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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Vater wiedergiebst. Es ist das keine schwierige Aufgabe. Fünfzig Rettungsstationen sichern unsere ganze Küste und hunderttausend Thaler decken die Kosten ihrer Errichtung. Eine solche Summe ist vielleicht groß zu nennen, wenn sie von den Küstengebieten allein aufgebracht werden soll, aber sie ist eine Bagatelle, wenn sich das gesammte Volk daran betheiligen will, was es thun wird und muß, weil seine Ehre dabei in das Spiel kommt. Deshalb öffnet Eure Hand, Ihr Deutschen, und fördert das edle Werk, durch welches die Humanität ihre schönsten Triumphe feiern wird! Schafft das Geld bald herbei, damit noch vor dem Herbste unsere Küsten geschützt werden und die kommenden Stürme nicht abermals zahlreiche Opfer fordern, die sich erretten lassen. Vernehmt, daß das englische Volk jährlich 140,000 Pfund Sterling zu Rettungszwecken aufbringt und daß damit durchschnittlich 6–700 Menschenleben dem Wellengrabe entrissen werden. Folgt dem Beispiele und zeigt, daß Ihr nicht weniger Gefühl für Euere Mitmenschen habt, als die Engländer, die Ihr so oft kaltherzige Egoisten nennt, die Euch aber hierin tief beschämen. –

In neuester Zeit treten zwar auch bei uns erfreuliche Bestrebungen zu Gunsten des Rettungswesens auf; an der Nordsee haben sich drei Vereine zu diesem Zwecke gebildet, sie haben ruhmvolle Thaten vollführt, nach einander zwölf Stationen errichtet, und mit fünf derselben innerhalb zweier Jahren siebzig Menschen gerettet – allein wenn das Rettungswesen das leisten soll, was es vermag, wenn es bei uns verhältnißmäßig eben so glänzende und bewunderungswerthe Resultate erzielen soll, wie in England, so muß ein deutscher Rettungsverein als ein gemeinsames Band unsere gesammten Küsten umschließen und das ganze Volk sich daran betheiligen.

Wenn auch der erfinderische Geist des Menschen Mittel geschaffen hat, mit deren Hülfe die Rettungen ausgeführt, Sturm und Meer siegreich bekämpft werden können, so sind solche Unternehmungen doch stets höchst gefahrvoll und es gehört nicht allein großes seemännisches Geschick, sondern auch außerordentlicher Muth dazu. Von den Rettern wird fast immer das eigene Leben dabei gewagt, und da muß es schon ein mächtiger Impuls sein, der die Leute hinaustreibt durch Nacht und Brandung, der sie sich aus den Armen der betagten Eltern, der weinenden Gattin und Kinder reißen läßt, um Mitmenschen zu erretten und vielleicht selbst dem Tode dabei zu verfallen. Diesen Impuls vermag aber nur das Volk zu geben, wenn es solche heroischen Thaten in gebührender Weise ehrt. Wohl kann der Staat Rettungsstationen errichten, wohl kann er Leute anstellen und besolden, um sie zu bedienen, aber den Bootsbesatzungen jenen Geist der Kühnheit, Nächstenliebe und Aufopferungsfähigkeit einzuhauchen, der allein im Stande ist, das Höchste zu leisten, das Leben Anderer mit Gefahr des eigenen zu retten – das vermag er nicht. Geld ist zwar eine mächtige Triebfeder, aber jene edlen Regungen kann es allein nicht erwecken oder rege halten; das kann nur die Theilnahme des Volkes. Der englische Fischer oder Bootmann hat das Bewußtsein, daß, wenn er bei solchen Gelegenheiten sein Leben wagt, seine That im Herzen des Volkes Widerhall findet, daß nicht nur Belohnung an Geld, sondern eine weit reichere an Ehre seiner harrt und daß das Volk der Seinen nicht vergißt, wenn er bei seinem noblen Handwerk das Leben einbüßt.

Dies Bewußtsein ruft die ganze Energie seiner Seele, alle besseren Gefühle seines Inneren wach; es spornt ihn zu Selbstverleugnung und Heroismus und erweckt unter den Strandbewohnern einen edlen Wetteifer, dessen Erfolge wir in den kühnen und bewunderungswerthen Rettungen aus Seegefahr sehen, welche die englischen Zeitungen im Herbst und Frühjahr fast täglich registriren.

Es ist schön und anerkennungswerth, daß sich schon an unsern Küsten Specialvereine gebildet haben, aber es betheiligt sich an ihnen immer nur ein geringer Bruchtheil der Bevölkerung. Sie sind deshalb nicht im Stande so viel Mittel aufzubringen, um alle gefährlichen Küstenpunkte zu schützen, um jede Station zu unterhalten, die Geldbelohnungen für Rettungen zu geben, die Hinterbliebenen der bei Rettungsversuchen Verunglückten ausreichend zu versorgen und ihnen den Ernährer zu ersetzen. Das kann nur das ganze Volk thun, indem es entweder die dazu nöthigen Fonds auf einmal aufbringt, oder jene nothwendigen Ausgaben durch jährliche Beiträge sichert.

Es liegt aber in der menschlichen Natur, daß derjenige, welcher zu irgend einem Zwecke beisteuert, auch Erfolge sehen will, wenn sein Interesse für die Sache, sei sie noch so groß und heilig, nicht erkalten soll. Wenn daher Menschenfreunde für einzelne bestimmte Stationen auch Spenden geben, so kann doch der Fall eintreten, daß diese Stationen vielleicht in Jahren keine Gelegenheit zu irgend welchen Leistungen haben. So erfreulich diese Thatsache in menschlichem Interesse sein muß, so hat sie andererseits die natürliche Folge, daß die Theilnahme der Geber sich abschwächt, ihre Lebendigkeit und Opferwilligkeit verliert. Besitzen wir dagegen einen deutschen Rettungsverein, der unsere gesammten Küsten begreift, so wird jeder Geber bei jeder Rettung, mag diese an diesem oder jenem Grenzpunkte unseres Vaterlandes geschehen, sich mit Genugthuung sagen können: „Auch ich habe mein Theil daran,“ und dies Bewußtsein allein vermag das Interesse für das Rettungswesen im Lande wach zu erhalten, es immer tiefer in das Volk dringen zu lassen und zu erhöhen.

Eben so sprechen gewichtige Nützlichkeitsgründe für eine Centralisation aller Specialvereine. Die Verwaltung der letzteren erfordert einen gewissen Kostenaufwand, der sich bedeutend reduciren läßt, wenn eine einheitliche Oberleitung vorhanden ist. Um der Wirksamkeit der einzelnen Stationen versichert zu sein, müssen sie öfter inspicirt und erprobt werden. Ein gemeinschaftlicher Inspector, der die nothwendigen Uebungen anstellen läßt, wird aber bedeutend weniger Kosten verursachen, als wenn zehn oder fünfzehn Vereine solche Leute halten sollen. Ferner müssen neue Erfindungen probirt und alle möglichen Versuche mit den Apparaten angestellt werden, um aus ihnen den größten Nutzen zu ziehen. Die Mittel der Specialvereine erlauben das nur in sehr beschränktem Maße, dagegen wird ein Centralverein, der das gesammte Volk hinter sich hat, stets die nothwendigen Gelder dafür disponibel haben. Weiterhin liegt es auf der Hand, daß eine einheitliche Leitung mit gleichen Reglements für die Handhabung der Apparate nur höchst nützlich wirken, daß der Austausch der Erfahrungen bei den einzelnen Stationen der Wirksamkeit des ganzen Rettungswesens nur förderlich sein kann und ihr zu Gute kommen muß.

In richtiger Erkenntniß dieser Gründe hat sich denn auch das Comité des Bremer Vereins entschlossen, einen allgemeinen deutschen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger in das Leben zu rufen. Es hat zu diesem Zwecke Einladungen an alle Menschenfreunde und Freunde des Rettungswesens zu einer in Kiel abzuhaltenden Versammlung erlassen, die in diesem Augenblick tagt, und beabsichtigt einen solchen Verein zu gründen.

Möge das edle Werk gelingen und zur größten Vollkommenheit gedeihen, um bald die segensreichsten Früchte zu tragen! Von Herzen wünschen wir aber auch, daß die Betheiligung des Binnenlandes eine recht rege und lebendig werden möge, denn von ihr ist das Gelingen dieser echt humanen und christlichen Bestrebungen hauptsächlich abhängig.

Und so gebe Gott seinen Segen zu diesem Werke, dessen baldiger Aufbau eine der heiligsten unserer Pflichten ist. Möge sie Jeder erkennen und es recht bald durch die That beweisen. Der Leserkreis der Gartenlaube hat für so manche große und nationale Sache offenes Herz und offene Hand gezeigt; hoffen wir, daß er auch dazu sein Möglichstes beitragen werde, um die Thränen so vieler Wittwen und Waisen zu trocknen, um den fern von voller Reise rückkehrenden Bruder nicht Angesichts der heimathlichen Küste in die Fluthen versinken zu lassen und um möglichst bald eine Ehrenschuld zu tilgen, die schon zu lange auf uns lastet.




Wenn wir in dem Obigen an das Gewissen und das Gefühl des deutschen Volkes appellirten, so wissen wir wohl, daß hauptsächlich Unbekanntschaft mit dem Rettungswesen und maritimen Verhältnissen überhaupt die Schuld daran tragen, wenn ersterem bisher so wenig Aufmerksamkeit geschenkt ist. So groß der Enthusiasmus im Lande für unser Seewesen ist, so wenig ist es leider in seinen Einzelnheiten bekannt.

Bei dem gegenwärtigen Standpunkte des Rettungswesens, den wir mit Recht einen weit vorgeschrittenen nennen können, spielt, wie wir schon 1861 darthaten, das Rettungsboot eine Hauptrolle. Wer einen Sturm an einer Küste erlebt, wer gesehen hat, wie die Brandung donnernd und mit vernichtender Gewalt ihre Wasserberge an den Strand rollt, der wird es kaum für möglich halten, daß Menschen es wagen, mit einem einzigen Boote in dies Chaos empörter Elemente zu dringen und es siegreich zu bekämpfen. Und doch ist es so; es geschieht zu hundert

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_358.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)