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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

rohe, heftige Leidenschaften im Inneren ihr Wesen trieben. Das konnte der Fall sein, obwohl sich Balthasar des besten Rufes erfreute, weil er vielleicht mit dem Willen und Verstande, die auf seiner Stirn abgeprägt waren, alle derartigen Ausbrüche zu bekämpfen und niederzuhalten oder zu verheimlichen wußte. Man wird aber schwerlich fehl gehen und aus seinem Aeußeren, der Sprache und der ganzen Art und Weise falsch schließen, wenn man annimmt, daß man es mit einem ganz vollendeten Dorf-Cagliostro zu thun hatte.

Er war Junggesell, der seine Wirthschaft mit Hülfe einer alten Dienstmagd führte und außer seinem Berufe allen Umgang mit Anderen wohl aus der Berechnung vermied, daß ihm durch nähere Berührung der Menschen nicht der Nimbus des Wunderbaren vom Leibe gestreift werde.

Balthasar zerstampfte eben ein Ingrediens, das in den Kessel hineingehörte, als er draußen auf dem Hausflur hastige, starke und ihm unbekannte Tritte hörte, Leonhard trat bei ihm ein. Athemlos, die Thür noch in den Händen, ohne nur den Morgengruß angebracht zu haben, sagte er, während ihm aus dem Gesichte die höchste Erregung und aus den funkelnden dunklen Augen eine wilde Erwartung leuchtete:

„Mich hat es gar kein Auge zuthun lassen! Ich habe gestern gehört, daß der Zucker-Toni so krank ist, hättest Du vielleicht doch –“

„Kommst Du heute schon wieder damit?“ unterbrach ihn der Wunderdoctor höchst ungestüm. „Da verdientest Du schon, daß ich Dich bei Gericht anzeige oder mit einem Knittel zur Thür hinausprügle!“

„Mache keinen solchen Lärm,“ erwiderte Leonhard, weiter vortretend. „Warum könnt’ ich es mir nicht denken, da ich höre, daß der Bube auf einmal so krank wird?“

„Dummes Zeug!“ rief Balthasar. „Wer Dir das gesagt, hat selbst nichts gewußt oder Dich blau anlaufen lassen! Dem Kind ist nichts! Ich war gestern dort. Den Magen hat es ein Bischen verdorben und daran leidet es nicht von gestern und heute. Wenn sie es nicht mit süßen Sachen wieder überfüttert haben, so springt es wahrscheinlich heute schon wieder herum. Das hat gar nichts zu bedeuten – nichts!“

„Nichts!“ stieß Leonhard leise aus, indem er sich ganz niedergeschlagen niederließ.

„Gar nichts,“ fuhr Balthasar finster fort, „aber Deine miserablen Reden will ich niemals mehr hören! Sonst spann’ ich noch andere Saiten an. Ich bin da, um den Menschen zu helfen, nicht, um sie umzubringen! Ich weiß gar nicht, wie Du bei solchen Dingen auf mich verfällst, aber es muß Dich gerade der Teufel reiten, denn als so grundschlecht bist Du mir nicht bekannt!“

„Du stellst Dir gar nicht vor,“ gab Leonhard im Tone der Entschuldigung jammernd zur Antwort, „wie Einem ist, der so ganz verzweifeln muß, wie ich. Wenn mir jetzt auf dem Heimweg der leibhaftige Satan begegnet und zu helfen verspricht, ich erschrecke vor nichts und danke noch Gott dafür!“

„Du sprichst, daß es nur graust!“ sagte Balthasar. „Du mengst Gott und den Teufel zusammen. Mit Dir kann es nicht recht richtig sein!“

„Denke das nicht,“ versetzte Leonhard. „Ich weiß zu gut, woran ich bin. Ich weiß auch genau, was mein einziger und letzter Ausweg ist. Die Brigitta ist es! Die muß ich wieder haben und die nimmt mich wieder; sie hat es deutlich und klar genug gesagt – sobald der Stegwirth vom Wirthshaus gejagt ist und wieder Bierzapfer werden muß. Nur so geht es, nicht anders, sonst bricht das Eis unter mir. Dann kannst Du Dir den Schuldschein, den Du von mir hast, einrahmen!“

„Du malst Dir Alles schlimmer, als es ist,“ warf Balthasar, den Kessel vom Feuer setzend, hin.

„Das glaubst Du?“ rief Leonhard lebhaft. „Da irrst Du Dich! Mir bleibt nichts, kein Strohhalm! Das Hypothekenbuch allein frißt Alles! Frage den Amtsschreiber. Ich hab ihn abgeschmiert, damit er das Maul hält! Frag’ in meinem Namen an.“

„Krieg’ ich nichts von Dir, gut!“ sagte Balthasar. „Dann mache ich über meine Fünfhundert das Kreuz! Ich habe sie sauer zusammengespart. Gott Lob, ich kann mir mein Brod noch immer verdienen. Das ist mein Trost.“

„Du nimmst es leicht mit Deinem Gelde!“ rief Leonhard ein wenig spöttisch. „Sonst bist Du nicht so. Der Zimmermannsfrau hast Du wegen sieben Gulden das Bett weggepfändet. Das ist nicht so lange her!“

„Dich pfände ich allerdings nicht aus,“ sagte der Dorfarzt, „wie Andere, denn ich habe viel Gutes bei Deinem Vater genossen. Das hab’ ich immer vor Augen und lege mich nie zu Bett, ohne ein Vaterunser für ihn zu beten.“

„Mein Vater hat freilich viel für Dich gethan,“ sprach Leonhard. „Du bist eine schöne Zeit bei uns gewesen und gut gegangen ist es Dir auch. Ein Bettelbube bist Du gewesen und wärst mit der Zeit nichts als ein elender Vagabund geworden, wenn man sich nicht Deiner bei uns angenommen hätte; das hat meine selige Mutter oft genug gesagt. Durch meinen Vater bist Du Gemeindehirt geworden und dadurch Alles, was Du jetzt bist. Willst Du wirklich dankbar sein, so sind Deine Vaterunser das Allerwohlfeilste, was Du dabei herzugeben hast! Schau, Balthasar, der Zucker-Toni ist immerfort kränklich und wird es bleiben und doch nicht viel älter werden; sein Leben ist doch kein Leben – Du hast es so leicht, kein Hahn wird danach krähen.“

„Du thust meinen Ohren weh!“ sagte Balthasar, indem er sich vor den Verzweifelnden hinstellte mit bittend gefalteten Händen. „Nimm Deine Vernunft zusammen. Schlage Dir so schreckliche Dinge aus dem Kopf, willst Du aber um jeden Preis einem Malheur entgehen und Dir dafür ein siebenfaches auf den Hals laden, so wende Dich an irgend einen Galgenstrick, nicht an mich! Ich habe mich redlich durchgebracht und bin in Ehren grau und alt geworden. Hast Du je etwas Schlechtes von mir gesehen oder nur gehört, daß Du eine so fürchterliche Meinung von mir hast? Lieber wollt’ ich Dir mein Haus schenken und das Bischen, was ich habe, und von Waldwurzeln leben und in einem Dachsloche wohnen!“

„Geh!“ sagte Leonhard, durch den Widerstand aufgebracht. „Für so rein halt’ ich Dich freilich nicht! Ich weiß, warum, und man munkelt es auch und noch weit mehr.“

„Man munkelt freilich viel,“ unterbrach ihn der Alte sehr heftig, „aber das ist das alberne Zeug, das von den Chirurgen herrührt, von diesen Dumm- und Schröpfköpfen, von diesen Blutabzapfern und Bartkratzern! Wenn ich so wäre. wie Du denkst, warum würde ich Nein sagen und um meine fünfhundert Gulden kommen? Warum das Trinkgeld wegwerfen, das Du mir versprichst? Ich bin das nicht, was Du denkst! Da bist Du mit Deiner üblen Meinung an einen harten Stein bös angerannt! Und gerade von heute an sollst Du sehen, daß ich mir besondere Mühe nehme, den Zucker-Toni auf die Beine zu bringen. Der Bube ist kerngesund, leidet an nichts im Inneren, nur der Magen, der Magen! Das kommt aber von den Näschereien her und da soll es auch anders werden. Noch heute nehm’ ich den Stegwirth beim Ohr, und sobald der Bube erst wieder gehörig verdauen kann, wird er gesund und frisch, wie das Fischlein im Wasser. Jetzt hast Du es gehört!“

Nach diesen Worten ging er in die Nebenkammer, um sich anzukleiden, denn es war die Zeit, wo er bei den Patienten seine tägliche Runde zu machen anfing. Leonhard war stumm, hoffnungslos und wie vernichtet sitzen geblieben. Kopf und Arme hingen ihm schwer hinunter, bald irrten, bald wurzelten seine verstörten Augen auf dem Boden.

Ein paar Minuten waren so vergangen, als plötzlich das Geräusch von einem Wagen zu hören war, welcher auf dem steinigen Fahrwege mit größter Eile heranrumpelte. Eine Weile später trat Balthasar, der das Geräusch gehört und sich mit dem Ankleiden beeilt hatte, hervor, als der Wagen eben vor der Hausthür angehalten hatte.

„Wer mag das sein?“ murmelte er.

Aber schon flog die Thür weit auf, und der Stegwirth stürzte wie ein Wahnsinniger herein.

„Balthasar!“ schrie er mit gebrochener, schluchzender Stimme, „mein Toni, mein lieber, armer Toni ist todt!“

Er warf sich auf einen danebenstehenden Block, der zum Holzspalten diente, um nicht vor Jammer zusammenzubrechen. Leonhard, der bei der Neuigkeit erst gewaltig emporgefahren war, saß bald darauf wie niedergedonnert da, aber seine Blicke, sowie die Balthasar’s, der die Ruhe eines alten Arztes behalten hatte, fuhren mit eigenthümlicher Beredsamkeit hinüber und herüber.

„Todt, sagst Du?“ war Balthasar’s erstes Wort. „Ich kann es gar nicht glauben!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_451.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)