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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

abermals gelöscht. Nun fehlte es aber Baring’s Leuten fast gänzlich an Patronen; der Feind, dies merkend, griff desto kühner an. Er brach keck in eine der Thüren ein, allein die Eindringlinge wurden durch Bajonnete getödtet. Da erstiegen die Franzosen die Mauern und Dächer und schossen von da sicher auf Baring’s vertheidigungslose Leute. Dann drangen sie auch durch die große offene Thür der Scheune, und Baring, welcher jetzt sich nicht mehr halten konnte, beorderte seine Leute, sich durch die enge Flur des Hauses zurückzuziehen und im Garten zu sammeln. In dieser engen Passage wurden Viele, Freunde und Feinde, getödtet, und im Garten blieb ihm nichts Anderes übrig, als die ihm zu Hülfe geschickten Leute einzeln nach ihren Corps sich zurückziehen zu lassen. Er selbst begab sich mit dem geringen Reste seines Bataillons nach dem Hohlwege nahe der Meierei und schloß sich den zwei Compagnien des ersten leichten Bataillons der englisch-deutschen Legion unter dem Obrist-Lieutenant von Busche an, der diesen Paß vertheidigte.

An diesem Hohlwege begann der Kampf von Neuem, denn Napoleon lag Alles daran, durch Ney, „le plus brave des braves“, das englische Centrum zu sprengen und so die Hülfe der Preußen abzuschneiden. Jetzt sah Baring zuerst seinen Freund, den Capitain Marschalk, fallen, dann den Lieutenant Albers, dann zwei andere seiner Cameraden, die den Leuten Muth einsprachen, schwer verwundet. Ihm selbst wurden vier Kugeln in den Sattel und der Hut vom Kopfe geschossen. Die französische Reiterei, die der im Hohlwege versteckten kleinen Schaar bis auf zwanzig Schritt im Galopp sich näherte, erhielt jedoch eine solche Salve, daß sie in Unordnung zurückstob. Neue Infanterie bedrängte jetzt aber aus dem genommenen la Haye Sainte die Vertheidiger des Passes. v. Alten wurde dabei so verwundet, daß er vom Schlachtfelde weggetragen werden mußte; Baring wurde sein drittes Pferd unter dem Leibe erschossen, und dieses drückte sein linkes Bein so tief in den durch Regen erweichten Lehmboden, daß es ihm unmöglich war, sich wieder loszumachen. Man hielt ihn für todt. Endlich, unterstützt durch einen seiner Leute, kroch er bis zum nächsten Bauernhause, wo ein mitleidiger Engländer ihm ein neues Pferd einfing und hinaufhalf. Er ritt zurück, fand indeß den Hohlweg, der unterdeß wegen Mangel an Munition von der deutschen Legion ebenfalls hatte aufgegeben werden müssen, verlassen, hörte von einem ihm begegnenden Officier, daß auch Ompteda gefallen sei, und wurde so in die traurigste Stimmung versetzt; aber unmittelbar darauf erscholl ein allgemeiner Ruf Victoria! Victoria! und Vorwärts! Vorwärts! Welcher Wechsel der Situation! Baring, „der noch keine Leute wieder hatte“, denn von seinen vierhundert Tapfern waren nur zweiundvierzig bei der Einnahme von la Haye Sainte noch übrig, und auch diese waren jetzt nicht mehr bei ihm, schloß sich dem ersten Husarenregimente an, welches den Feind verfolgte, kehrte Abends auf das Schlachtfeld zurück, schlief auf einem Bündel Stroh zwischen einem gefallenen Soldaten und einem todten Pferde und begrub mit den Seinen am andern Morgen seine tapfern Cameraden und werthen Freunde, worunter auch der Oberst v. Ompteda sich befand. Von fünfundzwanzig seiner Officiere, welche die nun wiedergenommene Station la Haye Sainte mit ihm vertheidigt hatten, waren ihm nur neun übrig geblieben.

Dies ist die kurze, größtentheils aus seiner eigenen Feder geflossene Erzählung von der Vertheidigung der Meierei la Haye Sainte, welche der That eines Leonidas und seiner dreihundert Spartaner an die Seite gestellt werden kann.

Unsere Leser wissen, daß es Blücher war, der die Entscheidung des großen Tages brachte – obschon man auch in deutschen Geschichtbüchern leider die Schlacht noch immer nur nach dem Dorfe zu nennen pflegt, wo der englische Heerführer sein Hauptquartier hatte. Es war fünf Uhr, als Blücher’s Kanonen zuerst von Frischermonts Höhen donnerten, damals noch von der französischen Armee für die Kanonen Grouchy’s gehalten. Daher Napoleon’s letzter gewaltiger, aber doch vergeblicher Versuch, das englische Centrum zu sprengen. Aber erst um sechs bis sieben Uhr konnte die Hauptmacht der Blücher’schen Truppen ankommen, gerade zu der Zeit als la Haye Sainte aufgegeben werden mußte, doch die deutsche Legion im Hohlwege sich noch hielt. Jetzt erst führte Napoleon seine alte Garde gegen Blücher in’s Feuer. Vergebens! Auch diese wurde geschlagen. Um acht Uhr Abends reichten sich Blücher und Wellington in dem Hauptquartier des nun flüchtigen Napoleon’s die Hand, und Blücher konnte am folgenden Morgen an seinen alten Freund Knesebeck schreiben: „Mein Freund. Die Schönste Schlagt ist geschlagen. Der herrlichste Sieg ist erfochten. Das Detallie wird er volgen, ich denke, die Bonapartische Geschichte ist nun wohl für lang wider zu ende. La Bellalliance, den 19. früh. Ich kann nicht mehr schreiben, denn ich zittre an alle glieder. Die anstrengung war zu groß.“

Wir fragen noch einmal, was wäre geschehen, wenn der tapfere Baring seinen Posten nicht so lange gehalten hätte? Welchen andern Ausgang dürfte die Schlacht, welche andere Gestaltung vielleicht das Schicksal Europas erhalten haben?

Die Belohnung erfolgte auch schon auf dem Schlachtfelde. Baring erhielt für seine kräftige Mitwirkung einen Orden[1] und wurde zum Obristlieutenant ernannt. Seine nachherige Laufbahn nach geschlossenem Frieden fassen wir in wenig Worte zusammen.

Baring, jetzt vierzig Jahr alt, wurde nach seiner Rückkehr in seine Vaterstadt hochgeehrt, in den Freiherrnstand erhoben und zum Obristen avancirt. Im Jahre 1832 wurde er General-Major und Commandant von Hannover, welchen Posten er, geehrt und geliebt von seinen Cameraden und dem Volke, sechzehn Jahre lang verwaltete. Im Jahre 1836 erhielt er bei Gelegenheit seines fünfzigjährigen Dienstjubiläums vom Könige Wilhelm dem Vierten von England einen Ehrensäbel und einen ähnlichen von seinen Officieren. Im Jahre 1846 wurde er Generallieutenant.

Sein Tod erfolgte am 27. Februar in Wiesbaden, wohin er sich zur Wiederherstellung seiner Gesundheit mit den Seinigen begeben hatte, am Schlage. Seine Bestattung geschah unter soldatischen Ehren, auch im Beisein von mehreren Nassauern, welche er vor dreiunddreißig Jahren in la Haye Sainte zur tapfern Mitvertheidigung dieses wichtigen Postens durch Wort und That angefeuert hatte und die damals zufällig sich in demselben Bade mit ihm befanden. Möge das Beispiel dieses eben so tapferen wie rechtlichen und bescheidenen Mannes unsere Jugend, wenn es früher oder später einmal wieder Noth thun sollte, zu ähnlichen Thaten entflammen!




Blätter und Blüthen.


Aus Mendelssohn-Bartholdy’s Leben. Unter den großen Componisten unserer Zeit steht wohl keiner dem Herzen des deutschen Volkes näher und ist ihm schwerlich einer lieber, als Mendelssohn-Bartholdy. Die Erinnerung an ihn bleibt uns theuer nicht blos um seiner Tonschöpfungen willen, die jedes edlere Gemüth erfreuen und erheben, sondern namentlich auch um des Charakters willen, den er überall geoffenbart. Wir wollen hier von dem Werth der Mendelssohn’schen Compositionen nicht sprechen; der Zweck dieser Zeilen ist vielmehr nur der, einen Zug aus dem Leben dieses Mannes der Vergessenheit zu entreißen und ein spätes Kränzchen auf sein Grab zu legen.

Es war im heißen Sommer von 1842, als im Züricher Tagblatt unter den Namen der angekommenen Fremden eines Tages auch Mendelssohn-Bartholdy’s Name stand. Kaum war seine Anwesenheit bekannt, so beeilten sich die hervorragendsten aus der namhaften Zahl der Züricher Musiker und Musikfreunde, den Künstler in seinem Gasthofe zu besuchen und ihn in einzelne gewählte Kreise einzuladen. Mendelssohn wies diese Einladungen eben so höflich wie entschieden zurück. Seine Gesundheit war damals schon angegriffen, eine Schweizer Reise sollte ihm zur Erholung und Stärkung dienen, und die Aerzte hatten ihm jede ernstliche Thätigkeit auf’s Strengste untersagt. Da machte ihm auch der Director des dortigen Blinden-Instituts seinen Besuch und stellte ihm vor, daß in seiner Anstalt einige musikalisch begabte Zöglinge sich befänden, die sich schon mehrfach und mit Beifall von Seiten des Publicums im Setzen von Liedern, Chören etc. versucht hätten, daß ihm aber alles daran liegen müsse, das Urtheil eines so kompetenten Richters zu vernehmen sowohl über ihre Begabung als über ihre seitherigen Arbeiten. „Ich habe andere Einladungen zurückgewiesen,“ erwiderte der Künstler, „aber zu Ihren Blinden werde ich kommen.“ Und in der That, er kam. Der Anblick der Blinden ergriff ihn, und nachdem er sie auf’s Freundlichste gegrüßt, wurden ihm einige ihrer Compositionen vorgetragen. Mit sichtlichem Interesse, ja mit Rührung hörte er, die Partitur in der Hand, den Blinden zu und namentlich ein größerer Chor war’s, der ihm wohl gefiel. Nachdem er sein Lob ausgesprochen und einige Stellen als besonders gelungen hervorgehoben hatte, äußerte er gegen den Director, daß an der Begabung der Componisten nicht zu zweifeln sei, und ermahnte die letzteren, eifrig fortzuarbeiten und

sich an ernsthafte Texte zu halten. Eine in der Partitur angebrachte Correctur

  1. Welcher Orden dies war, gerieth selbst bei der Familie später in Vergessenheit. Der bescheidene Mann sprach so wenig von seinen Auszeichnungen, daß er nur im Allgemeinen sagte: „Er habe seine Orden redlich verdient.“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_415.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)