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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

schritt er in der Gaststube hin und wieder, in Bilder der Heimath, Bilder der Liebe und Erinnerung um so enger verstrickt, je sorgsamer und strenger er bis dahin jede Erinnerung von sich ferne gehalten … er zählte die Secunden, bis die Cameraden kamen, die es sich nicht wehren lassen wollten, ihm noch eine Strecke das Geleit zu geben; dann sollte Abschied genommen werden auf Wiedersehen und Wiederfinden in Ulm.

Endlich erschienen sie – aber mit verstörten Gesichtern.

„Wir bringen nichts Gutes,“ rief der Tiroler, „wir sind verrathen, Hiesel! O, hättest Du mir doch gefolgt und wären wir nicht mehr umgekehrt!“

„Was ist denn geschehn?“ fragte Hiesel, nach der Büchse greifend.

„Ein ganzes Detachement von Augsburgischen Grenadieren ist uns im Nebel über den Hals gekommen … das Wirthshaus ist schon von allen Seiten umstellt!“

„Nur ruhig, ruhig, Cameraden,“ erwiderte Hiesel, indem er rasch durch einige Blicke nach Fenster und Thüren sich von der Richtigkeit der Nachricht überzeugt hatte … „Es ist wahr, am vordern und hintern Ausgang blitzen Musketen … schnell über das Hausfletz in die Küche! Von dort führt auch eine Thür ins Freie … dort sind wir jedenfalls rückenfrei und können nach drei Seiten schießen …“

Sie stürmten nach der Küche, einem geräumigen Gewölbe, das außer den beiden sich gegenüberliegenden Thüren keinen Ausgang hatte, als in die ebenfalls gewölbte Speisekammer – der Lieutenant hatte zu viele Muße gehabt, seine Vorkehrungen zu treffen: kein Weg des Entrinnens war offen geblieben. „So müssen wir uns halt unsrer Haut wehren,“ rief Hiesel, „und das bissel Leben so theuer verkaufen, wie es nur anzubringen ist!“

Kaum hatte er seine Anordnung getroffen, daß je zwei an jeder Thür sich aufstellen und das Feuer unterhalten, die Andern nur laden und den Schützen die Gewehre hinreichen sollen – kein Schuß Pulver sollte vergebens abgebrannt werden, keine Kugel ihr Ziel verfehlen – als am Fenster der Lieutenant erschien und mit lauter Stimme im Namen des Fürstbischofs von Augsburg als des Landesherrn zur Ergebung aufforderte und denen, welche sich sogleich fügen würden, die geringste Strafe verhieß.

„Das ist unsere Antwort!“ rief Hiesel und drückte los, mit dem sichren Stutzen mitten auf die Brust des Officiers zielend; aber das Pulver in der Pfanne brannte vergeblich auf, zum erstenmale versagte das nie fehlende Gewehr seinen Dienst. Erbleichend und mit einem wilden Fluche warf er es den Andern zu, um die Ladung zu untersuchen – aber der Officier war gerettet und damit wohl der Ausgang des Unternehmens entschieden: hätte der erste Schuß den Anführer hingestreckt, so würde die Mannschaft vor dem Ungestüm der Wildschützen schwerlich wieder Stand gehalten haben.

Da mit dem Widerstande die Ergebung als verworfen erscheinen mußte, ließ der Lieutenant seine Grenadiere zum Angriff gegen die Thür vorrücken, aber die Wildschützen waren hinter den verrammelten Thüren geborgen und auf jeden ihrer Schüsse stürzte ein Mann, um nie wieder aufzustehen. Schuß auf Schuß krachte hin und wider, die Thüren waren schon wie Siebe durchlöchert, die Grenadiere hatten bereits zwei Todte und viele schwer Verwundete, und noch war kein Ende des Kampfes abzusehen; die Belagerer änderten daher in etwas ihren Plan.

„Courage, Cameraden!“ rief Hiesel. „Wenn wir die Kugeln gehörig aufsparen und recht sicher zielen, machen wir sie mürbe und wenn ihrer noch so viel wären! Wir schlagen uns doch noch durch – der Wald kann keine fünfzig Schritte entfernt sein!“

„Horch, was ist das?“ rief der Tiroler entgegen. „Was ist das für ein Gepolter über uns?“

Dumpfe gewaltige Schläge erdröhnten von oben, der Kalkbewurf des Gewölbes fiel in Stücken herab.

„Sie sind über uns … sie schlagen das Gewölb’ ein …“

„So deckt Euch,“ rief Hiesel, „daß sie Euch nicht erreichen können … wie das Loch durch ist, gebt ihnen gleich eine ordentliche Ladung zu verkosten!“

Jetzt prasselten Steine hernieder, eine dichte Staubwolke wälzte sich auf und durch dieselbe blitzten die sichern Schüsse der Wilderer den Eindringenden entgegen – Geschrei der Getroffenen antwortete; aber auch die Soldaten hatten ihren Mann sicher gefaßt. Eine Kugel drang dem Tiroler, der sich zu weit vorgewagt hatte, in Kinn und Hals und schmetterte ihn zu Boden. „B’hüt Gott, Hiesel …“ rief er im Stürzen, „mit mir ist’s aus …“

„B’hüt Gott, Peter,“ rief Hiesel entgegen, „hab’ jetzt keine Zeit zum Abschiednehmen, wir gehn wohl bald miteinander …“

Die Soldaten hatten sich indeß überzeugt, daß das Durchbrechen des Gewölbes ihnen nicht viel genützt habe; sie begannen daher Patronen, mit Stroh umwickelt anzuzünden und in die Küche hinab zu werfen, um die Eingeschlossenen zur Ergebung zu zwingen. Der erstickende Dampf nöthigte diese auch, sich aus der Küche in das Speisegewölbe zurückzuziehn, aber er vertrieb auch die Belagerer und das brennende Stroh drohte das Haus selber in Brand zu setzen. Eine Kufe voll Bier, das oben zum Kühlen aufgestellt war, mußte zum Löschen dienen und machte die Lage der Eingeschlossenen noch verzweifelter. Der Lissaboner Bäck wollte mit raschem Sprunge die eine Thüre erreichen, um vielleicht durch sie einen gewaltsamen Ausweg zu finden; mitten im Sprunge traf ihn eine Kugel und streckte ihn auf das halbbrennende Stroh, daß er theils in dem entsetzlichen dicken Qualm erstickte, theils in dem herabströmenden Bier ersoff. Der Sattler war verzagt geworden und hatte sich in den Kamin geflüchtet, der Blaue war ins Ofenloch gekrochen, der Sternputzer lag mit einer schweren Kopfwunde bewußtlos in der Ecke …

Vier Stunden schon hatte der Kampf gedauert; Hiesel allein stand noch aufrecht, die letzte Kugel rollte in den Lauf … Widerstand war nicht länger möglich, kein Zagen kam in sein furchtloses Herz, aber die Möglichkeit sich zu retten, vielleicht doch noch entrinnen zu können, stieg in ihm auf.

„Wenn es noch Pardon giebt,“ rief er durch die Thür, „so will ich mich ergeben …“

Im Augenblick wurde das Feuern eingestellt; die Thür ging auf, Hiesel stand dem Lieutenant gegenüber mit wirrem Haar und pulvergeschwärztem Angesicht … Erschüttert bot er dem Officier seine Hand. … „Sie tragen den Officiersrock,“ sagte er, „Sie werden ein Ehrenmann sein … Ihnen ergeb’ ich mich: ich heiß’ Matthias Klostermaier …“

In der Stube des halbzerstörten Hauses musterte der Lieutenant seine Mannschaft, traf Anordnungen wegen der Gefallenen und Verwundeten und sandte nach allen Seiten Boten ab mit der Nachricht des endlich errungenen Sieges.

Der Rothe, der sich während des Gefechts fern gehalten, schlich behutsam ins Zimmer. „Ich hab’ mein Wort gehalten,“ sagte er, „nun bitt’ ich, daß der Herr Lieutenant das seinige auch hält und mir meine Belohnung ausbezahlt …“

„Die soll Er haben,“ rief Schedel abgewendet, indem er einen schweren Beutel auf den Tisch warf. „Feldwebel, zahl’ Er dem Burschen seinen Lohn aus, ich mag nichts damit zu schaffen haben …“

„Komm’ her, Judas,“ sagte der Feldwebel und begann die Goldstücke vor dem Rothen aufzuzählen, in dessen Augen wilde Gier funkelte und dessen Hände zuckten, als könne er den Augenblick nicht erwarten, wo dieser Schatz völlig sein gehören sollte.

Ein Sergeant trat inzwischen ein und meldete dem Lieutenant, daß er mit einer Abtheilung Grenadiere zur Verstärkung nachgeschickt worden, und da er an dem bezeichneten Treffpunkte, in der verlassenen Schmiede, Niemand mehr angetroffen, den Spuren nachmarschirt sei, bis vor einigen Stunden das Schießen ihm vollends den Weg gezeigt habe. „Schade,“ schloß der Sergeant, „daß wir zu spät gekommen sind, es muß heiß hergegangen sein und die Wildschützen müssen sich tüchtig gewehrt haben! Hätt’ mich wohl auch ein wenig mit ihnen herumraufen mögen! Aber etwas Merkwürdiges haben wir doch auch erlebt … in der verlassenen Schmiede haben wir eine Todte gefunden!“

„Eine Todte?“ rief verwundert der Officier – der Rothe bebte zusammen.

„Ja, Herr Lieutenant, eine Ermordete noch dazu; eine junge saubere Person mit einem Stich in Brust und Hals und ihre Hände so fest wie im Krampf geschlossen, und wie wir die eine davon öffneten, hielt sie diesen Knopf und diese Schnüre darin – es ist kein Zweifel, sie hat sich gegen den Mörder gewehrt und im Ringen ist ihr das in der Hand geblieben!“

Der Rothe war immer mehr erblichen und wankte; die Goldstücke auf dem Tische tanzten vor seinen Augen durcheinander wie Feuerfunken der Hölle.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_398.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)