oben selbst gesteht. Nach Saalfeld zog ihn der damalige Ruf des Lyceums unter der Heilung des Rectors Reinhard. Nach seiner abermaligen Rückkehr nach Eisfeld emancipirte er sich nach und nach vom Ladendienst, wohnte zwar bei seinem Onkel, warf sich aber ganz auf dichterische und vorzugsweise auf musikalische Arbeiten. Mehrere Sommer verlebte er im Landhause des Gartens, der ihm vom väterlichen Grundbesitz

  1. Wir erzählen dieselbe unter „Blätter und Blüthen dieser Nummer“ der Gartenlaube.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_294.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)