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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

noch erhalten worden war. Diese stille Klause theilte er mit einem Freund (Schaller, jetzt Amtsverwalter in Kranichfeld), von welchem wir über das Leben und Treiben des Dichters in dieser Zeit werthvolle Mittheilungen erwarten dürfen.

Zur Fortsetzung der bereits begonnenen Studien fehlten ihm die Mittel; auch würde er sich schwerlich für ein Fachstudium entschieden haben, seitdem er sich einmal in „das freie ungebundene Wirken und die schöpferische Selbstthätigkeit“ hineingelebt hatte. Seine Vorbildung genügte wenigstens, um ihm den autodidaktischen Weiterbau möglich zu machen, während zugleich die Quelle seiner dichterischen und musikalischen Production nur so sprudelte. Leider hat sich namentlich von den literarischen Versuchen aus jener Zeit wenig erhalten. Sein alter Onkel erzählte oft: „daß sein Neffe ganze Bände voll Gedichte und Novellen, die in ihren Einzelheiten von scharfen Kritikern bewundert wurden, zum Drucke fertig liegen gehabt habe; aber Nichts von alle diesem habe Gnade vor seinen Augen gefunden, wenn er vom Tage und Nächte langen Studium von Shakespeare’s oder Goethe’s Werken zur Prüfung seiner eigenen Arbeiten zurückgekehrt sei.“ Mehr haben seine Freunde von seinen musikalischen Kompositionen gerettet. Vor mir liegt, von seiner Hand geschrieben, ein Heft Liederstudien und Studien zu Schiller’s Taucher, für eine Stimme mit Pianofortebegleitung, beide im November 1839, Ouverture und Anfang zu einer Oper „Romeo und Julie“, ein Requiem, im September 1839 schon in Leipzig componirt, und eine Komposition des Erlkönigs, die von Kennern in einzelnen Zügen der Schubert’schen noch vorgezogen wird; endlich ein Heft „Dramatisch musikalische Studien“, die u. A. eine Parodie in Form einer Ouverture (Il divino Rossini) enthalten. Von den beiden Opern (oder vielmehr Dramen mit Musik und Gesängen), die er in Eisfeld vollendet hatte – „die schöne Müllerin“ und „die Geschwister“ – sollte die letztere ihn zu einem Wendepunkt seines Geschickes führen. Nachdem er die Partitur zur Beurteilung an Stunz in München und dann an Totzauer in Dresden geschickt und von beiden vielbeschäftigten Künstlern, augenscheinlich unausgepackt, zurückerhalten hatte, trieb es ihn, die Wirkung dieses Stückes in seinem Eisfeld gleich selbst zu erproben. Er hatte längst nicht nur ein Gesang-, sondern auch ein Streichquartett aus Dilettanten der Stadt und Umgegend gebildet, die bei den üblichen Concerten sich großen Beifalls erfreuten, ein Liebhabertheater bestand bereits, es galt also nur noch eine Vervollständigung des Orchesters und der Chöre und gründliche Einübung, so mußte es gehen.

Und es ging. Wir wissen bereits, mit welchem Eifer alle Betheiligten zu Werke schritten, und als nun die lang ersehnte Aufführung geschah, da rief sie eine Begeisterung hervor, deren Schwingen diesmal die Kunde und den Namen des Dichter-Componisten über das Weichbild der Stadt hinaustrugen. Auch in Hildburghausen und Meiningen würdigte man plötzlich die Leistungen des jungen Mannes größerer Aufmerksamkeit. Otto Ludwig schreibt hierüber weiter in seiner oben angeführten Selbstbiographie: „Damals sendete die Kesselring’sche Hofbuchhandlung in Hildburghausen einige Compositionen, die ich ihr angeboten, an den Capellmeister Grund in Meiningen zur Beurtheilung, der mich dem Herzoge empfiehlt. Ich erhalte 1839 ein Reisestipendium vom Herzog, ohne darum angehalten zu haben, und eine Empfehlung an Mendelssohn-Bartholdy in Leipzig.“ – So war denn endlich die Fessel gelöst, die den Genius an die Scholle gebunden hatte. Wie tief und froh da die junge Seele aufgeathmet haben mag, das weiß nur der, dem der Himmel der Jugendsehnsucht eben so hart verschlossen war und ebenso unverhofft sich öffnete.

Otto Ludwig ging nach Leipzig mit dem Entschluß, sich vorzugsweise der Musik zu widmen. Wir wissen, daß er denselben später aufgab, daß zwar die Musik bis an sein Lebensende ihm eine alte Liebe war, der er treu blieb, daß er sich aber später alles früher so leidenschaftlich geübten Componirens enthielt und ausschließlich dichterischer Schöpfung lebte. Man hat die Ursache dieser Wandelung in dem Nervenleiden gesucht, das ihn jetzt öfter und gefährlich niederwarf; daß aber auch tiefer liegende Ursachen ihm das Studium dieser Kunst verleideten, darüber geben Briefe Otto Ludwig’s an seinen Onkel Ausschlüsse. Doch müssen wir die Leser bitten, nicht zu vergessen, daß er diese Briefe nach der ersten überstandenen Krankheit und den anderen Leiden des Winters schrieb, und daß dies vor fünfundzwanzig Jahren geschah. Erklärt dies das hier und da hervortretende Schroffe im Urtheil, so wird das Ganze doch volle Beachtung verdienen als ein direkter Einblick in die geistige Werkstatt des genialen Mannes. Die vergilbten Briefe mit der festen klaren Handschrift sind im März und April geschrieben.

Nachdem er im ersten derselben dem Onkel gesagt, daß dessen Brief ihn mitten im Studium Hegelscher Abstraktion und Negation überrascht und für den ganzen übrigen Tag davon losgerissen habe, fährt er fort:

„Du mußt nämlich wissen, daß ich, um den Geist der modernen Zustände, besonders ihrer Aesthetik halber, die ungeheuer auf die Kunst aller Gattung eingewirkt, beim Schopfe zu fassen, mich einigermaßen in diese berufene Philosophie hineinstudire. Ihr Leute in Eisfeld und Hildburghausen habt gar keinen Begriff von der Richtung der Musik und Poesie der letzten Jahre. Wer mit den Grundsätzen zur Production und Beurtheilung beider nach Leipzig kommt, wie mir geschehen, dem geht es wie einem Landjunkerlein, das nach alter Mode gekleidet nach Paris kommt. Er wundert sich über die Leute, die Leute sich über ihn. Ich muß mein Bischen Aesthetik rein auf den Kopf stellen. Der Unwille, ja Widerwille, mit dem ich daran gehe, die neuen Kleider anzuziehen, entsteht nicht, weil das Alte mir besser gefiel, weil es eben alt und das brütende Element war, sondern weil ich mich nicht dazu bringen kann, das Bessere um das Neuere zu tauschen. Den neuern, ultraromantischen, oder wie man ihn nennen will, Standpunkt der Musik und den, aus dem man sie, um sie sich zu vermitteln, ansehen muß, zu finden, ist so lange vergebens, als man sich nicht begreiflich machen kann, daß sie aus sich selbst heraus in eine Sphäre getreten ist, die ihr nur ein künstliches Dasein erlaubt, daß sie in einem gemietheten Hause lebt, nämlich aus einer Kunst für das Gemüth eine des Verstandes geworden ist. Mir ist namentlich im Anfang beim Anhören von Musiken der neuen und neuesten Schule immer die an Grauen streifende Scheu gegenwärtig gewesen, die mich als Kind in der Nähe eines versteckten mechanischen Triebwerks angewandelt; um ein Bild daher zu nehmen: ich kletterte unter den Glocken des Kirchthurms über die Stangen hin, die das Werk und den Hammer vermitteln, ängstlich vermeidend auf sie zu treten und doch von aller Graulust, diesem Schwindel an den Gemüths-Abgründen gepackt, es zu thun; denn ich wußte, trat ich auf eine diese Stangen, so gellte ein Glockenschlag in mein Ohr, und während ich schwankte zwischen Drang und Abwehr, hob sich die Stange wie von selbst und der Glockenschlag, der ersehnte und gefürchtete, scheuchte meine Nerven in sich selbst zurück. Dieses Drängen und Rückhalten und wieder Drängen und Rückhalten und auf einmal dieser Klageton, wie aus der Brust eines Dämons! Und ich meinte und meine noch, die Musik soll heilen, nicht zerreißen, soll versöhnen, nicht verletzen … Ich kann versichern, daß diese Art Musik mich manchmal zu zerstören drohte. Wahrlich, es ist weit gekommen, daß man Senf als Gemüse ißt … Das ist die politische Revolution von 1789, die jetzt in der Musik nachrebellirt, Metzelei, Verhöhnung des Heiligsten, das sich in die innersten Winkel der Seele zurückflüchtet, Königsmord in Tönen … Und was mich ergötzt und entzückt hätte, die Haydn’schen, Mozart’schen, Beethoven’schen Werke, dienten in der Zusammenstellung mit jenen nur dazu, mich vollends zu zerreißen. Sie waren die Sonnenblicke im Frühjahr, die alle Knospen der Seele mir deshalb herauslockten, daß sie der Frost vernichte.“

Ist hier nicht deutlich genug die Kluft gezeichnet, die Otto Ludwig mehr und mehr von der Ausübung der Tonkunst schied? Und Niemand wird dies beklagen, denn aus dieser Darstellung seines Seelenleidens blickt uns schon der Meister in der Seelenmalerei entgegen, in der er später so Vollendetes leisten sollte.

(Schluß folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_295.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)