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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

J. D. H. Temme.

Die Bestrafung von Justizbeamten wegen öffentlicher Aeußerung oder Geltendmachung ihrer politischen Ueberzeugungen ist seit der Vertagung des vorletzten Landtags stehender Artikel in den preußischen Zeitungen geworden. Während der Eine mit einem Verweise davonkommt, trifft den Andern Versetzung mit oder ohne Gehaltsverminderung, den Dritten eine Geldstrafe, den Vierten Absetzung etc. Die Mannigfaltigkeit der Strafmaße wird zwar immer überraschender, doch die Zahl der Opfer des Systems auch täglich größer, und hierin anerkennen wir einen wichtigen Fortschritt, insofern man allen unabhängigen Justizbeamten, wenn auch nicht in gleichem Maße, gerecht zu werden versucht.

Schreiender war das System in seinen Anfängen, als man noch einen Einzigen aus der großen Anzahl Gleichbetheiligter sich herausholte und ihn mit der ganzen Wucht langgenährten Hasses niederwarf. Ein solcher war der preußische Abgeordnete und ehemalige Oberlandesgerichts-Director Temme, dessen Leben wir den Lesern der „Gartenlaube“ erzählen wollen, denen er ja durch so manchen novellistischen Beitrag ein alter, lieber Bekannter ist.

Wem Vorrechte der Geburt oder erbliche Anlagen von vornherein seine besondere Stellung in der Gesellschaft angewiesen, der hat keinen Anspruch darauf, ein außerordentliches Gewicht auf seine lange Ahnenreihe von Regenten, von Musikern, Schauspielern oder Malern zu legen. Die Erscheinung solcher Successionen ist zu alltäglich. Sie erfolgen fast unabhängig von dem Willen der betreffenden Personen, die gewissermaßen einem unabweisbaren Schicksalsspruch gehorchen. Doch hat es eine höhere Bedeutung, wenn von Jahrhundert zu Jahrhundert in bürgerlichen Familien Generationen von Aerzten, Predigern, Naturforschern, Pädagogen, Richtern aufeinander folgen. In diesem Falle wird der Beruf des Vaters vom Sohne als eine geheiligte Würde bevorzugt, welche mit der Würde und Ehre der Familie in innigstem Zusammenhange steht und ihr ein so stolzes Bewußtsein verleiht, wie nur je eine Reihe königlicher Ahnen es vermöchte.

Jodocus Temme stammt aus einer alten westphälischen Familie, welche der rothen Erde schon eine große Anzahl angesehener Juristen gestellt hat. Am 22. October 1799 wurde er zu Lette in der Grafschaft Rheda geboren. Sein Vater, Amtmann des Klosters Clarholz, in Gemeinschaft mit seinem Onkel, einem gelehrten katholischen Geistlichen, ertheilte ihm einen so vortrefflichen Privatunterricht, daß Temme schon im Jahre 1813 in die Prima des Gymnasiums zu Paderborn eintreten und im Herbste 1814 die Universität besuchen konnte. Er studirte in Münster und Göttingen und wurde 1817, im Alter von achtzehn Jahren, Auscultator bei dem Oberlandesgericht zu Paderborn und um Ostern 1819 Referendar. Im Jahre 1821 wurde er zum Assessor bei dem fürstlich Bentheim’schen Land- und Stadtgericht zu Limburg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_421.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2022)