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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Man weiß nicht,“ fuhr Max fort, verlegen unter diesem Blicke zu Boden schauend, „ob nicht die Friedensmuse, die zu ihm kommt, ihm mehr innern Kampf bringen könnte, als der Kriegszustand … mein Onkel ist trotz seiner anscheinenden Ruhe und Gleichgültigkeit doch – ein Poet, d. h. ein Mann, in dem große Leidenschaft schlummern muß …“

Elisabeth sah fortwährend Max an. Ihr Blick hatte etwas Kaltes, Forschendes … sie schien seine innersten Gedanken lesen zu wollen.

„Haben Sie mir noch weiter Etwas darüber zu sagen, Herr von Markholm?“ frug sie dann frostig.

„Hab’ ich Sie verletzt?“ fiel lebhaft Max ein … „verzeihen Sie mir, ich glaubte reden zu müssen, denn ich fand das Wesen meines Onkels seit einigen Tagen ein wenig verändert … und ich darf mich keines Betrugs gegen ihn schuldig machen – ich darf mich nicht dem Vorwurf von ihm aussetzen: wie konntest Du mich in einem solchen Irrthum lassen? … Sie sehen, mein Fräulein, daß ich mich heute Morgen in ein Versprechen einließ, welches ich nicht hätte geben dürfen. Aber Sie überrumpelten mich, ich hatte nicht nachgedacht …“

„Nun wohl,“ sagte Elisabeth mit einem Seufzer, „so muß ich meine Friedensversuche aufgeben. Wenn Ihr Onkel erfährt, daß ich Elisabeth Morgenfeld bin, so wirft er mich zur Thür hinaus.“

„Möglich! Doch glaube ich eher,“ erwiderte Max lächelnd, „Sie dürften es dreist darauf ankommen lassen!“

Der scherzhafte Ton, in welchem Max dies sprach, schien Elisabeth unangenehm zu berühren. Sie machte etwas wie eine verächtlich abwehrende Bewegung mit der Schulter.

„Lassen Sie noch heute die Dinge, wie sie sind,“ sagte sie dann. „Für morgen entbinde ich Sie Ihres Wortes.“

„Ich danke Ihnen.“

Elisabeth stand auf.

„Ich will ihm jetzt das Document bringen,“ sagte sie, indem sie ihren Weg fortsetzte.

„Ich bin sehr neugierig darauf, als was es sich herausstellt,“ versetzte Max, indem er an ihrer Seite dem Hause des Onkels zuschritt.

Elisabeth war schweigsam während des Weges. Es schienen allerlei Gedanken auf ihrer großen, gewölbten Stirn zu arbeiten. Die Gedanken eines Mädchens, dem man sagt, das Wesen eines Mannes sei verändert, seit er es gesehen … dem dies ein Neffe sagt, welcher der Erbe dieses Mannes, eines unverheiratheten Onkels ist!

So ruhig und klar auch das ganze Wesen Elisabeth’s war, so selbstbewußt und ohne Scheu sie einfach that, was sie für das Richtige hielt, aussprach, was sie dachte, und sich gab, wie sie war, trotz all ihrer Unbefangenheit fühlte sie doch jetzt eine eigenthümliche Scheu, als sie Markholm’s kleinem Hause näher kam. Sie fühlte eine Scheu, eine innere Unsicherheit über sich gekommen, daß sie gern zurückgekehrt wäre.

Aber es war nicht mehr möglich. Markholm, hatte die beiden jungen Leute durch den Garten heraufkommen sehen. Er stand am Fenster seines Arbeitszimmers.

So nahm sie ihren Muth zusammen und schritt die Steinstufen zur Glasthür des Salons hinan … Max folgte ihr und es war ihr angenehm, daß er ihr folgte.

„Sie werden mich überlästig finden, Herr von Markholm,“ sagte sie, als dieser aus seinem Arbeitszimmer in den Salon ihr entgegentrat – „aber …“

„Fräulein Elisabeth glaubt das famose Document ergattert zu haben!“ fiel Max ein.

Sie reichte ihm das Pergament, ihre Hand zitterte dabei ein wenig.

Max beobachtete, daß sein Onkel das Pergament mit einer auffallenden Gleichgültigkeit annahm, er legte es still auf den Tisch vor dem Sopha und rückte dann diesen Tisch ein wenig, um Elisabeth mehr Raum zu schaffen, sich auf dem Sopha niederzulassen.

„Setzen Sie sich, bitte!“ sagte er eintönig und nahm dann lässig das Document auf, an dem er zunächst die an kleinen Pergamentstreifen hängenden Siegel betrachtete.

„Gieb mir einen Stuhl, Max … woher haben Sie das Document?“

Seine Stimme hatte etwas eigenthümlich Gedämpftes, Lässiges. Elisabeth sagte sich, daß etwas Besonderes in ihm vorgegangen sein müsse. Max fixirte aufmerksam seine Züge.

„Mein Vater hatte es! Es ist unter alten Blättern gefunden,“ versetzte Elisabeth auf seine Frage, ohne weitere Erklärungen zu geben.

Markholm rollte das große altergebräunte Blatt auseinander und begann zu lesen.

Nach einer Weile sagte er: „Das ist eine Lehnsurkunde, die weit über das Alter derer, auf welche es in meinem Processe ankam, hinausgeht. Es ist eine Belehnung meines Vorfahren Friedrich Godebert von Markholm mit einem Burgmannshof zu Wessenbach. Es hat nur noch einen historischen Werth für die Familie und die Landesgeschichte.“

Elisabeth nahm die Urkunde mit einem Seufzer der Enttäuschung zurück, als er sie ihr über den Tisch hinreichte.

„Ich dacht’ es mir!“ sagte Max.

„Und ich,“ sagte Elisabeth schmerzlich lächelnd, „glaubte schon, eine wahre Vorsehung habe es mir in die Hände gespielt!“

„Man traut immer ein wenig zu viel auf die Vorsehung! Max, sei so gut, aus meiner Bibliothek die Abschrift der rechten Urkunde zu holen, ich will sie dem Fräulein zeigen.“

Max ging, um den Wunsch des Onkels zu erfüllen, während Elisabeth sagte: „Besitzen Sie denn eine Abschrift?“

„Eine Abschrift freilich!“

„Und reichte die nicht hin, um …“

„Eine bloße unbeglaubigte Abschrift? Wie sollte sie! So Etwas kann sich Jeder anfertigen.“

Als Max zurückkam, legte er einige Blätter vor ihm auf den Tisch, ein dünnes verbleichtes Heft, das seinem Aeußern nach etwa hundert Jahre alt sein mochte. Markholm schlug es auf, und indem er es vor Elisabeth hinlegte, zeigte er ihr eine Stelle darin.

„Sehen Sie, hier heißt es mit deutlichen Worten:

,Und so es sein sollte, daß einer des Stammes meines ältesten Sohnes Johann Godebert zu seinen Vätern heimbginge, ohne eine rechte ehelige männliche Descendenz, oder doch ohne Söhne, so zu Schild und Helm geboren, zu hinterlassen, so sollen diese ob- und vorbesagten Lehne übergehen und in dieselbigen succediren meines zweiten Sohnes Georg Andebrecht Stamm, nach derselbigen Linear-Erbfolge mit dem Rechte der Erstgeburt u. s. w.‘

„Wenn Sie wieder eine Urkunde finden, Fräulein,“ setzte Markholm lächelnd hinzu, „so sehen Sie zu, ob diese Worte darin stehen … dann allerdings könnten Sie mich damit sehr verpflichten.“

Elisabeth betrachtete das Heft, und las den Eingang und den Schluß. Dann sagte sie:

„Es ist also ganz und gar kein Zweifel, daß Ihnen die Markholm’schen Güter gehören?“

„Nein,“ fiel Markholm ein, „wenn nur das Original dieser Urkunde beizubringen wäre. Ich bin der Urenkel jenes zweiten Sohnes, und der Enkel des ältesten ist ohne männliche Descendenz vor drei Jahren gestorben.“

Max hatte sich während dieser Unterhaltung entfernt. Elisabeth stützte ihren Arm auf den Tisch und rieb sich wie in Gedanken versinkend leise die weiße Stirn.

„Und dennoch,“ hub Markholm nach einer kurzen Pause wieder an, sich in seinen Stuhl zurückwerfend und seine Arme über der Brust verschlingend, „mag etwas Providentielles dabei sein, wenn Ihnen gerade heute Etwas in die Hände fiel, das Sie veranlaßte, zu mir zu kommen; ich hatte eben beschlossen, eine Unterredung mit Ihnen zu suchen, und daß Sie derselben so entgegenkommen, muß ich mir als einen Wink deuten, daß dieser Entschluß ein guter war.“

Elisabeth sah auf und Markbolm an … ein Gepräge innerer Beunruhigung lagerte sich auf ihre Züge.

„Was wollten Sie mir sagen?“ sagte sie leise und sanft.

„Ich wollte Ihnen von meinem Neffen reden. Ich wollte Ihnen erzählen, wie ich ihn erzogen habe, und wie sehr er mir wie ein guter Sohn gewesen ist; wie sein Glück mir am Herzen liegt gleich dem eines Sohnes. Ich wollte Ihnen seine Eigenschaften

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_307.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)