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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Der bairische Hiesel.
Volkserzählung aus Baiern.
Von Herman Schmid.

Geschmeichelt verneigte sich die Frau und stieß mit dem artigen Waidmann an, der ihr sein Glas entgegenhielt. „Ja,“ sagte sie „mein Mann ist auch ein prächtiger Mann, sonst wär’ ich ihm wohl auch nicht nachgezogen in die einsame Försterei – denn ich bin nicht im Holz aufgewachsen, ich bin in der Stadt daheim!“

„Und seid Ihr doch eingewöhnt? Und sehnt Euch nicht zurück?“

„Nicht einen Augenblick. Anfangs freilich, da ist’s schwerer gegangen, da ist mir oft das Wasser in die Augen gekommen, aber ich bin gar bald heimisch geworden, und vollends seit der kleine Schlingel in der Wiege gekommen ist, weiß ich gar nicht mehr, daß es eine Stadt giebt!“

Hiesel mußte sich abwenden. „Und fürchtet Ihr Euch nicht, so allein zu sein?“ fragte er.

„Nein – wer soll mir denn was anhaben! Zu holen ist bei uns nicht viel, das wissen die Leut’, und so lassen sie uns wohl in Ruh! Freilich, der bairische Hiesel, wenn der in’s Haus käme, da könnt’ es mir übel gehen, der soll wilder sein und ärger hausen als der leibhaftige!“

„Warum nicht gar!“ rief Hiesel lachend. „Glaubt solche Sachen nicht – der Hiesel thut keinem Kinde was zu leide und hat’s nur mit denen zu thun, die ihn verfolgen!“

„Ihr nehmt Euch ja recht seiner an!“ sagte die Jägerin verwundert. „Das sollte man nicht glauben von einem Jäger und noch dazu von einem, der gerade darauf ausgeht, ihn zu fangen!“

„O, das macht nichts!“ rief Hiesel lachend und stieß mit seinen Gefährten an. „Er mag sich nur vor mir in Acht nehmen – von mir kriegt er gewiß kein Pardon!“

Die Cameraden lachten mit und die Jägerin spottete: „Er wird’s auch nicht nöthig haben … Ihr seid ein wenig spät daran!“

„Das fürcht’ ich nicht, ich verlasse mich auf mein gutes Glück und das weiß ich gewiß, daß sie den Hiesel nit eher fangen, als bis ich dabei bin … Aber die Frau Försterin hat Recht, Cameraden,“ fuhr er, sich erhebend, fort, „es ist doch wohl Zeit, daß wir uns auf den Weg machen …“

Er sah wieder in der Stube umher. „Warum schaut Ihr so herum?“ fragte die Frau.

„Weil es mir so gar gut bei Euch gefällt,“ sagte er herzlich, „mir ist, als wenn ich schon oft bei Euch gewesen wäre …“

„So kommt nur wieder, wenn auch mein Mann daheim ist … Ihr seid wohl noch nicht lang in der Gegend? Ich muß meinem Mann doch Euren Namen sagen und wo Ihr im Dienst seid!“

„Natürlich müßt Ihr das,“ erwiderte Hiesel, an der Thür stehend, „und sollt auch meinen Namen erfahren!“ Damit faßte er die bestürzte Frau rasch um die Mitte und drückte ihr einen herzhaften Kuß auf die frischen Lippen. Wie mit Purpur übergossen riß die Zürnende sich los und sprang gegen den Tisch zurück. „Was wäre mir denn das?“ stammelte sie fast athemlos.

„Das ist der Dank für das gute Frühstück,“ rief der Wildschütz lachend im Davoneilen, „und ein Kuß vom bairischen Hiesel!“

Die Jägersfrau schrie laut auf, als sie aber sah, daß der Furchtbare mit seinen Genossen schon aus dem Hause war und ruhig über die Wiesen dahin schritt, erholte sie sich von ihrem Schrecken. Bedenklich wischte sie sich den Mund und trat dennoch mit einem verlegenen Lächeln unter die Thür; als der Wildschütz am Waldeingang noch einmal zurück sah und grüßend den Hut schwenkte, da hob sie unwillkürlich die Hand und winkte zum Gegengruß.

Bald war der Ausgang des Waldes erreicht, nahe an demselben lag das Dorf, aber schon von fern tönten den Ankommenden streitende Stimmen entgegen. „Es ist der Sternputzer,“ rief der scharfsichtige Bub, „er hat Händel mit einem Andern,“ und im Laufe waren sie bei den letzten Häusern des Dorfes angelangt. Das äußerste davon hatte ein feineres und städtisches Aussehn; es gehörte einem alten Mauthner an, der sich in das Dorf als seinen Geburtsort zurückgezogen und sich da einen kleinen Ruhesitz gegründet hatte. Den Garten um das Haus hatte er selbst angelegt und schöne Obstbäume gepflanzt, welche kräftig dastanden und schon eine schöne Ernte versprachen; besonders schön stand hart am Zaun ein stattlicher Baum mit herrlichen Frühäpfeln, welche lockend über die Stangen der Umzäunung heraushingen. Der Sternputzer hatte im Dorfe nichts Verdächtiges gefunden, es gehörte einem Landesherrn, dessen Gebiet die Bande noch nicht betreten hatte und von dem ihr daher auch keine Gefahr drohte; die Verfolger mußten blos an der Grenze anhalten und durften sie erst nach langen Verhandlungen überschreiten. So schlenderte er nach gemachter Bestellung bequem durch das Dorf, sah die schönen Frühäpfel aus des Mauthners Gärten hängen und konnte der Lockung nicht widerstehen sie zu versuchen und ein paar zu pflücken. Darüber war der Alte wie ein Wüthender herausgefahren und wollte den Thäter durchaus zum Ortsrichter führen, damit derselbe als Gartendieb bestraft werde. Der Sternputzer weigerte sich die Aepfel zurückzugeben und wollte ebensowenig zum Richter folgen; er versuchte sich loszumachen, aber der Mauthner war ein handfester Mann und hatte ebensoviel Klammern in den Händen als Finger. So rissen sie einander schreiend und schimpfend herum, bis Hiesel herankam.

„Auseinander!“ rief er mit so gebieterischem Ausdruck in Ton und Miene, daß auch der Mauthner, obwohl etwas verdutzt, gehorchte. „Der Erste, der den Andern noch anrührt, hat meinen Büchsenkolben am Kopf.“

„Oho, Herr Jäger!“ rief der Mauthner. „Sei der Herr nicht so oben hinaus, sonst muß Er auch mit zum Richter, es giebt für die Schläger so gut ein Gefängniß, wie für Diebe!“

„Diebe! Wer untersteht sich, zu sagen, daß unter meinen Leuten Diebe seien?“ fuhr Hiesel auf. „Erzähle, Sternputzer, was ist’s gewesen? … Deßwegen,“ fuhr er, als er den Vorfall erfahren hatte, spöttisch fort, „wollen wir den Richter nicht incommodiren … einen solchen Bagatell macht der bairische Hiesel gleich selber ab! Gieb ihm die Aepfel zurück, er ist ein alter Filz, der auch einem Hungrigen, der verschmachtend vorbeikäme, die Erfrischung nicht vergönnte! Glaubst Du, unser Herrgott läßt Dir die Aepfel allein für Deinen gierigen Rachen wachsen? … Für diese schlechte Gesinnung und weil Du Dich an einem von meinen Leuten vergriffen hast, gehört Dir eine Straf’ und die sollst Du haben! … Wo ist der Hirsch, den ich heut geschossen hab’?“

„Dort!“ antwortete der Bub’, „bringen ihn gerade ihrer viere an Stangen auf den Achseln getragen … es ist ein Prachtthier!“

„Sagt ihnen, sie sollen den Hirsch hierher bringen!“ begann Hiesel wieder. „Der Herr da will sich aus seinen Aepfeln ein Aepfelmus machen, dazu ist nichts besser, als ein saftiger Wildbraten … der Herr kauft uns den Hirsch ab!“

„Aber …“ stammelte der Mauthner, dem fast die Stimme versagte.

„Nichts aber! Der Herr will uns durchaus den Hirsch abkaufen und weil ihm doch so gar sehr darum zu thun ist, will ich ein Aug’ zudrücken – er soll ihn um zwanzig Gulden haben! Geb’ sich der Herr keine Müh’,“ fuhr er fort, als der Mauthner noch Einwendungen zu machen versuchte, „ich weiß wohl, der Herr ist splendid und meint, das Thier sei mehr werth … thut nichts, es bleibt bei den zwanzig Gulden, aber meine Schützen schlagen ein paar Gulden nicht aus, als Trägerlohn, weil sie ihm den Braten bis in die Küche bringen…“

Der Zöllner spielte in allen Farben vor Grimm; er rannte in’s Haus, sperrte die Thür zu und kümmerte sich nicht um den Hirsch, den die Schützen im Vorplatz niederplumpen ließen. Mit zornbebender Hand reichte er Kaufpreis und Trinkgeld durch’s Fenster heraus.

Der Zug ging weiter, vergrößert durch Hiesel’s herbeikommende Gefährten und einige Neugierige, die aus den Bauernhäusern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_298.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2022)