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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

als ich die Verwechselung merkte, diesen Morgen, bat sie, die Deinige“ – Max betonte das fast ironisch – „mich, Dich im Irrthum zu lassen …“

„Und dann Euer Vielliebchen – die Aufmerksamkeit, womit sie Dein Portrait dort betrachtete … Alles das konnte mich ja nicht zweifeln lassen!“

„Ein Vielliebchen hatte ich mit ihr in der Pfarre gegessen.“

„Und nun gar,“ fuhr Markholm fort, „Dein Eingeweihtsein in die Vorgänge zwischen ihrem Vater und ihrem Bruder … konnte ich glauben, sie habe das einer Bekannten erzählt, die es Dir wieder geplaudert? …“

„Aber das hat mir in der That, wie ich Dir sagte, Elisabeth Kramer anvertraut … aber nun sag’ mir, wie entdecktest Du, daß sie nicht Elisabeth Kramer sei, sondern …“

„Wenn Du es mir nicht übel nehmen willst, ich sah eben sehr bald, daß sie keine Land-Pfarrerstochter sein konnte. Und wer konnte es denn anders sein, als Elisabeth von Morgenfeld? Andere Damen wohnen nicht in unserer Nachbarschaft, so viel ich weiß. Auch vertheidigte sie Morgenfelds viel zu eifrig für eine Fremde. Sie kam ja auch immer aus der Gegend her, wo Haus Markholm liegt.“

Max hatte sich in seiner Verzweiflung in das Sopha geworfen, sein Onkel schritt in großer Bewegung auf und ab. Nach einer längern Pause sagte er: „Beruhige Dich, Max, was geschehen ist, ist geschehen, aber es ist nicht so, daß es nicht wieder gut zu machen wäre.“

„Gut zu machen … wenn sie nun Ja sagt, so soll wohl ich die angenehme Aufgabe erfüllen, ihr zu sagen: ,mein Fräulein, es war ein Irrthum meines trefflichen, aber leider in seinen poetischen Paroxysmen nicht ganz zuverlässigen Onkels, ich will Ihre Hand nicht, ich mag sie nicht!‘?“

„Nein, nein, das sollst Du nicht!“

„Ich soll sie annehmen, ihre Hand, um der Güter willen?!“

Markholm sah ihn schweigend an; mit einem zerstreuten Blick, als habe er Maxens Ausruf gar nicht gehört.

„Ich will,“ sagte er dann halb wie für sich, „ich will selbst zu ihr gehen, augenblicklich!“

„Du wolltest … zu ihr gehen? … nach Haus Markholm? … zu diesen Morgenfelds?“

„Auf der Stelle!“

Markholm ging, um sich anzukleiden zu dem Besuch, und Max sah ihm verwundert nach.

„Er nach Haus Markholm! Das ist wunderbar! Welcher Geist ist in ihn gefahren? Aber wenn er auch Erd’ und Himmel in Bewegung setzt, verkaufen laß ich mich nicht!“

Markholm war nach wenig Augenblicken draußen. Er schlug den Weg ein, welchen wir ihn so oft gehen sahen. Am Schlagbaume wandte er sich rechts; am Saume seines Gehölzes lief hier ein schmaler Fußpfad, derselbe, den er zweimal Elisabeth kommen sah; er führte in einen Hohlweg, von diesem in einen schönen, von Zweigen überwölbten Weg durch den Wald; am Ende dieses Weges sah man eine Wiesenfläche vor sich, und in der Mitte derselben, aus breiten Wassergräben, Haus Markholm sich erheben; nach rechts und nach links hin liefen zwei Alleen hoher Pappeln vom Hause aus, der Hintergrund wurde von Obstgärten und einer Parkanlage gebildet.

Markholm schritt rüstig dem jetzt durch die Wiesen laufenden Wege nach, gelangte bald an eine alte steinerne Brücke, die an das Thor eines grauen Vorbaues führte, über dem in zerbröckelndem Sandstein eine Reihe Wappen angebracht waren. Durch eine Thorwölbung kam er in den Hof; um eine mit Blumenstöcken geschmückte kleine Rasenfläche herum, auf reinlich gehaltenem Kiespfade, schritt Markholm auf das große, in Bruchsteinen aufgeführte Gebäude zu, das rechts stand, ein Bau aus dem Ende des siebenzehnten Jahrhunderts, hoch und massig und sehr schucklos, die große Freitreppe und das schwere Portal darüber bildeten die einzigen Verzierungen des Baues.

An den Blumenbeeten auf der Rasenfläche war ein Gärtnerbursche beschäftigt, der herankam und nach Markholm’s Begehren fragte, als dieser die Portaltreppe erreicht hatte.

„Ich wünsche Fräulein von Morgenfeld zu sprechen.“

Der Bursche ging vorauf und öffnete die Portalthür vor Markholm. In der großen Halle, von der die Treppe in zwei Flüchten nach oben lief, saßen mehrere weibliche Domestiken mit Einmachen von Gemüse beschäftigt, sie hatten sich dazu um einen Tisch neben der Thür unter dem großen Fenster etablirt.

„Der Herr wünscht zum gnädigen Fräulein!“ sagte der Bursche und ein zierliches Kammermädchen erhob sich mit der Frage: „Wen soll ich melden?“

„Sagen Sie nur, ein Herr aus der Nachbarschaft wünsche das Fräulein zu sprechen.“

Die Zofe verschwand in einem Seitengang … Markholm blickte ihr nach, ohne seine Augen auf eine Umgebung zu werfen, die ihn in anderer Stimmung so sehr angezogen und seine Blicke gefesselt haben würde … das Schloß seiner Ahnen, schien es, ließ ihn in diesem Augenblicke völlig gleichgültig. Nur den kleinen Haufen von Stronzianitsteinen nahm er wahr, der zur Seite an der Wand aufgeschichtet lag.

Gleich darauf kehrte die Zofe zurück und bat ihn, zu folgen. Am Ende des Ganges öffnete sie eine hohe dunkle Thür vor ihm.

„Im zweiten Zimmer!“ sagte sie.

Markholm schritt durch das erste, einen kleinen mit zwei Bücherschränken an den gegenüberliegenden Wänden ausgestatteten Raum; eine Portiere öffnete sich vor ihm und Elisabeth erschien unter den Falten derselben.

„Sie sind es!“ sagte sie tonlos und als ob sie erwartet hätte, daß er es sein würde. „Kommen Sie hierhin!“

Er folgte ihr und sah sich in einem mittelgroßen Zimmer, das sehr elegant eingerichtet und mit vielfachen Dingen gefüllt war, welche eine rege geistige Thätigkeit und einen lebhaften Beschäftigungsdrang der Bewohnerin andeuteten. Die grünen Vorhänge des zweiten Fensters waren weit zurückgeschlagen, um das Licht auf einen mit Zeichenmaterialien bedeckten Tisch fallen zu lassen. An einer Wand stand ein Tisch, der mit sauber geordneten Mineralien belegt war. Ein von einem Blumentisch getragenes kleines Aquarium stand in der Mitte; auf dem Eckdivan lagen mehrere Bücher, auch der runde Tisch davor war mit Büchern bedeckt.

Elisabeth nahm auf dem Eckdivan Platz und winkte Markholm sich ebenfalls zu setzen. Er schob einen Stuhl herbei, Elisabeth nahm ihm schweigend den Hut ab und stellte ihn neben sich auf den Divan. Dann sah sie fragend zu ihm auf.

Ihr ganzes Wesen hatte etwas Lässiges, Gedrücktes. Markholm durfte sich nicht gestehen, daß sein Besuch etwas Erfreuendes für sie habe, es lag durchaus keine Spur von Erfreutsein in der Art, wie sie ihn aufnahm.

„Ich komme mit einer eigenthümlichen Mission zu Ihnen, mein gnädiges Fräulein,“ sagte er verlegen, „als ein Mann, der etwas gut zu machen und um Verzeihung für einen schweren Mißgriff zu bitten hat! Werden Sie mir verzeihen?“

„Und was haben Sie begangen?“ fragte Elisabeth aufblickend.

„Ich habe um Ihre Hand für meinen Neffen geworben, weil ich glaubte, daß er Sie liebe und daß Sie …“

„Daß ich …“

„Ich bin eines Besseren belehrt, Fräulein Elisabeth, mein Neffe ist außer sich über das, was ich gethan, und mich sehen Sie tief beschämt über meine Unbesonnenheit!“

„Er ist außer sich?“ rief Elisabeth lebhaft aus, „o nicht wahr, er liebt ja meine Freundin … ich wußte es ja, ich wußte es ja!“

„So ist es!“

„Und Gott sei Dank, daß dem so ist!“ sagte Elisabeth ihre Hände faltend, indem sie tief, tief Athem schöpfte und ihre Züge sich vor Freude rötheten.

„Werden Sie mir nun verzeihen?“

„Sie haben mir grausame Stunden bereitet, Herr von Markholm!“ sagte Elisabeth aus ihren großen Augen ihn vorwurfsvoll ansehend.

„Und die verzeihen, vergeben Sie mir nicht?“

Elisabeth seufzte tief auf. Sie antwortete nicht. Sie stand auf und sagte:

„Ich will in Allem das Gute sehen und auch mit diesem versöhnt sein, weil es uns Sie zugeführt hat. Lassen Sie mich, da Sie nun einmal unter unserem Dache sind, Sie zu meinen Eltern führen. Sie werden sie kennen lernen und dann, ich weiß es, wird Ihr Groll schwinden, Sie werden eine andere Ansicht der Sache gewinnen …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_322.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)