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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 27. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Balbina.
Sittenbild aus unsern Tagen.
Von Franz Hedrich.
1.

Die Burgsau ist ein lachendes Hochthal, im länglichen Kreise von majestätischen Bergkolossen eingeschlossen. Da, wo das Thal allein einem Fuhrwerke zugänglich ist, an einem steilen Hohlwege liegt der Markt gleichen Namens. Der kleine, allem Weltverkehr entlegene Ort besteht aus lauter hölzernen Häusern, von welchen sich die vornehmsten entweder nur durch die geringere Baufälligleit oder eine größere Fülle primitiver Ornamentik und mehr hingekleckster, als gemalter Heiligenbilder auszeichnen.

Seitwärts auf einer Anhöhe, in der Gestalt einer abgestumpften Pyramide, erhebt sich eine alterthümliche, graue Mauermasse, einer Citadelle vergleichbar und groß genug, um dem ihr zu Füßen liegenden Orte ein solideres Material zum vollständigen Umbaue zu liefern.

Es ist das fürstliche Schloß, ein Ueberbleibsel aus der Feudalzeit, welchem von seiner ehemaligen Herrlichkeit nichts übrig geblieben ist, als der Besitz der Patrimonial-Gerichtsbarkeit, und selbst diese war zur Zeit, da die nachfolgende Geschichte gespielt, ihrem Verscheiden schon sehr nahe.

Der Fürst, kein Freund eines idyllischen Gebirgsaufenthaltes, hatte, obgleich er schon seit dreißig Jahren Majoratsherr war, seine schöne Herrschaft Burgsau noch nie betreten und auch nur selten seinen übrigen Schlössern die Ehre seines Besuches erzeigt, da er sich nur in dem Luxus der Weltstädte behaglich fühlte. Sein Hofrath, Herr von Zintner, schaltete und waltete diese ganze lange Zeit über als oberster Verwaltungschef und Gerichtsherr, so daß sich die Bevölkerung daran gewöhnt hatte, den Stellvertreter des Fürsten gewissermaßen als den regierenden Herrn anzusehen.

Der Hofrath, bereits ein Siebenziger, war ein feiner, ästhetischer Epikuräer: Wohlleben war für ihn das höchste menschliche Ideal, welches er aber auch vollständig erreichte. Geschäftssorgen kannte er nicht, er ließ Alles beim Alten und seine Berufspflichten waren damit erfüllt, daß er die Maschine durch die nöthige Zahl von Unterbeamten im Gange erhielt und zu Zeiten eine seiner Mußestunden opferte, um eingelaufene Gesuche, die unmöglich länger aufzuschieben waren, zu erledigen und angeklagte Unterthanen zu verhören und zu richten.

Dieser bureaukratische und richterliche Theil der Stellung war derjenige, welcher dem Hofrath am schwersten fiel, nicht weil er ihn mit Arbeiten überbürdete, sondern weil der gestrenge Herr für die bagatellmäßigen Anliegen der Bauern gar kein Verständniß hatte und im Gefühle seiner Vornehmheit und seines Ranges fast die Berührung mit dieser schlichten Menschenclasse scheute. In einer Gegend, deren Bevölkerung das vollkommenste Still- und Gewohnheitsleben führte und in ihrem primitiven Zustande nächst Gott den Pfarrer und den Hofrath als die höchsten Wesen verehrte, gab es wahrlich keinen Luxus von Streit- und Justizfällen, welche überhaupt nicht in der Abgeschlossenheit der Berge, sondern da, wo reger Handel und Verkehr ist, ihren fruchtbaren Boden haben. Hier in der Burgsau ging man nur selten und nur nothgedrungen zu Gericht, und was da vorkam, bewegte sich in dem alltäglichsten Geleise, gerade wie das einfache und anspruchslose Gebirgsleben der Bewohner, ohne die Obrigkeit zu belästigen oder in besonderem Maße geistig anzustrengen.

Der Himmel weiß aber, wie der Hofrath mit diesem Theil seiner Amtspflichten fertig geworden wäre, wenn ihm das Schicksal nicht in der Person seines Gerichtsdieners einen Mann an die Seite gestellt hätte, welcher seine Gensd’armerie, sein Instructionsrichter, sein Staatsanwalt, seine Jury, sein Strafvollstrecker, oft Alles gleichzeitig bei einem und demselben Gerichtsfalle war.

Dieser Mann hieß Grüneisen und war ein alter, ausgedienter Corporal von dürrer Mittelgestalt, einem ordinären, aber biedermännischen Gesichte, welchem der borstige Schnurrbart, die buschigen Augenbrauen und die zerrauft über die Ohren herabhängenden Büschel, welche sein Kopfhaar vorstellten, einen Ausdruck von Wildheit verliehen. Er war auch ein Choleriker, aber streng rechtlich und gerecht, insoweit Heftigkeit und eine nicht geringe Beschränktheit, wie die seinige, jederzeit gerecht sein können. Seinen messingbeschlagenen Stock, den er beständig schwang und zwischen den Händen drehte, schien er sich von seiner militärischen Vergangenheit her als organischen Bestandtheil seines Wesens angeeignet zu haben.

Es war ein heißer Julitag. Der Hofrath hatte sich bequemt, wieder einmal im Gerichtssaale zu erscheinen. Seit frühem Morgen hatte er sich geplagt und auch die Streithändel einer bedeutenden Anzahl von Parteien entschieden. Mittagszeit war vom Kirchthurm längst verkündigt worden, aber es war ihm noch immer nicht vergönnt, sich in die liebliche Stille seiner Gemächer zurückzuziehen, denn es war noch der peinlichste Rest der Gerichtssession, mehrere Erkenntnisse rein strafrechtlicher Natur zu Ende zu führen.

Ein Handwerksbursche, der es gewagt hatte, mit einem abgelaufenen Wanderbuche in der Fremde zu existiren, sollte in seinem wilden Freiheitslaufe noch auf die Bahn der Polizeiordnung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_417.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)