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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Freund ein Gemüth voll Hingebung, Opferwilligkeit und Treue, erprobt wie lauteres Gold.

Im Spätherbst 1851 schieden wir von einander, um uns nie mehr wiederzusehen. Seine rege Theilnahme an des Freundes spätern Schicksalen blieb unverändert, auch als sein zunehmendes Körperleiden, das sich vollends zum Magenkrebs mit Gichtanfällen ausgebildet hatte, ihm nur noch selten die Feder zu führen gestattete. Sein letzter Brief datirt vom 6. Januar 1853 und am 12. November desselben Jahres verschied der Treffliche nach unsäglichen Schmerzen. Ueber seine letzten Stunden habe ich trotz aller Bemühungen nichts Näheres in Erfahrung bringen können. In ihm ging ein reicher, in schweren Leiden und harten Seelenkämpfen geprüfter Geist, ein edles, für alles Wahre, Gute und Große hochbegeistertes, liebewarmes Herz der Welt verloren, aber das Gedächtniß dieses Franziscaners, der als leuchtendes Meteor am Himmel seiner Zeit und seines Vaterlandes glänzte, wird nicht untergehen im Herzen seiner Freunde und seines Volkes, so wenig, wie der Geistessame, den er ausgestreut, zur Ernte einer bessern Zukunft.




Ein demokratischer Fürstensohn.

Er hat nicht mehr gesehen, was seine Seele rang,
Das Vaterland erstehen aus Jammers Ueberschwang.
Doch ist er auch gestorben für’s deutsche Vaterland
Und hat den Kranz erworben, der Ehre höchstes Pfand.
 E. M. Arndt.

Es ist das schöne Streben der freisinnigen Blätter unserer Zeit, das deutsche Volk zu echter Bürgertugend anzuregen, zu einer Vaterlandsliebe, die nicht einseitig darauf bedacht ist, Veraltetes und einer schöneren Entwickelung Nachtheiliges niederzureißen, sondern auch dafür besseres Neues aufzubauen. Der Neubau muß aber auf wahre Bürgertugenden gegründet, das Streben nach der Größe und Erneuerung des Vaterlandes auf das Gefühl, „Wahres und Edles“ zu wollen, gestützt sein. Eine Freiheit, welche die Tugend nicht zur Geleiterin hat, ist falsch in ihrem Ursprung und unheilvoll in ihrer Wirkung.

Um aber das Streben nach bürgerlicher Freiheit und einer schöneren Gestaltung des Vaterlandes in den Herzen des Volkes auf echte Bürgertugend zu bauen, scheint es sehr geeignet, demselben Bilder aus der Vergangenheit vorzuführen, besonders aus einer jüngst entschwundenen Zeit, die den Grundstein zu dem Streben gelegt hat, welches eben den besseren Theil der deutschen Nation erfüllt. Es ist aber auch eine Pflicht der Dankbarkeit, der herrlichen Ahnen zu gedenken, der Männer und Frauen, die ihr irdisches Gut und ihr Leben für nichts geachtet haben, als das Vaterland verlangte, dieses für seine Wohlfahrt hinzugeben.

Doch nicht allein darum führen wir heute dem Leser das hehre Bild eines echten deutschen Fürstensohnes, der seine Liebe zu seinem Vaterlande mit dem Tode besiegelt hat, vor die Seele, sondern auch darum, weil uns in den Anschauungen und Aussprüchen desselben eine so echte Bürgertugend entgegenleuchtet, wie wir sie auch in der Jetztzeit in jedes deutsche Herz fester und fester einpflanzen möchten, weil seine gelegentlichen Aeußerungen treffend Verhältnisse berühren, die jetzt noch bestehen – und endlich auch, weil dieser Fürstensohn, fürchten wir, von Wenigen aus seinem eigenen Stande durch ein ehrenvolles Andenken als Vorbild eines echten deutschen Fürsten, wie er sein soll, geachtet wird. Aus den Mißhelligkeiten, die ihm im Leben für seine Anschauungen bereitet wurden, müssen wir leider auf die Gegenwart schließen. So mag sich denn ein dankbares Volk um so inniger des hehren Fürstensohnes, an dem Bild seines Lebens und seiner Gesinnungen erfreuen und von seinem Geist etwas in den eigenen herübernehmen.

Es ist der Prinz Victor von Neuwied, er, dem, wie die Zeitungen berichten, demnächst in Neuwied ein Denkmal erstehen wird. Er war unter neun Kindern des Fürsten Friedrich Karl (geb. 1741) und der Fürstin Marie Louise (geb. 1747, vermählt 1766) der zweitjüngste Sohn (geb. 6. Novbr. 1783). In der Erziehung dieses Fürsten zeigt sich wieder der Einfluß, den eine treffliche, verständige Mutter auf ihre Kinder auszuüben vermag. Sie pflanzte demselben nicht allein frühzeitig einen ernsten Eifer für Kunst und Wissenschaft ein, sondern auch eine innige Liebe zu dem Vaterlande. Sie benutzte die Tradition des Fürstenhauses nicht, ihrem Kinde jenen hohlen Adelsstolz einzupflanzen, der so gar nicht mehr in unsere Zeiten paßt und nur noch ein Gefühl des Mitleids erweckt, sondern zur Pflege ritterlicher Tugenden und sittlicher Größe. Wie diese deutsche Frau, deren Andenken wir mitehren wollen, dachte, dafür mögen ihre eigenen Worte zeugen.

Im Jahre 1801 war Prinz Victor von Neuwied als Stabscapitain bei dem Regiment Erzherzog Karl in die österreichischen Kriegsdienste getreten, sowohl durch große Geistesgaben, wie körperliche Schönheit ausgezeichnet. Er trat dort ein, begleitet von den sittlichen Rathschlägen einer theuren Mutter, die sie dem scheidenden Sohne mitgab:

„Handle, wie Einer, der Gott und Unsterblichkeit glaubt, d. h. lebe rechtschaffen und tugendhaft. Sei Deiner Pflicht getreu. Thue Recht in allen Stücken und gegen alle Menschen. Liebe die Wahrheit. Sei treu in Deinen Zusagen, dankbar gegen Freunde und Wohlthäter, verschwiegen, vorsichtig. Vor Lastern brauche ich den sich seiner Menschenwürde bewußten Jüngling nicht zu warnen. Du weißt, wie unglücklich die Wollust macht und wie gefährlich der erste Schritt dazu ist. Fliehe, wie die Pest, Alles, was dazu Gelegenheit giebt. Schaffe Dir gute und belehrende Bücher an und verwende die Dir vom Beruf gelassenen Stunden auf’s Lesen derselben. Suche die Bekanntschaft der besten Menschen aus allen Ständen; kurz, lerne, wo Du lernen kannst. Den Umgang edler, wohlerzogener Frauenzimmer suche ja auf; sie tragen sehr viel zur Bildung eines jungen Mannes bei. Erlaube Dir keine Nachlässigkeiten in ihrer Gesellschaft. Sei höflich, aufmerksam, beleidige nie. Verbanne alle Zweideutigkeiten aus Deinen Gesprächen, – dies aber auch in Männergesellschaften. Werde ein Jüngling, an dem alle Guten ihre Lust sehen, dessen Mutter alle Mütter beneiden müssen.“

Der Prinz machte nun den Krieg von 1805 mit. Wir entnehmen aus einem Briefe, den er am 18. September an seine Mutter schrieb, eine Stelle, die ein schönes Licht auf die Vaterlandsliebe des jungen Officiers wirft:

„Es ist unverzeihlich, wenn Preußen noch immer ruhig zusehen wollte. Was wird noch aus dem Vaterlande werden? Ringsum Disharmonie unter uns! Wenn doch ein Bernhard von Weimar aufstände, der alle Tapfern vereinigte, um den uralten Namen zu erhalten! Ich glaube, die allereingefleischtesten … müssen sich doch erinnern, daß wir eine Sprache sprechen und daß der Verlust der deutschen Ehre auch ihr eigener Verlust ist. Denken Sie sich unser schreckliches Loos, wenn es zu einer Theilung käme und wir sollten den Schimpf erleben, unter französische Herrschaft zu gerathen! Oesterreichische oder preußische Oberherrschaft wäre viel leichter zu ertragen und eine Theilung unter diesen beiden Mächten eher zu wünschen. Sie würde auch vor der Nachwelt keinen Schandfleck auf die Nationalehre werfen, da wir von den eigenen Landsleuten beherrscht würden. Wir wären doch vor der schimpflichen Behandlung unserer Nachbarn sicher und das Interesse zerfiele nur in zwei Theile, wo es jetzt in vierhundert (reichsunmittelbare) Gebiete zerfällt. Die Zukunft geht mit großen Dingen schwanger, allein ich glaube, daß sie auf keinen Fall die Lage des Reichs verbessern werden. Wenn man Grundsätze hat und diesen treu bleiben will, so kann man in dieser Lage nichts Anderes thun, als sich an das Reichsoberhaupt und an seine kriegerischen Fahnen anschließen, für sein Land streiten und, wenn es das Schicksal will, dafür sterben, um sein trauriges Ende nicht zu überleben.“

Nachdem sich der Prinz in mehreren Gefechten ausgezeichnet, wurde er in der Schlacht bei Ulm, die durch Mack verloren ging, gefangen. Den Anfang des Frühlings 1806 brachte er dann in Neuwied bei der Mutter zu und begab sich darauf nach Wien zurück.

Sehr wichtig und für unser ernstestes Nachdenken wohl geeignet ist seine Anschauung über die neuere Art der Kriegführung. Er sagt darüber:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_408.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)