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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

zurückgebracht werden; ein Knecht, welcher, der Vorschrift entgegen, einen Abhang ohne Radschuh hinabgefahren war, mußte für die mißkannte Fürsorge der Obrigkeit, welche nur seinem eigenen Halse und seinen eigenen Knochen gegolten, exemplarisch bestraft werden, und endlich war noch eine Verbrecherin da, ein altes Weib, welches im herrschaftlichen Walde eine Schürze voll Laubstreu gesammelt hatte, um der Hausziege ein weiches Lager zu bereiten.

Als auch diese aufregungsreichen Verhandlungen mit des Himmels und Grüneisen’s Hülfe überstanden waren, schloß der Hofrath die Schubläden seines Secretairs für längere Zeit wieder zu und warf sich, nur Grüneisen’s Rückkehr erwartend, der die Waldfrevlerin escortirt hatte, in den weiten Lehnstuhl. Sein glatt rasirtes, wohlerhaltenes und wohlgeformtes Gesicht und seine nicht dicke, doch abgerundete Gestalt verriethen eine eigenthümliche Verweichlichung; indeß blieb es nicht räthselhaft, warum der alte Herr den ganzen Tag lang fahren, jagen und bis in die späte Nacht tafeln konnte, aber der geringsten ernsten Arbeit erlag. Stirn, Wangen bis an’s Kinn hinab waren mit Runzeln bedeckt, doch hinter jeder derselben schien schmunzelndes Wohlbehagen zu lagern.

Die Thür that sich nach ein paar Minuten auf, Grüneisen erschien. Der Hofrath erhob sich wie auf ein Signal zur Mittagstafel.

„Euer Gnaden,“ sprach Grüneisen eintretend mit sehr verdrießlicher Miene, „wir sind noch nicht fertig –“

„Was?“ rief der Hofrath zusammenfahrend.

„Eine Partei wartet noch draußen,“ fuhr der Gerichtsdiener fort, „eigentlich gesagt, zwei.“

„Daraus kann nichts werden,“ rief der Hofrath im vollsten Schrecken und wollte aus dem Gerichtssaale fliehen.

„Euer Gnaden haben zu befehlen,“ sprach Grüneisen mit scheinbarer Ergebung, „aber dann werden wir die Leute jeden Tag auf dem Halse haben; es sind Brautleute und die haben es sehr dringend.“

„Wer ist es denn?“ fragte der Hofrath sehr desperat.

„Der Stegwirth und Leonhard vom Unteranger,“ begann Grüneisen, als ihm der Hofrath schon dazwischenfuhr, indem er ausrief:

„Die haben ja bereits ihre Heirathsbewilligung, womit kommen sie denn noch? um mich todtzuplagen?“

„Ich weiß nicht,“ brummte Grüneisen, welcher es wirklich nicht wußte, aber doch die Audienz zu Stande bringen wollte, nicht aus Amtseifer, sondern aus Rücksicht auf den Stegwirth, bei welchem er des Jahres manches Gläschen Bier und Schnaps unentgeltlich leerte. „Etwas wegen Grundstücken, so habe ich halb und halb gehört; die Leute haben sich so rasend lieb und wollen sich vermuthlich noch Etwas zuschreiben.“

„Die Angelegenheit hat mir schon so viel Mühe gemacht,“ sprach der Hofrath, die Stirn reibend, „doch weiß ich nicht mehr, wen die beiden Burschen heirathen! Helf’ Er meinem Gedächtniß ein Bischen auf die Beine!“

„Na,“ erwiderte Grüneisen, „der Stegwirlh nimmt die Balbina vom Oberanger, das schönste Mädchen im ganzen Pfarrbezirk, und Leonhard nimmt die Brigitte, die Tochter vom Stegbauer, über die sich nur sagen läßt, daß sie nicht übel ist und eine eben so schöne Aussteuer hat, wie die Andere.“

„Richtig, richtig,“ murmelte der Hofrath.

„Da dächt’ ich nun,“ fügte Grüneisen wärmer hinzu, „Euer Gnaden sollten die Leute doch vorlassen, damit die Sache in Ordnung kommt; sie haben sich so lieb und haben eine höllische Mühe gehabt, ehe sie es so weit gebracht haben!“

„Ich sehe,“ versetzte der Hofrath einlenkend, „daß ich doch nicht früher zum Mittagstisch komme! Also schnell herein mit ihnen, aber, hör’ Er, wir wollen es kurz machen, recht kurz!“

Er nahm seinen Richterstuhl wieder ein. Der Gerichtsdiener ging, mit seinem Erfolge zufrieden, an die Thür und rief laut, nachdem er geöffnet:

„Ihr dürft hereinkommen, aber müßt Euch kurz fassen, sonst kommt unser gnädigster Herr vor lauter Verhören heute nicht zum Mittagsessen!“

Die beiden Brautpaare traten mit dem gedrückten Ernst, der den Bauern in der Kirche und im Amtssaale eigen ist, ein. Die Mädchen blieben dicht an der Thür, die Männer hatten sich kaum zwei Schritte weiter vorgewagt. Der Anzug Aller bezeugte, daß sie aus wohlhabenden Häusern waren. Die beiden Männer, ungefähr dreißig Jahre alt, hatten schwarze Sammtjacken mit dicken Seidenschnüren und funkelnagelneue Filzhüte mit schweren, echten Goldtroddeln, die Mädchen waren gleichfalls im Sonntagsstaate, sie trugen seidene Jacken, weite Schürzen von schwerster Seide, Hauben von Golddraht, der Hals war mit Perlenschnüren und Goldmünzen überladen.

Der Hofrath war plötzlich aufgestanden und näher gekommen. Seine Mienen waren die freundlichsten, doch war es nicht herablassendes Entgegenkommen gegen die schüchternen Unterthanen, sondern eine Folge der Anziehungskraft, welche Balbina’s hohe, reizende Gestalt und ihr madonnenähnliches Gesicht auf den hochbetagten Kenner weiblicher Reize ausgeübt hatten.

„Was giebt es noch immer?“ redete der Hofrath die Leute überaus leutselig an. „Ich hätte geglaubt, daß Ihr Euere kirchlichen Aufbietungen schon längst gehabt habt!“

„Wir haben es ganz verkehrt angefangen, Euer Gnaden,“ erwiderte der Stegwirth, ein unansehnliches Männchen, mit einem gewissen Humor, „und kommen auch deshalb, um zu bitten, daß Sie es, Euer Gnaden, mit ein paar Federstrichen wieder repariren!“

„Was denn, was denn?“ fragte der Hofrath, der in dem Gesagten keinen Sinn fand, stutzig.

„Ich muß nämlich Leonhard’s Mädchen, die Brigitta, heirathen,“ fuhr der Stegwirth fort, „und Leonhard die meinige.“

„Macht Er Spaß oder ist Er verrückt?“ rief der Hofrath, Grüneisen, der hinter ihm stand, einen Blick größter Verwunderung zuwerfend.

„Kein Spaß!“ versetzte der Stegwirth sehr ernst. „Wie würde sich unser Einer erfrechen, vor Euer Gnaden einen Spaß zu machen! Es ist so. Ich muß die seinige und er die meinige kriegen, und so hätte es von allem Anfang an gekommen sein sollen, damit Euer Gnaden selbst die kleine Mühe erspart worden wäre, welche es kostet, um in unseren Heirathsgesuchen die Namen der beiden Mädchen umzuschreiben.“

Er zog bei den Worten die betreffenden Papiere aus dem Innern der Jacke hervor.

Leonhard, ein bildschöner Mann von sehr hoher Gestalt, der bisher mit eigenthümlicher Apathie dagestanden hatte, rührte sich in dem Augenblicke und zog gleichfalls seine Papiere hervor.

Die Mädchen blickten stumm und reglos, wie bisher, vor sich auf den Boden. Diese Haltung aller Vier verrieth offenbar das vollkommenste Einverständniß.

„Wenn ich Euch nicht so vor mir dastehen sehen würde,“ sprach der Hofrath, die Hände zusammenschlagend, „so würd’ ich glauben, daß ich falsch und ganz unrecht gehört habe! Jetzt versteh’ ich erst, was Ihr verkehrt angefangen heißt! Das ist doch – aber ich fahre schon darüber so auf, ehe ich noch weiß, was Euch dazu gebracht hat! Die Gründe! die Gründe! –“

„Sie haben es errathen, gnädigster Herr,“ versetzte darauf der Stegwirth rasch und erfreut, „und darum werden Sie uns gewiß Recht geben. Ja, die Gründe! Ganz recht, deswegen geschieht’s! Meine Gründe grenzen gerade an die des Stegbauers, und der Unteranger, der dem Leonhard gehört, und der Oberanger, wo Balbina her ist, hängen aneinander und sind zwei Hälften, die eigentlich ein einziges Stück sein sollen. Der Gründe wegen sind wir für die Kreuzheirath und ich muß die Brigitta heirathen und mein Camerad Leonhard meine frühere Braut Balbina. Dann ist unser Besitzstand schön beisammen und wir sind, wie man im gelehrten Hochdeutsch sagt, ganz und gar arrondirt!“

„Ist Er zu Ende?“ schrie der Hofrath, welchem vor Aufregung die Zähne gegeneinander anstießen und die Hände zitterten.

„Wo hat Er die Unverschämtheit her, einen solchen gemeinen Tauschhandel hier in der fürstlichen Amtsstube vor meinen Augen aufzudecken und mir in’s Gesicht zu sagen, daß ich Euch Recht geben werde? Ihr zeigt einen Stumpfsinn und eine Habgier, daß so Etwas nicht unter den Wilden vorkommen könnte! Aber das scheint Ihr weder zu fühlen, noch zu wissen! Wenn man Euch sieht und hört, glaubt man Klötze, nicht Menschen, vor sich zu haben!“

„Aber ich begreife nicht –“ fing der Stegwirth an, indem er mit stupider Verwunderung seine Genossen anblickte, als ihm der Hofrath das Wort heftig abschnitt.

„Genug!“ rief er. „Ich werde heute vor Aerger keinen Bissen mehr hinabbringen! Und das hätt’ ich mir erspart, wenn ich mir nicht von Grüneisen so viel hätte zureden lassen! Was hat Er mir vorhin vorgeschwätzt?“ wandte er sich an den Gerichtsdiener, der seither mit offenem Munde, vor Ueberraschung starr, dagestanden hatte. „Was soll ich künftighin von Seiner Ansicht und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_418.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)