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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

„Der Zucker-Toni hat uns nichts genutzt,“ sagte Leonhard so laut, daß es die Umsitzenden hören konnten, und fuhr, obwohl ihn Balthasar unter dem Tische stieß und zwickte, mit ungedämpfter Stimme fort: „Diesem Bierzapfer da, dem hättest Du mit einem Loth Rattengift die Suppe salzen sollen! Da wären wir sicherer gegangen! Ja, wer zu rechter Zeit an Alles dächte! Der Zucker-Toni hätte am Leben bleiben können!“

Er schlug sich mehrmals unbarmherzig auf die Stirn. Balthasar, der ganz gebebt hatte, sah sich überall um und beruhigte sich erst ein wenig, als er sich überzeugt hatte, daß Niemand auf Leonhard aufmerksam gewesen war. „Du trinkst nichts!“ sagte er, dem schrecklichen Mitzecher sein Glas reichend.

Leonhard that einen raschen Griff darnach und goß es auf einen Zug in den Hals hinunter.

„Der Wein ist gut,“ sagte er mit schwerer Zunge, „aber bald wird es heißen: ‚Leonhard, trinke Wasser!‘ So wäre es nicht gekommen, wenn Du dem Stegwirth das Pulver verordnet hättest, welches Du dem Zucker-Toni eingegeben hast! Das war ein scharfes Pulver!“

„Bist Du närrisch?“ sagte Balthasar außer sich, da der Krämer aufzupassen begann. „Du weißt nicht mehr, was Du sprichst!“

Leonhard hörte ihn nicht, er war eingeschlummert.

„Was thun?“ fragte sich der Wunderdoctor im Stillen. „Ich muß ihm etwas weis machen!“ Er schüttelte Leonhard.

„Was giebt’s?“ fragte dieser in großem Rausche.

„Was Wichtiges!“ sagte der Alte mit leiser Stimme. „Das ist ein guter Einfall und das Aeußerste, was uns übrig bleibt, Dir, um eine Braut zu kriegen, mir, um zu meinen fünfhundert Gulden wieder zu kommen.“

„Ei, der Tausend!“ rief Leonhard wie ernüchtert.

„Ich gebe Dir mein Wort,“ sagte Balthasar, „daß Balbina, ehe vier Wochen vergehen, Dein Weib werden wird!“

„Das war der Mühe werth, daß Du mich weckst,“ versetzte Leonhard voll Geringschätzung, wieder zusammenfallend.

„Ich weiß, was ich sage,“ fuhr der Alte fort, „Du kriegst sie; sie ist Dir gewiß!“

„Wie das?“ fragte Leonhard. „Hättest Du auch solche Zaubertränke?“

„Ja und nein,“ gab Balthasar zur Antwort. „Ich habe nämlich eine eigene Macht über sie. Ich weiß, wo ich mit dem Daumen drücken muß, um diesen eigensinnigen Weiberschädel zu öffnen! Da verlaß Dich darauf!“

„Sage mir doch, wie?“ sagte Leonhard, dem die Hoffnung wieder leuchtete.

„Das behalt’ ich noch für mich,“ gab der Wunderdoctor zur Antwort. „Ich verspreche Dir, daß ich es zu Stande bringe, und das ist Dir genug!“

„Du meinst?“ rief Leonhard, freudig aufspringend.

„Gewiß,“ lautete die Antwort.

„Da wäre noch Alles gut!“ rief Leonhard. „Prächtig, prächtig! Thu’s! Aber auf die frohe Botschaft muß noch eine Flasche ihr Leben lassen!“

„Einverstanden!“ sprach Balthasar. „Aber höre,“ flüsterte er ihm zu, „über den Zucker-Toni kein Wort mehr! Es ist ohnehin nur dummes Zeug, aber wenn Jemand aufpassen würde, könnten wir uns die Finger verbrennen!“

„Da hast Du Recht!“ stimmte Leonhard bei, sich den Rest aus der Flasche einschenkend. „Stoß’ an, alter Camerad und Herzensbruder!“

Sie stießen an, Balthasar war mit dem Erfolge zufrieden.

Leonhard hatte sich mit einem Glase aus der frischen Flasche erhoben und sang ohne alle Rücksicht mit der vollsten Anwendung seines Organs:

„Wenn alle Leute auf der Welt,
Ein Leben wie die Heil’gen führen,
Dann hat der Pfarrer keine Seel’,
Als seine Köchin zum Absolviren!“

Er hatte kaum zu Ende gesungen, als Grüneisen wie ein Rasender auf ihn zugesprungen kam und ihn andonnerte: „Ein solches Lied! Weißt Du nicht, wer Alles dasitzt?“

„Das Lied ist nicht neu,“ gab Leonhard mit erstaunlicher Ruhe zur Antwort. „Das solltest Du schon hundert Mal gehört haben, denn ohne Dich geht kein Tanz zu Ende und keine Trinkerei!“

„Gehört hab’ ich es freilich schon,“ polterte der Gerichtsdiener, „aber Du solltest mehr Anstand haben! Der Herr Pfarrer sitzt beinahe neben Dir und muß sich, wenn er so was hört, bei der Nase nehmen!“

Es erhob sich ein schallendes Gelächter, in welches der Pfarrer selbst einstimmte und in Folge dessen Grüneisen’s Zorn grenzenlos wurde.

„Ich arretire Dich!“ rief er, nach Leonhard die Hand ausstreckend.

„Laß gehen!“ sagte dieser zurückweichend mit erhobenem Finger. „Wenn ich nach Dir lange, so bist Du im Ruhestand bis zum jüngsten Tag!“

Dieser Streit, auf solcher Höhe angelangt, wurde durch die mehrstimmigen lauten Rufe: „Der Förster, der Förster!“ unterbrochen.

Der Förster war wirklich noch so spät gekommen, als schon Alles dem Auseinandergehen nahe war.

„Euch ist gewiß ein Malheur passirt!“ rief man ihm von allen Seiten entgegen.

„Ja,“ sagte der Förster, „ein Malheur ist allerdings passirt, das uns aber nichts angeht. Wir übernachten heut auf der Oberanger-Alm und kommen glücklich zum Sonnenaufgang auf die Dreikönigsspitz hinaus. Auf dem Rückweg heute, ungefähr um elf, halten wir Mittag, vom Dreikönigssee einen Büchsenschuß weit. Da geht inzwischen einer der Herren an’s Ufer und schreit uns zu, daß wir hinkommen. Wir kommen, da liegt auf einer Stelle, wo das Wasser nur eine gute Klafter tief ist, ein Leichnam auf dem Grund – eine Frauensperson. Und denkt, wer? Das fällt Keinem ein! Die Balbina, die Balbina!“

Diese Neuigkeit erregte die größte Sensation und Verwunderung in der ganzen Stube, aber die Wirkung, die sie auf Leonhard hervorbrachte, war von schlagähnlicher Gewalt. Wie leblos saß er da, alle Glieder waren in der nämlichen Haltung erstarrt, welche sie gehabt hatten, als der Name der Ertrunkenen genannt worden war. Er hielt noch immer die Weinflasche, aus welcher er sich hatte einschenken wollen, jedoch nur ihren Hals. Das Glas hatte dem krampfhaften Zusammenziehen und Zusammenpressen der Finger nicht widerstanden und die Flasche war entzweigebrochen.

„Was hätte ein so stilles und ordentliches Mädchen in’s Wasser getrieben?“ ergriff der Pfarrer das Wort, sobald der Förster seinen Bericht geschlossen hatte. „Sie muß irgendwie verunglückt sein!“

„Gott weiß,“ rief der Rentbeamte voll Bedauern.

„Sie hat sich hineingestürzt, das glaub’ ich!“ sagte der Chirurg Weißbart, allem Mitleid unzugänglich und gleich bereit, aus dem erschütterndsten Ereigniß einen Prügel für Andere zu schneiden. „Sie wird sich arg geschämt haben! Ist das eine Kleinigkeit? Sie war zweimal Braut innerhalb von vier Wochen, und der Eine und der Andere hat sie sitzen lassen!“

„Wenn ich ledig gewesen wäre,“ rief der Krämer mit hoher Wärme, „die hätte die Meinige werden müssen und keine Andere!“

Leonhard war indeß aus seiner Erstarrung erwacht und hatte sich langsam wie ein Verschlafener erhoben. Ebenso langsam hatte er die Hand, mit welcher er die Flasche gehalten, emporgehoben und sah in ihre Fläche kopfschüttelnd hinein. Die Hand war an mehreren Stellen verletzt und blutete sehr heftig.

Wie von dem Anblick des Blutes belebt, raffte sich Leonhard stramm zusammen und wandte sich mit wilden Blicken nach allen Seiten hin, wie wenn er Jemanden suchte, um über ihn herzufallen, aber er senkte gleich wieder den Kopf, sah seine verwundete Hand an und stürzte hin- und hertaumelnd, aber doch schnell aus der Stube hinaus.

„Habt Ihr den Leonhard angesehen?“ sagte der Pfarrer.

„Ja,“ versetzte Grüneisen, „den hat es garstig gepackt!“

„Das glaub’ ich nicht, Hochwürden,“ erkühnte sich Balthasar das Wort zu ergreifen, um alle Excesse, die er von Leonhard bei dessen Rückkehr sicher erwartete, in ihr Licht zu stellen und etwaige Anspielungen auf den Zucker-Toni abzuschwächen. „So viel Gefühl hat er gar nicht, am wenigsten, wenn er so vollgetrunken ist, wie heut! Es ist ja bekannt, wenn er im Rausche ist, da schont er nichts. Er hat schon ein so gotteslästerliches Zeug zu mir geschwätzt, daß ich schon mehrmals mich habe wegsetzen wollen. Er macht noch Scandal, aber so lange wart’ ich nicht!“ Er nahm Hut und Stock und wollte hinauseilen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_483.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)