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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

fehlte es nicht an den sonderbarsten Gerüchten über die Art und die Zwecke der Kriegführung; aber die Uebertreibungen derselben schienen schon die beste Bürgschaft für ihre Richtigkeit zu bieten. Mit einem Wort: es herrschte eine höchst gedrückte, kaum beschreibbare Stimmung in der ganzen Armee.

Vom 1. Juli ab war ein besonders lebhafter Verkehr zwischen der Festung und der Insel Fünen bemerkt worden. Derselbe war zwar niemals unterbrochen, da unsere Batterien den Fjord gar nicht bestrichen, und oft hatten wir von der Höhe des Plateaus bei Stonstrup unter den gehenden, kommenden und stationirten Schiffen alte Bekannte herausgefunden: die Corvette „Valkyren“ (Eckernförde 1848!), den Kutter „Neptun“ (Aroesund 1848), die Dampfer „Geyser“, „Skirner“ u. a. m., mit welchen Allen wir schon Kugeln gewechselt. Aber die Regsamkeit der letzten Tage zur See war so ungewöhnlich, daß sie auffallen mußte. Die ganze fünen’sche Küste von Middelfart bis Striib war mit Kähnen garnirt, die unter dem Schutze der dänischen Strandbatterieen ganz sicher lagen; allein es wurde trotz angestrengter Wachsamkeit doch nicht geradezu constatirt, daß die Belagerten eine Verstärkung an sich gezogen hätten und Etwas im Werke sei. Die anfängliche Aufregung im Lager stumpfte sich bald ab zur bloßen Neugier, auch diese wich dem bekannten Leichtsinn und dem Gleichmuth gegen die Stunde in den Soldatenherzen.

Der Morgen des fünften Juli brach recht neblig und rauh an; man wähnte sich in den November versetzt und fröstelte, trotz der Strohgruben, in dem scharfen, mit feinen Wassertheilchen imprägnirten Nordostwind, welcher die Lagerhütten unbarmherzig schüttelte. Die Kaffeefeuer boten blos von einer Seite Wärme, und somit war mir die Ordre nur erwünscht, mit der Compagnie eine Recognoscirung zu unternehmen und aus dem etwa anderthalb Stunden entfernten Dorf Bredstrup eine Anzahl Proviantwagen in’s Lager zu escortiren. Der Auftrag ward ohne jede Gefährde vollzogen und nach drei Uhr Nachmittags rückten wir wohlgemuth wieder ein, krochen in die Baracken und machten es uns so bequem wie möglich. Da wir allerlei schätzenswerthe Dinge von unserem Ausflug mitgebracht, als da sind: Rum, Rothwein, Eier, Speck etc., so fanden sich einige Freunde, vom untrüglichen Instinct des Lagerlungerers richtig geleitet, bald bei uns ein, und es begann das bekannte und beliebte Convivium, das allabendlich die Monotonie der Lagergassen vergessen machte. Wir hatten Erlaubniß zu singen – eben klang durch die Abendstille das Reiterlied: „Die bange Nacht ist schon herum“ – da fiel ein Kanonenschuß, gleich darauf eine lange Salve, in demselben Augenblick erklangen auch unsere Signalhörner und die Hauptleute riefen zu den Waffen. Wir ließen uns nicht Zeit, die schöne Bowle auszutrinken; im Nu standen wir auf den Sammelplätzen und mit „Marsch, Marsch!“ ging es gegen den Feind. Die Dänen hatten in zwei Colonnen mit ungefähr fünf oder sechs Bataillonen einen Ausfall gemacht; Geschütz führten sie nicht mit sich. Wir Jäger rückten im Laufschritt vor; außerhalb der Schanzen developpirten sich die beiden ersten Compagnieen sofort in eine Tirailleurkette und die guten Büchsen begrüßten lustig den Feind. Dieser feuerte nur zweimal im Peloton – vollkommen wirkungslos – und war schon wieder außer Bereich, ehe nur die Artillerie unserer Schanzen ein Wörtchen mitzusprechen hatte versuchen können. Zwar waren unsere flinken Jungen rasch hinter ihm drein – aber von den hohen Redouten der Festung herab krachten Granaten und Shrapnells unter sie, und da war es Zeit umzukehren. Wir hatten weder Todte noch Verwundete, fluchten aber dennoch weidlich über Hannemann, der uns auf diese Art schon häufig zum Besten gehabt und nunmehr schuld daran war, daß die gute Bowle kalt geworden, oder gar Andere sich ihrer mittlerweile angenommen hatten. Wenn auch dies glücklicher Weise nicht der Fall war, so krochen wir doch Alle, mit Ausnahme der Posten, recht verdrießlich in unser Stroh, darin sehnsüchtig erwartet von seinen zahllosen Bewohnern, von deren Fruchtbarkeit sich nur der einen Begriff zu machen im Stande ist, welcher, etwa mit weißen Beinkleidern, in eine verlassene Baracke tritt. Aber im Kriege lernt man Vieles ertragen, auch die kleinen Peiniger.

Aus tiefem Schlaf der Gerechten und Gesunden erweckte uns – es mochte gegen ein Uhr sein – abermaliger Alarm. Da wir die Kleider niemals ablegten, brauchten wir blos die Waffen zu ergreifen und die Käppis aufzustülpen, um fertig zu sein. Gleich an der ungewöhnlichen Verwirrung im Lager konnte man abnehmen, daß Ungewöhnliches vorgehe. Mit feurigen Schweifen pfiffen die Bomben zu Dutzenden auf einmal durch die Luft, unaufhörlich stiegen des Feindes Leuchtkugeln in den dunkeln Himmel; unsere Kanonen antworteten mannhaft den dänischen; Commandoworte, Trommelwirbel, Signalrufe, es war ein infernalischer Lärm. Dennoch löste sich wider Erwarten der Knäuel im Lager in ziemlicher Ordnung und in wenigen Minuten stand das vierte Jägercorps draußen an den Laufgräben dem Feinde gegenüber. Dieser hatte endlich das Necken aufgegeben und machte Ernst.

Was wir nur vermuthet, war That; die Dänen hatten seit einer Woche bedeutende Verstärkung an sich gezogen und standen uns bei dem durch ihre Werke gedeckten Ausfall mit etwa zwanzig Bataillonen gegenüber, während das gesammte Belagerungscorps deren kaum die Hälfte zählte. Natürlich wußten wir dies nicht sofort und gingen lustig darauf los mit „Hurrah! Hurrah!“ Eine lange feindliche Tirailleurlinie dehnte sich uns gegenüber aus, gleich einer Palissadenreihe; sie feuerte schon, als wir noch gar nicht in Schußweite waren. Wir sandten gleichfalls Tirailleurs voran, die sich trefflich deckten – das Bataillon in zwei Colonnen nach – wir achteten nicht der verrätherischen Doppelkugeln, die uns Hannemann bald zu kosten gab (es ist Thatsache, daß die Dänen mit je zwei Kugeln und einer Platte luden) – die Büchsen knallten – „Fällt’s Gewehr! Sturmschritt!“ – da öffnet sich die Colonne der Rothröcke, ein Feuerstrom sprüht uns entgegen, es kracht, wie Schloßenwetter im dürren Walde, zwei verdeckte feindliche Batterien werfen uns mit einem furchtbaren Kartätschenhagel nieder und zurück. Der entsetzliche Augenblick wird mir unvergeßlich sein, so wenig ich mich heute schon auf seine näheren Einzelheiten besinnen kann. Rechts und links sah ich Cameraden fallen, mechanisch beugte ich mich nieder, um die Büchse des einen zu ergreifen – denn es ist ein wahrhaft qualvoller und unverzeihlicher Zustand, bei solchen Gelegenheiten völlig unbewaffnet zu sein, der Säbel ist dabei zu gar nichts nütze – es war mein Feldwebel Beerend, er rief mir einen Gruß zu, an wen, weiß ich nicht mehr. Der Pulverdampf wogte in schweren, dichten Ballen an der Erde, man sah keinen Schritt vor sich, stolperte über Waffen und Leichen; dazu der furchtbare Kanonendonner, welcher gar keine Pause gewahren ließ, das Knattern der Pelotonfeuer, es war noch ein Glück, daß die Leuchtkugeln mit mattem Scheine durch den Pulverqualm leuchteten, sonst wären wir wahrscheinlich dem Feinde geradezu in den Rachen gelaufen. Einmal waren wir kaum fünfzig Schritt von einem dänischen Regiment entfernt, als ein Windstoß den Dampf verjagte. Das Bataillon hielt instinctmäßig noch zusammen, es erfolgte von Seiten der Dänen sofort ein Bajonnetangriff gegen uns, wir wurden geworfen, und zwar, wie ich leider bekennen muß, in schleunige Flucht. Es war kein Wunder, daß ein panischer Schrecken die Herzen selbst der Tapferen ergriff, denn die Erde schien Vulcane zu gebären. Sogar von Fünen herüber warfen die Strandbatterieen bei Striib Bomben und Sechsunddreißigpfünder; mit eigenen Augen sah ich rings auf den Höhen mächtige Fanale brennen; es mußte demnach, wie gewöhnlich, Verrath im Spiele sein, denn nur die jütischen Bauern konnten sie errichtet und angezündet haben. Den Dänen kam ihre genaue Kenntniß der Gegend sehr zu statten; sie blieben uns dicht auf den Fersen, wie ich zugestehe, in guter Ordnung. Wir waren ein Durcheinander des Bataillons, die Zahl gar nicht zu übersehen; ein paar Mal bestrebte ich mich, die Leute aufzuhalten und Kehrt machen zu lassen; vergebens. So warfen wir uns endlich in die Süderschanze des Lagers, welches schon an mehreren Stellen lichterloh brannte, so daß es taghell ringsum war. Aber was man erblickte, ließ den Muthigsten beben! Es war nur ein winziger Rest von vier Compagnieen, die ich um mich sah, darunter blos zwei Officiere, beide verwundet, der eine offenbar im Verscheiden.

Von den Bedienungsmannschaften der Geschütze, deren mehrere demontirt lagen, war gleichfalls über die Hälfte gefallen; aber die Ueberlebenden thaten ihre Pflicht mit beispielloser Bravour. Ihr Vorbild und mein Zureden entflammten auch wiederum den Muth des mir gebliebenen Häufleins; festen Fußes erwarteten wir den Feind. Er ließ nicht auf sich warten. Nach einem Kugelregen, der glücklicherweise über uns hinwegflog, erfolgte der Sturm mit einer Bajonnetattake. Nunmehr entspann sich ein Kampf, Mann an Mann, der an Grausigkeit seines Gleichen sucht. Die schleswig-holsteinischen Jäger fochten wie Verzweifelte, die Dänen in furchtbarer Ueberzahl wie Mörder.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_505.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)