Seite:Die Gartenlaube (1865) 465.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 30.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Balbina.
Sittenbild aus unsern Tagen.
Von Franz Hedrich.
(Fortsetzung.)

„Ist es da drinnen gar so schön, Michel?“ fragte Balbina’s Mutter den aus der Kapelle heraustretenden alten Bauer.

„Nachbarin,“ erwiderte der alte Michel in Ekstase, „das ist schon prächtig. Der Hauptaltar, dann die Schnitzerei – das ist sehr schön, aber gefällt mir lange nicht am Besten! Denn sieh, geschnitzte Engel sieht man alle Tage, aber die Malerei auf der Hinterwand ist so ausgefallen, daß Du meinst, Du kannst auch greifen, was Du siehst! Das ist überaus künstlich, und sobald Du eintrittst, merkst Du schon, daß es nicht vom Schmierpeter ist! Da wirst Du die Augen aufreißen!“

„So?“ rief die Alte hochgespannt. „Ein so schönes Bild?“

„Weißt Du, Oberangerin,“ gab Michel zur Antwort, „eigentlich ein Bild ist es nicht. Die Sache ist so. Wie die Hinterwand klafterhoch und -breit hinläuft, ist sie von der Malerei ganz bedeckt. Wenn wir es doch am Ende ein Bild nennen wollen, so ist es eines, das keinen Rahmen hat, aber auch keinen braucht! Du wirst Dein Wunder daran sehen! Wenn es oben auf der Dreikönigsspitz aufgehängt wäre, so ginge ich mit meinen alten Beinen hinauf! Also behüte Dich Gott und laß Dich die Mühe nicht reuen!“

Es war Thatsache, daß das Wandgemälde, von welchem die Rede war, das allgemeine Interesse ausschließlich an sich gerissen halle und daher der Wahl des Stoffes, so wie der Ausführung eine künstlerische Leistung zu Grunde liegen mußte, um einen so durchschlagenden Erfolg zu erzielen, wenn auch die Schwärmerei des alten Michel nicht als Maßstab des Kunstwerthes betrachtet werden konnte. Den Beifall des Landvolkes theilten aber auch die Gebildeten, worunter der Hofrath, die höheren Beamten und Geistlichen zu zählen waren. Der Guardian, ein unterrichteter und kunstsinniger Mann, unter dessen Protection das Werk zu Stande gebracht worden war, hielt es sogar für ein großes Meisterwerk.

Das Wandgemälde stellte nämlich das jüngste Gericht in einer ganz selbständigen und gewiß geistvollen Auffassung vor, und zwar nicht den Moment der Scheidung der Seligen und der Verdammten, sondern lange Zeit, vielleicht Jahrhunderte darnach.

Der Himmel, welcher das oberste Drittel des Raumes einnahm, war, allen Abbildungen entgegen, welche ihn in seligem Selbstgenügen oder gar in Wonne schwelgen lassen, von Trauer erfüllt. Es war hohes, himmlisches Mitleid mit den ehemaligen Mitmenschen, welche nun für ewig in die Hölle gestürzt waren. Dieser Gedanke vereitelte die Seligkeit der Auserwählten, und selbst Gott Vater wendete sein ehrwürdiges Greisenhaupt bei Seite und schien die Pein seiner unerbittlichen Gerechtigkeit zu fühlen.

Der Himmel war sonach der Reflex der Hölle, auf welche der Künstler die ganze Kraft seines Talentes geworfen hatte und die sich auch auf einem doppelt größeren Raume ausbreitete. Hier war ein lebendiger Jammer, eine künstlich genährte Verzweiflung, ein psychologischer Reichthum aller Schmerzen, welche das Herz empfinden kann, eine ganze Stufenleiter innerer Qualen zu erblicken. Um zwei Hauptgruppen herum reihte sich eine Fülle kleinerer Scenen, meist pathetischer, nur selten humoristischer Natur.

Bei der einen Gruppe, welche reich an Figuren war, sprang ein König mit seinem Gefolge in die Augen. Er hatte einen brennenden Pechkranz auf dem Haupte und die Flammen bildeten seine Krone. Die Hände waren am Rücken gebunden, und er stand im geschmolzenen Silber erpreßter Steuern. Vor ihm gaukelten einige als Hofschranzen verkleidete häßliche Teufel, welche ihn unter Grimassen tiefster Devotion verhöhnten und sogar anspieen. Zu seinen Füßen spielten einige noch unausgewachsene, kinderähnliche Teufelchen mit seinem Reichsapfel Fangball. Einige Minister, im Leben gewöhnt sich mit der Unverantwortlichkeit der Krone zu decken, waren auf diesem Platze nicht so glücklich, sich hinter dem Rücken des Monarchen vor den Griffen der Ungeheuer sicher zu stellen. Einer derselben ließ sich in feigster Angst wie ein Kautschukmann beliebig zusammendrücken; eine andere Excellenz hielt ein Teufel im linken Arm, wie eine Baßgeige, welcher sie auch frappant ähnlich sah, während seine Rechte mit dem Behagen eines passionirten Musikers dieselbe über den Rücken mit einem Schwerte strich, eigentlich sägte. Der König, von solchen Excessen umgeben und von eigenen Qualen gepeinigt, stand dennoch unverzagt da, das Gesicht mit einem knirschenden, blasphemischen Ausdruck gegen den Himmel gekehrt, auf welchen er im Leben so sicher gerechnet und der ihn nun so im Stiche ließ.

Bei der anderen Gruppe sah man einen See, über welchem eine Unzahl auf das Dichteste aneinandergedrängter Weiberköpfe in Hohlkugelform hoch in der Luft schwebte und gleichsam das Firmament bildete. Es waren Köpfe gefallener Mädchen, von Sünderinnen und Verbrecherinnen aller Art, mit dem abwechslungsreichsten Ausdrucke von Verzweiflung und Entsetzen und Reue, meist jung und schön. Aus aller Augen perlten Thränentropfen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_465.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)