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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

stolz, so fest da vor ihr; er sah sie so klar, so geistvoll, ja so dominirend an. Es war derselbe Mann, der ihr schon bei dem ersten Anblick auf der Eisenbahn so aufgefallen war; derselbe Mann, der ihr dann vor dem Hotel, zuletzt im Concert einen immer tieferen Eindruck gemacht katte. Und was konnte diesen Mann zu ihrem Wagen führen? Da mußte doch ein besonderes Räthsel, ein eigenthümliches Mißverständniß obwalten. Dieses Räthsel wollte sie ergründen, und rasch entschlossen sagte sie mit einer leichten Handbewegung, den edlen Kopf ein wenig aufwerfend, in leicht befehlendem Ton: „So steigen Sie ein!“

„Ich danke Ihnen verbindlichst,“ sagte Ludwig mit kalter Artigkeit, stieg ruhig ein und setzte sich mit feiner, zurückgezogener Haltung der Gräfin gegenüber. In seinem Innern aber sah es wahrlich nicht so ruhig aus: Fuß an Fuß, Aug in Aug sah er die Frau vor sich, die ihn immer tiefer bewegt und erregt. Er fühlte die Lust in sich, dieser stolzen Frau mit der ganzen Männlichkeit seines Wesens entgegenzutreten, und war fest entschlossen, der Aristokratin nicht zu weichen. So saßen sich die Beiden seltsam gegenüber in seliger Feindschaft; ein Jedes kampfbegierig.

Die Gräfin lehnte sich in die seidnen Wagenkissen fest zurück, und vornehm und mit einem Anflug von Ironie fragte sie:

„Werden Sie es denn nun für der Mühe werth halten, mir zu sagen, weshalb Sie sich hier zudrängen? Auf wen Sie warten?“ Natürlich staunte der Doctor über diese Fragen; die Gräfin dann noch mehr über die Antwort, die er gab.

„Dann sind Sie also nicht Professor Monz, sondern jedenfalls der Doctor Ludwig ?“

„Das bin ich.“

„Also auch der Verführer meines Bruders!“ warf die Gräfin heftig zurück und fuhr dann fort in wachsender Leidenschaft: „Und Sie treiben sich umher unter falschen Namen und lassen sich von Andern vertreten, wenn die Gefahr herantritt. O pfui, wie feige! Aber so sind sie Alle, Alle, die sie die Welt reformiren, geknechtete Menschen befreien wollen und doch nicht den Muth haben, ein Großes, Entscheidendes zu thun! Phrasenhelden, Feiglinge sind sie Alle, und da, wo ich bewundern möchte, kann ich nur verachten!“

Ludwig war blaß geworden vor innerem Zorn, ja vor Empörung; nicht allein für sich, sondern auch für seine ganze Partei; für die Sache, die er vertrat, von der er so groß dachte. So Etwas hatte er einem Weibe gegenüber noch nie empfunden.

„Sie mißbrauchen die unantastbare Stellung, die Ihr Geschlecht Ihnen einräumt, Frau Gräfin,“ sprach er mit gepreßter Stimme, während in seinem Auge ein stiller Ingrimm leuchtete. „Wären Sie ein Mann – so –“

„Und was dann?“ fragte die Gräfin, indem sie sich fest emporrichtete und die Arme übereinander schlug.

„Dann würde ich das thun, was Männer unter sich zu thun pflegen, wenn sie sich nicht prügeln und auch nicht die Polizei zu Hülfe rufen wollen. Man hat da so gewisse kleine blanke Röhren, mit kleinen blauen Kugeln drin, die auf zehn Schritt Distance oft eine recht schöne Wirkung machen. Das ist aber freilich nichts für Frauen, namentlich nicht für so hochgeborene Frauen.“

(Schluß folgt.)




Ein Festparadies am Genfer See.
Der See und seine Riesen. – Erster Gruß des Südens. – Das Paradies des Waadtlandes. – Vevey. – Die Abtei der Winzer von Vevey und ihr Fest. – Das Touristenkarawanserai von Montreux und Vevey. – Chillon und Bonnivard. – Der Festplatz. – Die Kirche von St. Martin und die Grabsteine der „Königsmörder“. – Das Hotel Monnet. – Ein Abend auf seiner Terrasse.

Morgens war es, eines Morgens „im wunderschönen Monat Mai“ und ich nach langer unbehaglicher Nachtfahrt in einer vollen schweizerischen Postkutsche mit dem obligaten Geklingel ihrer vier schellenbehangenen Gäule. Abends bei fallendem Regen in Bern, damals noch im dunkeln Hofe des alten Posthauses auf der Gerechtigkeitsgasse, in das vielräumige Vehikel gestiegen, waren wir mit grauendem Tage auf den Kamm eines rauhen Gebirgs gekommen, bald durch Waldstellen, bald über Moosflächen und Torfgräbereien. Es war der mäßig ansteigende Höhenzug, welcher den Jura mit den Alpen verbindet, eine Landschaft, welche nicht viel verspricht, mit dünn verstreuten Gehöften, meist auf Freiburger Boden, die weder freundlich noch sauber aussehen. Bei einem See, einem kleinen meergrünen, klaren Gewässer, das sich in flacher Thalmulde links der Straße an einigen besseren Häusergruppen nicht unlieblich ausbreitet, rückten wir in scharfer Wendung, hart an die Kante des Gebirgs, welches sich in jähem Absturze gen Mittag abdacht. Da – noch halb im Schlafe, fuhr ich fast zusammen – griff mich meine Nachbarin, eine artige Bäuerin aus dem Rhonethale, plötzlich am Arme. „Monsieur, Monsieur, voilà le lac!“ rief sie. „Le lac,“ als gäbe es nur einen auf der Welt, als wären wir auf unserer Nachtreise nicht schon an zweien vorübergerollt!

Und da lag dieser See, dieser einzige, dieser wahrhaft einzige See, tief, tief unter uns und unserer wandernden Behausung. Zug um Zug wickelte er sich los aus den Nebelhüllen, die ihn bedeckt hatten, und überherrlich, glorios, strahlend und leuchtend in ungeahntem Glanze, entrollte sich Stück um Stück eines Landschaftsedens, das wirklich und gewiß ein Paradies ist, wenn die Natur allein dergleichen schaffen kann! Blau, azurblau, indigoblau der große, breite See mit tausenden und abertausenden von Lichtfunken gesprenkelt, himmelanstrebend die eisbehelmten Alpen jenseit, die Alpen von Savoyen, die in unzähligen ausgezahnten, ausgewitterten Spitzen den Aether durchschnitten, auf den höchsten noch angeglüht vom Rosenschimmer des Morgens, und daran die vom Wallis mit dem Koloß der Dent du Midi bis zum großen Bernhard hin, dort wo sich der Zuckerhut des Mont Catogne vorschiebt, der das Thal zu sperren scheint, und die ewig beschneite Pyramide des Velan ihm anlehnt. Diesseit aber ein Gelände, wer malt seine Pracht? in Ton und Färbung, in Pflanzenwuchs und Baumschlag schon ganz der Hauch des Südens, der erste Gruß jenes sonnigen Südens, nach welchem uns Alle, die wir geboren sind im bleichem Norden, instinctmäßige Sehnsucht zieht, uns Alle, wie der nämliche Drang einst Stämme sogar und Völker aufscheuchte aus ihren Sitzen auf die lange gefahrvolle Wanderschaft nach den fernen Reichen des Mittags! Mitten drin in der unsäglichen Herrlichkeit zwischen Reblaub und Nußbäumen hunderte weißleuchtender Häuser, hier zu einer umfänglichen Stadt geschaart, die ein viereckiger Kirchthurm überragt gleich einem normännischen Castelle; weiterhin zur Linken in kleinern Gruppen vertheilt, bald am Seespiegel, bald auf halber Höhe der Berge; hinten sogar, auf der Fluth schwimmend, ein alterthümlich, weitläuftig Gegiebel, von dem man schon so manches Conterfei gesehen! Und immer schöner, immer reizender werden die Dörfer, durch die wir kutschiren, immer voller das Laubwerk, das sie umspinnt, immer dichter die Büsche von blühenden Syringen und Rosen, welche die offenen Galerien der Häuser umranken, ein wahres Lustgefild! Steil im Zickzack läuft die Straße hinab, nach der Königin des Sees, dem herrlichen saubern, rührigen Vevey, jener Stadt mit dem eigenthümlichen viereckigen Kirchthurm; bei jeder Ecke wechselt die Anordnung des Panoramas, doch aller Orten bleibt dies gleich wonnevoll.

Warum ich ihm das Alles erzähle und zeige, fragt der Leser, warum ich ihn so weit mittagwärts entführe, jetzt, wo seine Gedanken und Blicke nach ganz anderer Richtung schweifen, wo sie an den Dünen und Marschen der Weser hängen und an den lieblichen Ufern der Elbe, bei den deutschen Schützen und bei den deutschen Sängern weilen, nicht am entlegenen Fuße der penninischen Alpen, wie herrlich es dort auch sein mag? Warum? Weil zugleich mit dem ersten Bundessängerfest in Dresden auch im Paradiese des Waadtlandes, in Vevey am Leman, ein Fest gefeiert wird so unvergleichlich in seiner Art, wie seine Bühne ist.

Dies Fest hat nichts gemein mit der Turnerei, nichts mit Sängern und Schützen, ist kein eigentliches Nationalfest mit politischem Untergrunde, die Festgeber selbst zählen nicht nach Tausenden, kommen nicht herbeigezogen aus allen Himmelsgegenden wie bei jenen Festen, nichts destoweniger aber ist’s besucht von Schaaren von Fremden, nicht blos aus sämmtlichen Theilen der Schweiz, sondern aus dem fernsten Auslande, von allen Nationen, welche ihr Contingent zur heutigen Reise- und Touristenwelt stellen.

Und dennoch ist’s eigentlich nichts anderes als eine Art von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_500.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2022)