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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Pater Joseph Stanislaus Albach.

mit beiwohnende vornehme Welt heimzufahren, während die übrige Menschenmenge, die über keine Carossen zu gebieten hatte, sich in endlosem Strome aus den Haupt- und Seitenthüren des Gotteshauses drängte und nach allen benachbarten Straßen, ja selbst nach den entlegensten Stadtvierteln hin vertheilte.

Wer sich nun aber, sei’s aus Andacht, sei’s aus Neugierde oder Gewohnheit, bewogen fühlte, noch vor Beginn der Predigt mit einzutreten in die geweihten Hallen, der fand, kam er nicht eine ganze oder halbe Stunde früher, in den um die Kanzel herum bis an den Hochaltar hinan dicht besetzten und gefüllten Räumen der keineswegs kleinen Kirche nach vielfachem Drücken und Drängen kaum mehr ein Plätzchen zum Stehen, geschweige denn zum Sitzen. Von den bereits Versammelten hatte gar Mancher erst einer ganz gewöhnlichen Franziscanerpredigt in ungarischer Sprache, die der betreffende Zuhörer oft nicht einmal verstand, sowie einer darauf folgenden katholischen Messe mit beigewohnt, blos um für die sich daranschließende deutsche Predigt einen sichern und bequemen Platz zu gewinnen. Und so war und blieb es volle zehn Jahre, von 1828 bis 1838, einen Sonntag wie den andern, im Winter wie im Sommer, bei gutem wie bei schlechtem Wetter.

Man fand da bei genauerer Umschau nicht nur alle Stände, Alters- und Gesellschaftsklassen, sondern auch alle Nationen und Confessionen der ungarischen Hauptstadt mehr oder weniger vertreten. Man gewahrte in den Logen und Gitterstühlen der Empore neben der streng lutherischen Erzherzogin Maria Dorothea, geb. Prinzessin von Würtemberg, der dritten Gemahlin des damaligen Palatins Erzherzog Joseph, die ersten und gefeiertsten Namen aus den Reihen der ungarischen Magnaten; neben der schöngeputzten eleganten Welt von Pest die ernsten Männer der Wissenschaft, neben dem schlichten Bürger und Handwerker im deutschen Rocke den bärtigen Magyaren in seinem reichverschnürten Attila mit dem ungarischen Kalpag. Neben dem behäbigen Ordensbruder und der andächtig ihren Rosenkranz betenden, eifrigen Katholikin erblickte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_405.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)