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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

auch in unser Leben wieder hereinzuführen, welches Goethe und Schiller gänzlich aus ihr herausgethan. Ihre Poesie umfaßt nur eine Seite der menschlichen Natur, die weibliche, d. i. die Tugenden ihrer Helden sind negativ, weibliche: Fassung, Anstand, Würde; aber für die Affecte, die Kant (? im Original undeutlich) die wackeren nennt, die eigentlichen männlichen, ist kein Platz bei ihnen, sowohl in ihrer Praxis, als in ihrer Theorie. Die Schiller’sche Philosophie kennt nur eine Art menschlicher Größe, die passive. Klar wird Dir, was ich meine, durch die eine Frage werden: Kannst Du Dir z. B. Luther von Schiller oder Goethe behandelt denken? Sie würden seine männliche in eine weibliche Größe haben umwandeln müssen, um ihn zum Helden eines Stücks brauchen zu können. Aber darüber ein ander Mal; ich wollte nur sagen, daß solch ein neues Leben, das man der Nation zuwenden möchte, erst in uns selber sich zur Wirklichkeit durchkämpfen muß und daß ein solcher Kampf eine Riesennatur verlangt. – Den Sommer werde ich an einigen Idyllen ausruhen …“

Auch von diesem Briefe gilt, was oben über die an seinen Onkel gesagt ist. Es sind vertraulichste Mittheilungen aus seiner Einsamkeit, sie werfen einen Lichtschimmer auf das Dunkel, in welchem diese bisher für das Auge der Oeffentlichkeit lag; wie in der Beleuchtung eines Blitzstrahls sehen wir den sinnenden Dichter, der nach dem Weg zur Seelengesundheit seines Volkes forscht; darin liegt der hohe Werth dieser Briefe. Von diesem Standpunkt aus beurtheile man diese Aussprüche, das Urtheil über sie wird dann nicht falsch werden und uns kein Vorwurf wegen der Mitteilung derselben treffen.

Außerdem zeigen diese Briefe, in welch’ innigem Verhältnis; Otto Ludwig stets mit seinen lieben Eisfeldern blieb. Und daß dieses Band auf der andern Seite ebenso fest gehalten wurde, dafür zeugt am schönsten Folgendes. Des Dichters Hochzeitstag rückte heran. Siehe, da wurde im Schießhaussaale zu Eisfeld das alte Theater wieder aufgebaut, wer von den alten Musikanten, Dilettanten, Sängern und Sängerinnen noch lebte oder noch für die ehemalige Rolle paßte, eilte aus der Stadt und von den Bergen und aus den Thälern herbei, in die Lücken traten neue Kräfte ein, die Proben weckten wieder, wie einst, die helle Begeisterung aller Theilnehmenden, und so gingen denn nach fünfzehn Jahren „die Geschwister“, das liebste poetisch musikalische Erstlingswerk des nun gefeierten Dramatikers, noch einmal über die Breter. Aus der Einnahme wurde eine Hochzeitsgabe bestritten, welche den Dichter als ein Gruß aus der Heimath an seinem Ehrentage überraschte.

Von dieser Zeit an hat die Außenwelt so wenig Notiz von Otto Ludwig’s innerem Leben erhalten, als er selbst sich um diese Außenwelt zu bekümmern schien. Er zog sich auch in dem lebenvollen Dresden in die altgeliebte Einsamkeit einer Gartenwohnung zurück, die nun seine Familie ihm versüßte. Wie oft wohl die Sorge an das stille Haus gepocht hat? Nur seine vertrautesten Freunde mögen das wissen. Die deutsche Welt sah nur, was aus ihm hervorging, und das wäre des glänzendsten Lohnes würdig gewesen. In England und Frankreich würde man die Werke eines solchen Dichters mit Gold aufgewogen haben: in Deutschland mußte dieser selbe Dichter, als verzehrende Krankheit eine Saite um die andere seiner unsterblichen Harfe zerriß, von einer kärglichen Gabe der Schillerstiftung sein und der Seinen Leben fristen, er, der der deutschen Nation die „Makkabäer“ gedichtet und ihr „Zwischen Himmel und Erde“, das gewaltigste, reinste und vollendetste Seelengemälde geschenkt hat, das unserer Literatur zur ewigen Zierde gereicht.

Aus dieser Zeit, wo Otto Ludwig’s Dichterruhm, seine stillen Familiensorgen und seine Krankheit gleichen Schrittes zu steigen begannen, rührt das Bildniß her, das wir unseren Lesern im Holzschnitt mittheilten und von welchem ein Eisfelder Photograph, Pefold, für die Verehrer des Dichters billige Photographien bereit hat. Es entspricht noch nicht der Schilderung, welche Waldmüller, der mit Heydrich, Auerbach und Freytag zu den Vertrautesten seiner späteren Jahre gehörte, aus der letzten Zeit von ihm entwirft. Er sagt: „Otto Ludwig’s äußere Erscheinung war seit vielen Jahren durch sein schmerzhaftes Uebel entstellt. Seine übermittelgroße Gestalt hatte keine Haltung; er ging schon vor fünf bis sechs Jahren langsam und mühsam, wie ein Greis; die klugen, gutmüthigen, braunen Augen hatten ihren Sehwinkel mehr und mehr verengt; das dunkelbraune Haar hing ungelockt bis weit über die Wangen hinab; seine Arme waren stockmager, weniger das Gesicht, in welchem eine lange, kräftige Nase alle übrigen Züge beherrschte; brauner Vollbart, ungepflegt, der Cultur nicht zugänglich, wie sein Haupthaar, vollendete das Absonderliche seiner Erscheinung.“ – Wenn auch ein Schmerzenszug aus dem Antlitz unseres Portraits nicht zu verwischen ist, so dringt doch noch aus dem Auge jene Kraft, welche eine „Heiterethei“ erschaffen konnte, und die Lippen unter dem starken Schnurrbart sind noch über jede Schalkheit freudig zu lächeln fähig. Das ist noch der Otto Ludwig, der in seinen „Thüringer Naturen“ in der Lust an körperkräftigen und herzensrüstigen Menschen schwelgt, in dem selbst ein Stück Heiterethei spukt und der damals sicherlich dem ganzen deutschen Volke solche Gesundheit und mit ihr die Entschlußfestigkeit des Schlagwortes wünschte: „Und so ist’s, und nu ist’s fertig!“

Wie im Jahre 1827 „die Geschwister“ in Hildburghausen und Meiningen die Hebel der Geschickswendung für Otto Ludwig in Bewegung gesetzt hatten, so wirkten, in entsprechender Progression, der Siegeslauf des „Erbförsters“ und das Erscheinen der „Makkabäer“ für ihn an zwei Hauptpunkten dramatischen Lebens. Geibel suchte ihn zur Uebersiedelung nach München zu bewegen; und als O. Ludwig diese Einladung ausschlug, weil er das Klima Münchens fürchtete, stellte der Großherzog von Weimar ihm die Wahl des Ortes in seinem Lande frei, wo er dem gefeierten Dichter ein passendes Haus bauen wollte. Auch zu dieser Wahl konnte O. Ludwig sich nicht mehr entschließen. Am liebsten wäre er nach Nürnberg gezogen: aber wie in seiner Jugend die Armuth, so hielt nun die Krankheit ihn an der Scholle fest, bis sie ihn deckte.

Sein Hinsiechen war ein langsames, zähes und um so erschütternder für seine Freunde, je deutlicher sie die Gleichzeitigkeit des körperlichen und geistigen Absterbens wahrnahmen. Der Tod erlöste ihn von aller Pein in diesem Jahre, in welchem er, wie er im schwersten Leid noch scherzte, „sein fünfunddreißigjähriges Krankenjubiläum“ beging, am Februar, und er starb mit den Worten auf den Lippen, welche die Summa seines ganzen Lebens zogen: „Ueber Eins möchte ich nur noch im Klaren sein.“

„Welch’ einen holden Inhalt barg diese Lazarushülle! Wie eigenartig alle seine Anschauungen, wie bescheiden, wie einfach, wie großartig kindlich sein ganzes Verhältniß zu den Dingen! Welch ein unverwüstlicher, völlig unbewußter, nie des rechten Worts ermangelnder Humor, selbst noch auf seinem Schmerzenslager!“

– – „Die unerschütterliche Charaktergröße, der ruhige Gleichmuth, die milde schöne Ergebung, mit der er ohne Klage, ohne alle Verbitterung bis zuletzt seine Qualen ertrug, sie waren das sprechendste Zeugniß von der innern Wahrheit seines im vollsten Sinne mannhaften Heldenlebens und Strebens. Was für eine Welt von Geisteskraft und Klarheit, welch’ ein Reichthum des Gemüths und reinster Güte des Herzens geht der Kunst, dem Vaterlande und den Seinen mit diesem Tage verloren!“ So sprachen zwei Stimmen aus Dresden an seinem Todestage.

Der literarische Rang Otto Ludwig’s ist der höchste, den er erringen konnte. Als Dramatiker gehört er zur kleinen Gruppe der Repräsentanten bestimmter Richtungen und Culturphasen des höhern Dramas; als poetischer Erzähler nimmt er eine nicht weniger hohe Stelle ein. Gedruckt sind außer dem Genannten (die Dramen „Der Erbförster“ und „Die Makkabäer“, die Erzählungen „Zwischen Himmel und Erde“ und „Thüringer Naturen“) nur einzelne Novellen und Gedichte in Zeitschriften erschienen. Desto reicher ist sein literarischer Nachlaß an dramatischen, novellistischen und lyrischen Schätzen, zu dessen Herausgabe ein besonderes Comité in Dresden zusammengetreten ist, das wir hiermit auf die noch in den Händen der in diesem Artikel genannten Eisfelder Freunde des verewigten Dichters befindlichen Poesien und Compositionen aus früherer Zeit aufmerksam machen. Der Nachlaß erscheint zum Besten der Hinterbliebenen Otto Ludwig’s, seiner Wittwe, seiner beiden Söhne und seiner kleinen Cordelia. Ist es nöthig, daß die Gartenlaube ihren Lesern die regste werkthätige Theilnahme für eines solchen Dichters geistige und leibliche Kinder als eine deutsche Ehrenpflicht erst ans Herz legt? Gewiß nicht! Wie jüngst für Marggraff’s blonde Lockenköpfchen, so warm wird auch für diese Dichterkinder die liebende Sorge deutscher Männer und Frauen sich bethätigen: man wird dem Gefühle gerecht werden, daß die Nation an den Kindern gut zu machen hat, was sie dem Vater schuldig geblieben ist.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_327.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)