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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 29. 1865.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Balbina.
Sittenbild aus unsern Tagen.
Von Franz Hedrich.
(Fortsetzung.)

Der Maler war bei den letzten Worten des Chirurgen vom Gerüste herabgestiegen und an den Tisch der Gäste gekommen. „Pah!“ rief er, „wie sollte ein so flotter, toller Kerl Franciscaner geworden sein!“

„Das denk’ ich mir auch,“ sprach der Chirurg, „drum eben und zugleich deshalb, weil der Franciscaner, wie mir vorkommt, viel schmächtiger und schmäler, beinahe abgezehrt aussah, hab’ ich es mir gleich ausgeredet.“

„Wie aber,“ sagte der Stegwirth, die Ohren spitzend, mit höchstem Interesse, „wenn er es doch gewesen wäre – ?“

„Du erschrickst ja gerade,“ bemerkte der Maler, „Ist er Dir vielleicht Etwas schuldig?“

„Leider,“ seufzte der Stegwirth. „Zehn Gulden sogar! Ich schreibe ungern Zechen auf – mein Sprüchwort kennt Ihr! Wie ich bei dem Kerl so viel habe stehen lassen können, noch dazu zu einer Zeit, da ich als armer Bierzapfer in der fürstlichen Brauerei jeden Pfennig selbst gebraucht habe, ist mein größter Schwabenstreich. Da ist er immer in meine Kammer gekommen und hat mich so beschwatzt. Dort könnt Ihr den Schlingel an der Wand sehen! Dort hat er sich mit der Kohle einmal selbst hingezeichnet.“

„Ich hab’ es gesehen,“ sagte Grüneisen. „Zum Sprechen ähnlich und mit wenigen Strichen –“

„Ja,“ fiel Schmierpeter in die Rede, „ein tüchtiger Maler wäre er geworden, wenn er länger bei mir geblieben wäre! Einen solchen Gehülfen hab’ ich nie im Leben gehabt. Flink war er, wie wenn er vier oder sechs Hände hätte, mit einem Wort ein Teufelskerl!“

„Der heilige Michael,“ sagte Geißbart, „den er auf das Pfarrgebäude gemalt hat, zeigt auch, daß er Etwas geleistet hat, was ihm nicht Alle nachmachen. Darüber sind alle Leute einig.“

„Das hab’ ich oft genug hören müssen,“ versetzte Schmierpeter. „Die dummen Leute bedenken aber nicht, daß er es in meiner Schule gelernt hat!“

„Noch einen Kümmel!“ rief Grüneisen.

„Mir auch!“ sagte Weißbart.

Während der Stegwirth einschenkte, erhob sich ein Geschrei, wie wenn ein Kind gespießt würde. Der Stegwirth. ganz erschrocken, ließ sich kaum die zum Einschenken nöthige Zeit, denn es war die Stimme des Zucker-Toni.

„Was giebt es denn wieder?“ schrie er durch das Fenster des Erdgeschosses in die Stube hinein, aus welcher der Lärm herausdrang. „Wozu lass’ ich Dich bei dem Buben sitzen, wenn Du ihn so schreien läßt?“

„Das ist nicht meine Schuld,“ tönte die Antwort der Kinderfrau heraus.

„Wessen sonst?“ fuhr der Stegwirth ergrimmt fort. „Spiel’ mit ihm besser, so wird er nicht auf’s Weinen verfallen!“

Zucker-Toni hatte indessen sein Geschrei nicht gemäßigt, sondern mit solcher Anstrengung gesteigert, wie wenn er sich die Lunge zerreißen wollte.

„Um Christi willen!“ rief der entsetzte Pflegevater aus. „Er thut sich einen Schaden! Thu, dumme Person, was er will!“

„Wie kann ich das?“ vertheidigte sich die Wärterin. „Er will aus dem Bette und das darf er nicht!“

„Das darf er freilich nicht,“ versetzte der Stegwirth. „Es ist ihm streng verboten, weil er sich sonst eine schwere Krankheit zuziehen kann! Hättest Du ihm ein Stück Zucker gegeben!“

„Er hat es weggeworfen,“ war die Antwort. „Da liegt es auf dem Boden.“

„Das ist ein Kreuz!“ wimmerte der Stegwirth, die Hände zusammenschlagend, seinen Gästen rathlos zugewandt.

„Ah,“ sagte der Chirurg, „dem Buben wird nicht so viel fehlen! Gewisse Leute machen aus einer Mücke einen Elephanten, blos um dann sagen zu können: ‚Da seht meine Wundercur!‘“

Auf diese Bemerkung, welche die ganze Bitterkeit erkennen ließ, daß Weißbart nicht der behandelnde Arzt im Hause des Stegwirths war, erwiderte der letztere:

„So glauben Sie, daß das Kind aufstehen kann? Es schreit sich todt!“

„Erkälten kann es sich heut nicht.“ gab der Chirurg zur Antwort, indem er sich die Schweißtropfen an der Stirn trocknete.

„Da laß ihn heraus!“ rief der Stegwirth der Kinderfrau zu, worauf einige Augenblicke später Zuckertoni barfuß, nur mit einem Höschen bekleidet, hervorgesprungen kam.

Es war ein hübsches, krankhaft lebhaftes Kind. Gewöhnlich blaß, war es heute bedeutend geröthet. Der Stegwirth war ihm zärtlich entgegengelaufen und hatte es an der Hand zu den Gästen geführt.

„Da sehen Sie, Herr Chirurg,“ sagte er mit jammervoller Stimme, „da sehen Sie, wie roth heute die Bäcklein meines Toni sind! Hat das Nichts zu bedeuten?“

„Das versteh’ ich nicht,“ versetzte der Chirurg mit unerbittlicher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_449.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)