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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

reichten sich darnach die Hand zum Bunde und gelobten, in solchem Geiste für das Wohl des Vaterlandes zu wirken.

Dem Primas aber sammt den übrigen anwesenden hohen geistlichen Würdenträgern mochte es bei Albach’s Predigten oft grün und gelb vor den Augen geworden sein, ohne daß sie es gleichwohl wagten, die Reihenfolge derselben durch Entfernung des Redners gewaltsam zu unterbrechen. Dagegen wußten sie dafür zu sorgen, daß Albach seitdem nie wieder in die Lage kam, die Kanzel zu besteigen oder Fastenpredigten zu halten.

Welches lebhafte Gefühl Albach, wie für Recht und Wahrheit überhaupt, so insbesondere auch für die literarische und polilische Wiedergeburt seines Vaterlandes Ungarn in sich trug, geht am deutlichsten aus einer Stelle seines unterm 8. November 1841 an mich gerichteten Briefes hervor.

„Doch nun wollen wir ein bischen zanken. – – – Daß Sie mich auch noch als schlechten Patrioten verschreien, dafür brechen wir einst eine Lanze, die aber nicht schwerer, als zwei bis drei Pfund sein darf. Ich, der der ungarischen Sprache das freudigste Gedeihen wünscht, (verstände ich sie nur besser!) ich, der über eine Erscheinung in der ungarischen Literatur, wie Baron Eötvös ‚Carthausi‘[1] ist, eben so froh erstaunt, als von Bewunderung für des Verfassers Genie durchdrungen war – ich, der den Plan der Einigung beider protestantischen Confessionen mit der allerregsten Theilnahme begleitet – ich endlich, dessen (seit ich das ‚Pesti Hirlap‘ kenne und lese) höchster Heiliger am ungarischen Himmel Kossuth ist, dem jedes Wort dieses echten ‚Menschen‘ (nur eines bisher ausgenommen, wo er mir nicht weit genug ging) aus tiefster Seele genommen ist, ich, der – wie oft! – in seinem Kämmerchen aufjubelt, daß endlich auch in Ungarn die heiligen Worte Wahrheit und Gerechtigkeit verstanden und gewogen zu werden beginnen und einen Verfechter wie Kossuth gewonnen haben … ich ein schlechter Patriot?! – Ne, hören Sie man, det is zu arj!! – Wohl steht mir die deutsche Literatur ungleich höher, als die ungarische, und wird auch diese wahrscheinlich immer überragen; wohl gilt mir die ungarische Sprache nicht als Triumph der Eitelkeit, insofern damit wieder ein Milliontheil der Menschheit sich brüstend sagen kann: ‚Auch ich habe mein Eigenes‘; noch weniger als neue oder doch fester zu begründende Schranke zwischen den Kindern einer Erde – in all diesen Bezügen machen mich solche Erscheinungen nur traurig und unser Verurtheiltsein zum Nichtvollkommenwerden auf Erden beklagend – aber sie gilt mir als Mittel der Einigung in unserm Lande, des Compacterwerdens feindlichen Einflüssen gegenüber, der größern Sicherung der Constitutionalität, womit – vorausgesetzt, daß der Segen der Constitution nicht ein Kastensegen und somit die schreiendste Ungerechtigkeit bleibe, sondern ein allgemeiner werde – allerdings viel Positives, viel Schönes und Gutes im Sinne der reinsten Humanität gewonnen ist. Habe ich in meinem letzten Schreiben Anderes hierüber von mir ahnen lassen, so habe ich mich entweder schlecht ausgedrückt, oder Sie wollen mir nur den Nichtpatriotismus aufreden. Darum in Ihrem Nächsten entweder Widerruf, vagy Kardra! [oder auf Säbel!] Das ist ein besonderes Edict, sagen die Chinesen.“

Albach’s körperliches Befinden besserte sich im Verlauf des folgenden Jahrzehentes, während dessen unsere Correspondenz ununterbrochen ihren Fortgang hatte, leider nicht. Trotz dieses körperlichen Leidens blieb aber die Schwungkraft seines Geistes ungelähmt und ungebrochen. Den deutlichsten Beweis davon liefert ein vierzehn Seiten langer, höchst interessanter, Albach’s innerstes Wesen klar bezeichnender Brief vom 29. und 30. Juni 1848, aus welchem wir nur einige wenige Stellen hier mittheilen können.

… „Ich wußte, daß Du mir einst schreiben würdest; einst, wenn die ersten Sturmwogen des Europa durchschütternden ‚Weltgerichts‘ sich einigermaßen gelegt haben würden … In den ersten Wochen war ich fort und fort in zitternder, aber unendlich wohlthuender Aufregung und schwebte und schwelgte in stiller Seligkeit, wie nie in meinem Leben. Die endlichen Offenbarungen des großen Geistes der Gerechtigkeit, an dessen Dasein man während Louis Philipp’s Zeitepoche beinahe hätte verzweifeln mögen, ergriffen mich mit einer Allgewalt, erfüllten mich mit einer Freudigkeit – ach, was sind die matten Worte gegen der Seele brennendes Entzücken!“

„Denke Dir, mein lieber Gustav,“ schließt der Brief, „die dermaligen politischen Umwälzungen dringen mit ihrem Geiste bereits selbst durch unsere dicken Klostermauern. Laut Brief an mich fordert man auch in unserm Orden Umgestaltungen (die allerdings höchst Noth thäten) und hat mir die Ehre angethan, mich behufs Verwirklichung derselben vertrauensvoll zum nächsten Provincialvorsteher wählen zu wollen. Habe aber abgelehnt, theils meiner Kränklichkeit wegen, theils weil ich alles Umgestalten für überflüssig erachte, da ich der Aufhebung der Orden, will sich anders der dermalige Geist der Zeit nicht ein Dementi geben, was ich nicht besorge, mit Zuverlässigkeit entgegensehe. Ob ein paar Jahre oder Jahrzehnte früher oder später, aber geschehen wird es, muß es, so gut wie das Aufhören alles Einflusses der Geistlichkeit auf das Schulwesen. Geschähe Beides nicht, wäre es ein Unglück und Freiheit und wahre Bildung nährten ihre größten Feinde immer freiwillig in dem eigenen Schooße. In welchem Sinne ich denn auch meinen Brüdern geantwortet.“

Ueber den Inhalt der Albach’schen Briefe aus den Jahren der eingetretenen Reaction in Ungarn, sowie über die Stimmung und die persönlichen Anfechtungen, von welchen sie Kunde geben, gehen wir hinweg, so anziehend und belehrend auch eine oder die andere Mittheilung daraus erschiene. Nur die allgemeine Bemerkung sei hier erwähnt: „Auch über uns arme Leute hat der herrschende Arimansgeist seine Segnungen bereits zu verbreiten begonnen. Uns alten Leuten werden nun innere Missionen gehalten, uns Predigten vorgesagt, die wir eben so gut selber halten könnten etc., mit einem Worte das Mittelalter wird in optima forma zurückzuführen versucht. Eine der nächsten Folgen davon ist, daß die Clausur auf’s Strengste handzuhaben befohlen ist, was wieder die angenehme Folge hat, daß ich z. B. Deine Frau nicht mehr werde in meinem Kämmerlein empfangen können.“

Im April 1851 ward mir endlich die langerhoffte Freude zu Theil, den theuern Freund auf einige Monate zum Besuch bei mir in Triest zu sehen. Im ersten Augenblick erkannte ich ihn wegen des ungewohnten Civilanzugs, dessen er sich dabei bediente, um allein und ungestörter, als es in der „Uniform“ des Ordens möglich gewesen wäre, nach Herzenslust umher flaniren zu können, nicht wieder, als er, im Aussehen sehr verändert, stumm und schweigend vor mir stand; aber als ich den ersten Ton seiner Stimme vernommen, lagen wir uns mit Thränen der Rührung in den Armen. Es waren schöne, unvergeßliche Tage, die Tage dieses Wiedersehens und Zusammenseins, obgleich vielfach getrübt durch des Freundes Krankheitsleiden, das er aber mit bewundernswerther Stärke trug und von dem er am wenigsten zu sprechen liebte. Nur bedingte dasselbe eine Lebensweise, die uns kaum die Abendstunden zu gemeinsamem Genuß vergönnte. Fünf bis sechs Stunden mußte der einmal daran Gewöhnte täglich wandern, wollte er nicht von den heftigsten Schmerzen geplagt sein, vielleicht auch mir, um sie leichter zu ertragen. Des Mittags genoß er fast nie Etwas, lebte überhaupt beinahe ausschließlich von Kaffee und ausnahmsweise etwas Suppe. Er war gewöhnt, im Bett bis tief in die Nacht hinein zu lesen, dagegen erst spät aufzustehen, so daß uns auch die Morgenstunden dadurch verloren gingen. Er litt es nicht, daß seinetwegen die Hausordnung im Geringsten gestört werde, und hatte sich’s ausdrücklich ausbedungen, daß sich Niemand viel um ihn kümmern dürfe. In diesem Punkte trieb er die Zartheit oft bis zum Eigensinn, der keinen Widerspruch duldete. Seine geringen Bedürfnisse bestritt er selbst, und wollte man ihn nicht aufbringen, mußte man ihn in diesem Punkte ruhig gewähren lassen.

Großen Eindruck machte auf ihn während seines Triester Aufenthaltes die von mir angeregte Bekanntschaft mit Byron’s Schriften, namentlich dessen Dichtung „Kain“, in der er viele Berührungspunkte mit seinen eigenen Anschauungen fand.

Wahrhaft rührend war die Tiefe und Innigkeit seiner Liebe zur Natur, die ihm Ersatz für alle Leiden und Entbehrungen seines Lebens bot und zu einer unversiegbaren Quelle der reinsten Freuden wurde. Sprach er von ihr, so belebten sich seine Züge und der Strom seiner von den reichsten Kenntnissen und Erfahrungen zeugenden Rede fluthete in höchst fesselnder und spannender Weise dahin. Als Gesellschafter war er in seinen wenigen schmerzensfreien Stunden von hinreißender Liebenswürdigkeit und als

  1. „Der Karthäuser“ ein psychologischer Roman, und zugleich das erste bedeutende Dichterwerk des damals noch jugendlichen gefeierten Dichters.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_407.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)