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Seewasser wird nie durch anderes ersetzt, sondern immer dasselbe kreist fortwährend zwischen Behälter und Reservoir durch Pumpwerke, welche durch Wasserdruck Tag und Nacht in Bewegung erhalten werden. Es verliert durch den Gebrauch, d. h. durch den Lebensproceß der Thiere und Pflanzenthiere in den Behältern, mehr oder weniger an Sauerstoff, dem wesentlichen Elemente alles Lebens. Daher wird es, aus den Behälter abfließend, durch tüchtige Luftbäder immer wieder mit Sauerstoff gesättigt und zugleich durch Filtration von mechanisch beigemengten Unreinigkeiten befreit. So gewinnt man das nämliche Seewasser stets wieder als frisches, blos mit dem Unterschiede, daß es, unmittelbar aus dem großen Meere geschöpft, eine Menge Nahrungsstoffe für die Bewohner der Behälter enthalten würde. Diese müssen also durch künstliche Fütterung, Fleisch von Crustaceen, Würmer, todte oder lebendige Fische etc., eine durchaus nicht kostspielige und ungemein interessante Arbeit, ersetzt werden. Der fortwährende Gebrauch des nämlichen Seewassers auf diese Weise hat sich in Hamburg so gut bewährt, daß sich in demselben täglich neue Organismen entwickeln und die vorhandenen vortrefflich gedeihen. Hiermit scheint für alle künftigen Anlagen von Zoophyten-Häusern die größte Schwierigkeit glücklich gelöst worden zu sein. Mit ein paar Tonnen Seewasser kann man in jeder Entfernung vom Meere Marine Aquarien gründen und unterhalten.

Ein danebenliegendes Bedenken ist wohl auch mit etwas Chemie und Gewissenhaftigkeit zu beseitigen. Die Zoophyten und Thurmbewohner, besonders die gepanzerten Krebsritter, verbrauchen nämlich jedenfalls auch Material zur Befestigung und Vergrößerung ihrer kleinen Burgen, zur Anschaffung von neuen Wohnungen und Waffen. Dies beziehen sie aus dem Seewasser selbst, das aus mehr als sechsundneunzig Theilen gewöhnlichen Wassers, dritthalb Procent Chlornatrium (Kochsalz) und halben und weniger Procenten Bromnatrium, schwefelsaurem Kali, schwefelsaurem Kalk oder Gyps (blos 0,1622 Proc.), schwefelsaurer Magnesia und Chlormagnesium besteht. Dieses Baumaterial ist also nicht sehr reichlich vorhanden und wird fortwährend in Anspruch genommen, wahrscheinlich besonders Kalk. Deshalb wird es wohl nöthig sein, das Wasser öfter chemisch zu untersuchen und darin gefundene Deficits zu decken. Darin kann aber wenig Schwierigkeit liegen, da man mit Erfolg künstliches Seewasser macht und Marine-Organismen darin erhält.

Die Oxygenation oder Sauerstoffung des Wassers durch Luftbäder und immerwährenden energischen Kreislauf wird vermittelst besonderer Vorrichtungen und künstlicher „Stürme im Glase Wasser“ unterstützt, wodurch die auf engen Raum angewiesenen Meeresbewohner zugleich zu dem Genusse und belebenden Vergnügen wirklichen Meeressturmes kommen. Man bläst nämlich durch das erneuerte Seewasser zuweilen mit großer Gewalt Luft in die Behälter, so daß eine tüchtige, wellenförmige Bewegung darin entsteht, die im Kleinen den kleinen Wundern Alles leistet, was sie nur von dem größten Sturme erwarten können.

Aber alle die reichlich von außen eingeführte Lebensluft reicht nicht hin zum fröhlichen Gedeihen der maritimen Bevölkerung, so daß auch für frisch perlende Sauerstoffquellen im Wasser selbst gesorgt worden ist. Man hat deshalb lebendige Gärten und Grotten auf dem malerisch nachgeahmten Meeresboden und dessen Felsen und Gebirgen angelegt und gärtnert immer frisch weg in diesen Feen-Parks, deren Pflanzen und Moose und seltsame Bäumchen und Wäldchen nun doppelt für das Wohl der darin lebenden Wesen sorgen, indem sie die fortwährend aus dem thierischen Lebensproceß sich entwickelnde Kohlensäure wegfischen und zu ihrer eigenen Nahrung verbrauchen und dafür unter dem Einflusse des Lichts Lebensluftperlenreihen von sich geben. Das kann man an hellen Tagen oft sehr schön sehen. Wie aus einem Glase eingegossenen Champagners dichte Reihen von Luftperlen emporeilen, so sprudeln von den lichtgetroffenen Pflanzen unten lustige Bläschen sich befreienden Sauerstoffs wie feinste Diamantenketten herauf. Die wunderbaren Creaturen darin freuen sich dieses sprudelnden Luft-Champagners und wehen und winken und kokettiren angesäuselt mit ihren farbenreichen Federbüschen und gesticuliren mit ihren zahlreichen Fangfingern oder fliegen und flitzen zwischen den Grotten und Höhlen umher, wie lustige Buben, die aus der Schule hervorlärmen.

Erst durch dieses pflanzliche Leben in den Aquarien ist dessen Kreislauf abgerundet und das Gedeihen der thierischen und pflanzlichen Gebilde durcheinander gesichert. Zudem trägt die lebendige Vegetation auf dem künstlerisch nachgeahmten Meeresboden ungemein viel zur Schönheit dieser Zoophyten-Parke in ihren klar durchsichtigen Krystallpalästen bei. Wir haben die Wunder der Tiefe wirklich und im besten Lichte dicht vor uns. Die Pflanzen werden nicht vom Meere oder in Süßwasser-Aquarien aus Flüssen übergesiedelt, sondern sie entwickeln sich freiwillig aus Keimen oder hineingeworfenem Samen, so daß sie sich gleich von der Geburt an mit ihrer beschränkten Heimath befreunden. Natürlich muß Ueberwucherung sowohl als Mangel durch besondere Gärtnerkunst im Gleichgewicht gehalten werden.

Im Allgemeinen werden die Süßwasser-Aquarien mit etwa einhundert und dreißig Kubikfuß Wasser eben so sorgfältig behandelt, nur daß man mit diesem nicht so ökonomisch umgeht, sondern das abfließende durch anderes ersetzt. Die künstlerische Landschaftlichkeit in den Behältern ist durchweg malerisch und von reizender Wirkung. Die kleinen Gebirge darin sind von gut gewählten verschiedenen Arten von Steinen und Felsenstückchen zusammengesetzt. Die Kanten und Ecken und Farben der verschiedenen mineralischen Körper sind so verbunden, daß sie durch Contrast oder Analogie einen bestimmten Charakter gewinnen. Der Boden unten ist zwei bis drei Zoll hoch mit Sand oder Kies bedeckt. Darüber verstreuen sich kleine Felsenformationen, Bänke, Abdachungen und Grotten, so daß sich die Bewohner wie zu Hause auf dem wirklichen Meeresboden fühlen und benehmen. Die schöne Wirkung dieser submarinen Landschaften wird noch erhöht durch die blos von oben (durch Dachfenster oder „Himmelslichter“, wie der Engländer besser sagt) fallende, helle Beleuchtung, die um so wirksamer erscheint, als die Besucher von einem dunkleren Raume hineinblicken. Nur in dem östlichen und dem westlichen Zimmer mit sehr flachen und seichten Behältern, wie sie sich für die darin befindlichen Gebilde am Besten eignen, ist die übliche Beleuchtung von allen Seiten vorgezogen worden.

Alle Behälter können brillant erleuchtet werden, was insofern von Wichtigkeit ist, als manche der Bewohner wie Raubthiere nur des Nachts aus ihren Schlupfwinkeln hervorkommen und sich von dem künstlichen Lichte nicht abhalten lassen, zu zeigen, wie sie auf die Lauer und Jagd gehen und ihre Beute fangen und verzehren. Alle unansehnliche Prosa und Werkeltagsarbeit, die zur Erhaltung und Pflege dieser ganzen submarinen Lebensscenen gehören, wie Wasser- und Gasröhren, Heiz- und Ventilations-Apparate etc. sind in untere und Nebenränme verwiesen worden, wie Maschinen und Coulissenschieber hinter die Bühne.

Da diese niedrigsten Gebilde von Thier- und Thierpflanzen-Organismen wenig Geist haben und ihr ganzes Thun, Treiben und Trachten auf Nahrung gerichtet ist (sie sind also wie viele gute Unterthanen in intelligenten Menschenstaaten), so entwickelt sich ihre ganze Eigenthümlichkeit und Energie am Charakteristischsten und in höchster Blüthe beim Fangen und Fressen, so daß die in Anwesenheit des Publicums vorgenommene Fütterung besonders interessant ist. Ein zoophylisches Geschöpf, das blos aus einem Magen besteht, muß man fressen sehen, nur um es zu glauben, daß die Natur die satirische Laune gehabt hat, auch eine solche Creatur zu schaffen.

Ohne weiter in Einzelnheiten der Verwaltung und Bewirthschaftung der Aquarien einzugehen, begnügen wir uns, noch besonders auf die angedeuteten, meisterhaft verwirklichten Bedingungen alles Lebens und Gedeihens aufmerksam zu machen: reichliche Fülle und stets lebendige Frische der Luft und des Lichtes, und zwar verticalen, directen, nicht gebrochenen und reflectirten Lichtes. Mängel und Fehler in Versorgung mit diesen wesentlichsten Lebensbedingungen ist der Hauptgrund gewesen, weshalb die Tausende von Marine-Aquarien in den Privatgemächern der Wohlhabenden und Gebildeten ausgestorben sind und der ganze, einst blühende Enthusiasmus für diese Art von herrlichster Zimmerdecoration als ziemlich erloschen beklagt werden muß.

Freilich giebt es unter den Bewohnern solcher Aquarien weder allgemeines Land- noch Seerecht. Sie leben und fressen sich gegenseitig auf ganz feudal. Deshalb ist es schön, daß man in den Hamburger Aquarien besondere Behälter für die Raubritter abgegrenzt und die friedlichen und verträglichen Creaturen neben einander in idyllische Wohnungen vertheilt hat. Eine solche Rücksicht auf Verträglichkeit der Nachbarn und Bewohner eines Behälters ist ungemein wichtig und wird durch Beobachtung und Erfahrung gewiß noch zu ganz sichern Ergebnissen führen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_390.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)