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Mann wäre reichlich belohnt. Die lange Zeit hat wahrlich nicht um einen Grad die Wärme meiner Erkenntlichkeit herabgedrückt. Außer einigen schriftlichen Empfehlungen an hervorragende politische Persönlichkeiten, gab mir Lißt eine mündliche an die Gräfin d’Agoult mit nach Paris, welche in der literarischen Welt unter dem Namen Daniel Stern bekannt ist.

Die mündliche Bestellung, welche Lißt mir auftrug, lautete: „Sagen Sie der Gräfin, daß ich Sie ihr nicht empfehle, damit Sie um so besser bei ihr empfohlen seien.“ Verhältnisse aller Art hatten die früher eng Verbundenen auseinander gebracht, zerworfen. Ich verfuhr der Weisung gemäß und wurde von der Schriftstellerin mit französischer Liebenswürdigkeit aufgenommen. Die Gräfin d’Agoult gehört in die Reihe derjenigen Adeligen in Frankreich, welche die überkommenen Pergamente beim Lichte der neu aufgegangenen Sonne betrachteten und sie bedeutend wurmstichig befanden, die eben so offen als rasch und entschieden von dem mittelalterlichen Mysticismus zur modernen Prüfung und Klarheit übergingen. Sie hielt stets zu Lamennais und Lamartine, war denselben aber auf dem Wege zur demokratischen Ueberzeugung, eine Zeit lang wenigstens, zuvorgekommen. Sie übertrifft offenbar Beide an zersetzender Schärfe und Energie des Verstandes. Weder der Eine noch der Andere hat jemals mittelalterliche Anwandlungen los werden können, ihre umflorten Blicke haben nie aufgehört, Gespenster zu sehen, während vor den Augen der Frau all die Gebilde einer umnebelten Einbildung längst in Nichts zerronnen sind. Vielleicht verdankt sie die Gesundheit des Denkens der protestantischen Luft Deutschlands, in der sie geboren ist und in der sie noch immer zu athmen liebt. Sie sagt es selber, daß sie mit ihrer Bildung eher Deutschland als Frankreich angehört.

Die Gräfin d’Agoult erblickte das Licht der Welt zu Frankfurt am Main im Jahre 1805. Ihr Vater war der emigrirte Vicomte Flavigny, ihre Mutter die Tochter des Frankfurter Bankiers Bethmann. Herr v. Flavigny war in seiner Jugend Page der Königin Marie Antoinette gewesen und folglich dem königlichen Hause sehr nahe gestellt. Seine Tochter stand eben im Begriff, als Edeldame in das Gefolge der Dauphine (Herzogin von Angoulème) zu treten, als die Ordonnanzen des Grafen von Polignac die Bewegung von 1830 hervorriefen, welche den Thron der ältern Linie der Bourbonen in Frankreich wahrscheinlich für immer umwarf.

Erzogen wurde die Tochter des Herrn von Flavigny in der vielbekannten, von Jesuiten geleiteten Anstalt für Mädchen, sacré coeur genannt, welche noch heute viel adelige Töchter aufnimmt und ausbildet. Religiös wie politisch, durch Abkunft, Beispiel und Unterweisung, wurde das Urtheil der Dame in vielfache Fesseln geschlagen, doch dem Simson vergleichbar, hat es all die Bande zerrissen. Wie viel sie zu überwinden hatte und überwand, läßt sich an ihrem Bruder, dem Grafen Maurice Flavigny, ermessen, der in drei Kammern, der Deputirten- und Pairskammer unter der Juliregierung, und im gesetzgebenden Körper unter dem zweiten Kaiserreich, für reactionäre Maßregeln stimmte und sprach und der seit dem italienischen Kriege in der römischen Frage so weit zurückging, daß die kaiserliche Regierung seine Wahl in den gesetzgebenden Körper, die sie früher gefördert hatte, hintertrieb. Der Graf Maurice Flavigny war dem Bonapartismus zu reactionär; das sagt Alles.

Wie es herkömmlich ist, wurde Fräulein Flavigny ohne ihre Zustimmung, ohne auch nur befragt zu werden, dem Grafen d’Agoult vermählt, einem würdigen Manne übrigens, der aber um zwanzig Jahre älter war, als seine Gattin, und vielleicht außer Stande, den Träumen eines jungen Frauenkopfes, den Bedürfnissen eines zu Leben und Liebe aufblühenden Weiberherzens zu entsprechen. Außerdem waren die Gedankenströmungen des Momentes und die Mode in dem damaligen Frankreich dieser Art von ehelichen Verbindungen ungünstig. Der Frauenemancipationsschwindel hat sich aus dem nach Geltung ringenden St. Simonismus herausgearbeitet und, demselben voraneilend, die Geister erfaßt. Madame George Sand predigte mit großer Kühnheit durch das Beispiel, mit außerordentlichem Talent durch das Wort für die Unabhängigkeit des weiblichen Gefühls von der religiösen Vorschrift und von den gesellschaftlichen Bestimmungen. Der Freiheitskampf, welcher überhaupt an der Tagesordnung war, wurde sogar in das Haus versetzt und der Unterschied zwischen heiligen und unwürdigen Banden fing an zu verschwinden. Nach sechs Jahren peinlicher Vereinigung trennte sich Frau d’Agoult von ihrem Gatten, wie Mme. Georges Sand kurz zuvor von Herrn Dudevant, um nach ihrem Geschmack und ihrer Neigung zu leben.

Als ich sie im Jahre 1850 kennen lernte, da hatte sie bereits ein Stück vielbewegten Lebens hinter sich; aber die Spannkraft und der Eifer ihres Geistes waren ungeschwächt geblieben. Von der Wirkung einer erlittenen Niederlage war auch nicht eine Spur an ihr wahrzunehmen, und auch jetzt noch ist sie ohne Blasirtheit für alle großen und kleinen Vortheile des Daseins empfänglich, und ihr Wünschen und Wollen ist von jugendlicher Lebhaftigkeit. Herr von Lamartine war nach beiden Seiten hin im Wahren, als er ihr kürzlich schrieb, um ihr für einen geleisteten Dienst zu danken, daß er, der Abgelebte, Verzweifelnde, sie, die Ungebeugte, Unternehmende, die Zuversichtliche, durch seinen Besuch nicht stören, nicht verstimmen wolle.

Durch Abkunft, Bildung und Naturell, sogar durch die erhaltene Frische ihres Ehrgeizes, ist die Gräfin d’Agoult dazu gemacht, den Mittelpunkt eines einflußreichen Salons zu bilden. Sie ist eine Weltfrau im strengsten Sinn des Wortes, vertraut mit den Interessen, welche die bessere Gesellschaft bewegen und beherrschen; ihr Benehmen ist leicht und ungezwungen. Der Verkehr ist das Element, in dem sie ohne die leiseste Anstrengung, wie der Fisch und nicht wie irgend ein abgerichteter Schwimmer im Wasser, sich umhertummelt. Ihre äußere Erscheinung ist imposant und doch gefällig. Eine hohe, schlanke Gestalt, welche die Jahre mit ihren entstellenden Ueberladungen an Fett verschont haben, giebt ihr ein gebieterisches Aussehen, das ihre zuthuliche, bescheidene Art vortheilhaft hervorhebt. Der Kopf ist von plastischer Schönheit, ein geeigneter Vorwurf für den Bildhauer. Unter der bedeutenden, von den Haaren zierlich eingefaßten Stirn blicken die klugen Augen, die Eindrücke lebhaft widerspielend, die sie während der Unterhaltung empfängt. Man sieht, daß sie theilnehmend zuhört, wenn Jemand zu ihr spricht. Die Nase tritt mächtig und doch in gefälliger Biegung hervor. Das Kinn ist stark herausgearbeitet und vollendet den Ausdruck von Energie in den Zügen des Gesichts. Die Frau lächelt häufig, man sieht sie aber selten lachen.

Seitdem die Gräfin d’Agoult mit ihren Familienverhältnissen gebrochen, hat sie sich mit künstlerischen, schriftstellerischen, staatsmännischen Berühmtheiten umgeben. Ihre näheren Beziehungen zu Lißt, die einige Jahre gedauert haben, sind Niemandem ein Geheimniß. In den Jahren 1848 und 1849 waren die Herren von Lamartine und Lamennais jede Woche einmal bei ihr zu Tische, wo sie die wichtigen Tagesfragen besprachen und auseinandersetzten. Um jene Zeit hatten die beiden Freiheitskämpfer nichts als Bewunderung für einander, sie waren auf’s Innigste verbunden und tauschten bei jeder Gelegenheit Weltverbesserungs- und andere politische, sociale und religiöse Gedanken aus. Eines Tages las Lamennais Herrn v. Lamartine, damals Mitglied der provisorischen Regierung, und zwar bei der Gräfin d’Agoult, eine von ihm fertig ausgearbeitete Constitution vor, nach welcher Frankreich zu regieren und zu beglücken wäre. Mir sind die Staatseinrichtungen nicht bekannt, welche der Theologe in der Schrift vorgeschlagen; doch weiß ich, daß einer von den Zuhörern sich mit dem Worte: „Paroles d’un croyant“ (Worte eines Gläubigen[1]) über den Werth dieser Verfassung ein wenig wegwerfend ausgesprochen.

Schon durch ihre Beziehungen zur vornehmen Welt, durch den kecken Bruch mit ihren Verhältnissen, durch ein glückliches schriftstellerisches Auftreten in Girardin’s Presse mit den beiden Novellen „Hervé“ 1841 und „Valentia“ 1842, die ihr einen Vergleich mit Mme. Georges Sand eintrugen, und die Besprechung einer Kunstausstellung 1842 und 1843, durch ihre Verbindungen mit den bedeutendsten Persönlichkeiten gab Frau d’Agoult ihrem Namen weitgehend Klang und ihrem Salon vielfache Anziehungskraft. Die Februarrevolution, der sie sich ohne allen Rückhalt anschloß, sollte sie politisch emporheben; der regelmäßige Umgang mit den beiden obgedachten berühmten Männern in dem Augenblick, als die Ereignisse den Einen auf die höchste Höhe menschlicher Größe hoben, dem Anderen das viel bestrittene Ansehen eines Hohenpriesters der modernen Gottheiten verliehen, machte der ebenso begabten wie strebsamen Frau eine Stellung in der politischen Welt; die Meisterschaft, mit welcher die Gräfin d’Agoult die Geschichte

  1. Dies ist bekanntlich der Titel eines berühmten Buches von Lamennais.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_310.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)