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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Was kümmert es uns? Wir nennen es schlechtes Wetter und fühlen uns um so behaglicher am heimischen Heerd und im gemüthlichen Zimmer. Selbst der einsame Wanderer findet bald ein schützendes Obdach gegen das Unwetter und erwartet in Sicherheit ruhend den folgenden Tag. Wohl uns, daß wir einen heimischen Heerd, daß wir ein schützendes Obdach besitzen; wohl uns, daß wir in Sicherheit ruhen können – aber da draußen auf dem Meere, dessen Wogen der Sturm aufwühlt und mit verderbenbringender Gewalt der Küste zuwälzt, um ihren schäumenden Gischt weit über Klippen und Dünen zu sprühen – dort giebt es keine behagliche Heimath, keinen Schutz, kein Obdach. Tausende unserer Mitbrüder kämpfen mit den Elementen und Tausende unterliegen in dem ungleichen Kampfe. Der Sturm hat ihr Schiff erfaßt, er hat die Segel zerrissen und die Masten gebrochen. Erbarmungslos treibt er das Wrack vor sich her der Küste zu und die Wellen stürzen darüber hin wie über eine Klippe. Die zum Tode ermattete


Rettung durch den Raketenapparat. Verbindung mit dem Schiff mittels der Raketleine.


Mannschaft hat sich festgebunden. Vergebens starrt ihr suchendes Auge in die trostlose Nacht, keine schützende Bucht, kein rettender Hafen zeigt sich dem irrenden Blicke, keine helfende Hand streckt sich ihnen entgegen. Nur der unheimliche Schimmer der Brandung rückt immer näher, das Antlitz des Todes grinst sie an und Verzweiflung erfaßt ihre Seele. Da stößt das Schiff auf den Grund, und brüllend wälzen sich die empörten Fluthen heran. Sie zerschmettern das schwache widerstandslose Gebäude, und seine Besatzung versinkt in die dunklen Fluthen, um nimmer zurückzukehren, nimmer die Lieben in der Heimath wieder zu schauen, die vergebens in Thränen und Angst ihrer harren. Keine Blume schmückt die Stelle, kein Stein zeigt den Ort; nur Wind und Wellen rauschen darüber hin und die Gebeine bleichen auf dem Grunde des Meeres.

So sind viele Tausende an unsern Küsten zu Grunde gegangen, so finden jährlich noch Hunderte dort ihr frühes Grab. Wenige wissen es, noch wenigere fühlen es. Nur in stillem Kämmerlein da fließen heiße Thränen der Mutter oder Gattin, und die hülflosen Kleinen erheben betend ihre Händchen zum Himmel, den Vater zu erretten aus grauser Gefahr. Sind die Thränen und das fromme Gebet die einzige Hülfe, die den Schiffbrüchigen werden kann? Nein! es giebt noch andere wirksamere Hülfe. Sie können Alle oder wenigstens zum größten Theile gerettet, den tückischen Fluthen entrissen und ihren Lieben wiedergegeben werden.

Wache auf, deutsches Volk! Du kannst ihr Retter sein; Du kannst Tausende von braven Männern dem Vaterlande und ihren Familien erhalten. Kunst und Wissenschaft haben Mittel erdacht, um den Sturm zu besiegen und das Meer sich Unterthan zu machen. Es ist möglich den Unglücklichen einen Weg durch die tobende Brandung zu bahnen und sie vom scheiternden Schiffe sicher auf das feste Land zu führen. Wache auf, Volk; und tilge die Schuld, die drückend auf Dir lastet! Laß nicht die Seelen der Tausende beim Höchsten Dich anklagen, daß Du sie in der Stunde der schmerzlichsten Noth erbarmungslos verlassen, daß Du sie hülflos sterben sahst, während es in Deiner Macht stand, ihnen das Leben zu erhalten. Wache auf, deutsches Volk, und wahre Deine Ehre! Blicke auf die fremden Nationen, schaue auf England, auf das von Dir geringgeschätzte und besiegte Dänemark. Seine Küsten sind seit vielen Jahren an allen gefährlichen Punkten mit Mitteln ausgerüstet, um den Schiffbrüchigen Hülfe zu leisten, so weit dies in menschlicher Macht steht. Wenn Sturm und See unsere deutschen Schiffe an jenen Küsten zerschellen, strecken sich ihnen überall Hände entgegen, um zu helfen und zu retten.

Können wir das von unsern Küsten sagen? Müssen wir nicht erröthen, wenn wir sie theils gar nicht, theils ungenügend geschützt sehen; wenn an ihnen in einem Jahre hundert Schiffbrüche stattfinden und das Dreifache an werthvollen Menschenleben dabei verloren geht, während wir sie retten könnten ? Wahrlich! es ist hohe Zeit, daß wir uns endlich aus dieser Apathie aufrütteln, daß wir thun, was Humanität und Menschenpflicht gebieterisch fordern und daß wir den Vorwurf der Herzlosigkeit und Gleichgültigkeit gegen Unglückliche von uns ablehnen, den man uns bis jetzt im Auslande mit Recht machen darf.

Wir erheben berechtigte Ansprüche auf eine Geltung zur See. Ueberall im Lande ertönt der Ruf nach einer Flotte, um unsere Schiffe und deren Besatzungen gegen den Feind zu schützen. Nun, die Elemente sind auch Feinde, schrecklicher und unbarmherziger als der Mensch. Gewähre Du, deutsches Volk, unsern Seeleuten zunächst dagegen Schutz, rufe an unsern Küsten ein möglichst vollkommenes Rettungswesen in das Leben, dann hast Du eine edle That vollbracht und einen großen Schritt zu unserer Geltung zur See gethan. Schaffe zuvörderst die Mittel, um kostbare Menschenleben zu erhalten, ehe Du daran denkst, sie zu zerstören; dann wirst Du die Thränen trocknen und den Segen aller derer auf Dein Haupt herabrufen, denen Du den Sohn, den Gatten, den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_357.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)