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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Straßen absperrten, zu Boden und der Strom der Kirchgänger ergoß sich in die Straßen. Vom Thurm hernieder aber bliesen die Stadtpfeifer die Melodie eines geistlichen Liedes. Da entstand unter den harrenden Studiosen eine lebhafte Bewegung, welche ihre den heimkehrenden Schönen zugewandte Aufmerksamkeit von diesen ablenkte. Einige Theologen hatten die Neuigkeit aus der Kirche gebracht: Professor Schiller sei heute ein für alle Mal aufgeboten worden. Rasch von Mund zu Munde lief das Wort.

Die vernommene Neuigkeit war keine Lüge. In der That hatte nach Beendigung des ersten Kirchenliedes der Archidiaconus von der sogenannten kleinen Kanzel vor dem Altare in die andächtige Versammlung hinab verkündet:

„Aufgeboten werden, und zwar nach eingeholtem Consistorialdispens ein für alle Mal, Herr Johann Friedrich Schiller, Fürstlich Sachsen-Meiningischer Hofrath, Fürstlich Sachsen-Weimarischer

Schiller’s Trau-Kapelle.

Rath und außerordentlicher Lehrer der Weltweisheit allhier, Herrn Johann Friedrich Schiller’s, Hauptmanns in Herzoglich Württembergischen Diensten, eheleiblich einziger Sohn, und Fräulein Louise Charlotte Antoinette von Lengefeld aus Rudolstadt, weiland Herrn Joel Christoph von Lengefeld, Fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtischen Jägermeisters und Kammerraths zu Rudolstadt, eheleibliche zweite Tochter,“ worauf denn für beide Verlobte zu ihrem „wichtigen Vorhaben“ der Segen des höchsten Stifters der Ehen erbeten wurde.

Die Ueberraschung, welche dieser Bekanntmachung folgte, war außerordentlich. Sie machte sich durch den ganzen Hörerraum bis hinab ins Schiff der Kirche, namentlich in den Frauenstühlen, durch Flüstern, Rücken an Band und Haube, Hin- und Herbewegen bemerklich. Für Eine nur schien diese Ueberraschung nicht vorhanden zu sein. Begleiten wir sie, die kleine muntere Person, auf ihrem Heimweg aus der Kirche. Ihr Weg führt sie links die Saalgasse hinab.

Alle Vorübergehende begrüßen sie freundlich, um von ihr einen noch freundlichern Gegengruß zu erhalten. Ein selbstbefriedigendes Lächeln zieht über ihr gutmüthiges Gesicht. Sie feiert heute einen ihrer größten Triumphe. Sie kann ja allen denen, die ihr das eigne Erstaunen über die große Neuigkeit mittheilen wollen, entgegnen, daß die Angelegenheit für sie keine neue, kein Geheimniß, daß sie Mitwisserin und, wie sie sich einredet, auch Mithelferin gewesen sei. Gönnen wir bei ihrer anerkennenswerthen Neigung, Menschen zu beglücken, der guten Frau diese kleine Uebertreibung. Indeß ist sie in die Schloßgasse eingebogen und ist rechts in ihrem in einer versteckten Seitengasse gelegenen Hause eingetreten, dessen Frontseite nach dem Stadtgraben zu ging. Jedes Kind konnte sagen, daß in dem Hause der Geheime Kirchenrath und Prälat Griesbach wohnte.

Jena aber war vollständig in Unruhe. In den nachmittägigen Kaffee- und abendlichen Theeclubs wurde die Neuigkeit des Vormittags hin und her zerrissen. Hier galt es vorzüglich der zu erwartenden jungen Frau. Große Unruhe erregte namentlich die Lösung der Frage, welche Stellung man dem „adeligen“ Fräulein gegenüber einnehmen wolle, und daneben, wie diese sich wohl selbst zu den einzelnen edlen Zunftverbänden stellen würde. In letzterer Hinsicht gewährten indeß die Mittheilungen der Frau Geheimen Kirchenräthin einerseits, gleich wie diejenigen der gestrengen Frau Bürgermeisterin, welche, beide mit der Familie der Braut näher bekannt, die neu Ankommende als von sanftem liebenswürdigem Charakter schilderten, einige Beruhigung. Das philosophisch große und erhabene Jena besaß die engherzigste Kleinstädterei!

Ganz anders aber klang der Ton, den man anschlug in den Commershäusern der Studenten. Hier galt es dem Manne, dem geliebten Lehrer, dem gefeierten Dichter, dem der Enthusiasmus deutscher Jünglingsherzen eine Liebesthat erweisen wollte. Aber alle Vor- und Anschläge wurden vereitelt. Alle Boten, die man aussandte, kamen stets mit der Nachricht zurück, daß die sechs Fenster in der ersten Etage des Eckhauses am Markt, darin Schiller wohnte, still und dunkel seien. Man gab zuletzt der Vermuthung Raum, daß die Brautleute mit Absicht alle geräuschvollen Ovationen vermeiden wollten, und fand dies völlig im Einklang

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_373.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)